Thuner Fussballer im Visier der Justiz
Im Kanton Bern sind zwölf aktive und ehemalige Spieler des FC Thun vorübergehend angehalten worden. Die Männer werden verdächtigt, eine 15-Jährige missbraucht zu haben.
Sexuelle Übergriffe im Sport sind laut Experten ein heikles Dauerthema. Regelmässige Kampagnen sollen Vereine, Spieler und Funktionäre sensibilisieren.
Nicht nur sportlich harte Tage kommen auf den Fussballklub FC Thun zu. Die Polizei hat am Dienstag zwölf Fussballer und neun weitere Männer vorübergehend angehalten. Sie durchsuchte verschiedene Häuser. Den Männern wird vorgeworfen, an einem zur Tatzeit 15-jährigen Mädchen sexuelle Handlungen vorgenommen zu haben. Diese sollen grösstenteils im Einverständnis mit dem Mädchen erfolgt sein.
Ob und in welcher Form diese Handlungen stattfanden, sei noch unklar. Die festgenommenen Männer würden nun befragt. Es gelte die Unschuldsvermutung, betonten die Behörden. Das heute 16-jährige Mädchen wird derzeit betreut.
Thun: Kein Einzelfall
Sexuelle Übergriffe im Sport sind nicht auf den Fussball beschränkt. Dabei bleibt es leider nicht immer bei Verdächtigungen. Unlängst wurde in La Chaux-de-Fonds zwei Eishockey-Spielern der Prozess gemacht. In den Kantonen Aargau, Baselland und Zürich wurden Jugendtrainer wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen verurteilt. Bekannt sind auch Vorfälle im Kunstturnen, Schwimmen und in der Disziplin Ski Alpin.
Beim Thuner Kantonsrivalen im Fussball, den Berner Young Boys (YB), ist man sich der Problematik sehr wohl bewusst, obwohl im Club keine vergleichbaren Fälle bekannt sind. Nach Aussage von Charles Beuret, YB-Medienchef, sind ausländische Spieler ohne Familienanschluss «eher gefährdet als Familienväter». Deshalb gelte es, diese Spieler besonders intensiv zu begleiten, zu integrieren und ihnen ein soziales Umfeld zu bieten, um «sexuellen Eskapaden» vorzubeugen
Verhaltenskodex
Beuret verweist gegenüber swissinfo auf den Verhaltenskodex, dem sich alle Kadermitglieder unterziehen und dessen Missachtung harte Konsequenzen nach sich zieht. «Es ist Aufgabe jedes Klubs, dafür zu sorgen, dass die Beziehungen zwischen Spielern und Fans den gesellschaftlichen Regeln entsprechen», betont Beuret. Nichts desto Trotz werde der «Fall Thun» alle Beteiligten lehren, dass diesbezüglich noch mehr getan werden müsse.
Und was denkt man auf Fan-Seite über die Verdächtigungen gegen Thuner Fussballer? Beim «Fan-Projekt» des FC Basel sind sexuelle Übergriffe von Spielern kein Thema. Die grosse Mehrheit der Fans sei männlich. Mit den wenigen Mädchen habe man die Frage nie thematisiert, sagte eine Sprecherin auf Anfrage von swissinfo.
Kampagne läuft seit Jahren
Für das Bundesamt für Sport und Swiss Olympic ist das Thema nicht neu. Seit 1998 betreiben die beiden Organisationen aktive Präventionsarbeit über die Fachstelle «mira».
Erst vergangene Woche fand in Bern eine Tagung für Vereins- und Verbandsfunktionäre statt. Oberstes Ziel der Kampagne: Sport treibende Jugendliche vor sexuellen Übergriffen schützen. Trainer, Vereinsverantwortliche und Eltern sollen die nötige Sicherheit im Umgang mit dem heiklen Thema erhalten.
«Die aktuellen Vorfälle beweisen, dass wir noch nicht alles getan haben, um sexuelle Übergriffe zu verhindern. Wir müssen dran bleiben», versichert Judith Conrad, Leiterin Entwicklung und Ausbildung bei Swiss Olympic.
swissinfo und Agenturen
Der FC Thun zeigte sich in einer ersten Stellungnahme «bestürzt und betroffen». Die Klubführung will zuerst die Untersuchungsergebnisse abwarten und dann über mögliche Massnahmen entscheiden.
Sollten sich die Vorwürfe erhärten, würden die Vergehen aufs Schärfste verurteilt und in aller Härte geahndet. Als einzige Sofortmassnahme wurde das Training vom Dienstagnachmittag abgesagt.
Für den FC Thun kommen die Schlagzeilen zur Unzeit. In der Rangliste der Axpo Super League belegt das Team von René van Eck nach etwas mehr als einem Drittel der Saison den vorletzten Rang, dazu steht am 9. Dezember die Abstimmung über den Neubau des Stadions bevor. Sollte das Projekt der Investorin, die bereits die neuen Arenen in Neuenburg und St. Gallen realisierte, vom Thuner Stimmvolk abgewiesen werden, droht den Berner Oberländern wegen den Auflagen der Swiss Football League der Zwangsabstieg.
Handlungen gegen die sexuelle Integrität sind gemäss Schweizer Strafgesetzbuch strafbar und werden von Amtes wegen verfolgt, wenn die Handlungen mit einem Kind unter 16 Jahren vorgenommen wurden und der Altersunterschied zwischen den Beteiligten mehr als drei Jahre beträgt.
Inwieweit diese Gesetzesbestimmungen in jedem einzelnen Fall verletzt wurden, ist in Thun Gegenstand der Ermittlungen. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt die Unschuldsvermutung.
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