Todesstrafe: Die eigene Meinung überdenken
In 139 Ländern wurde die Todesstafe aus dem Gesetzbuch gestrichen. Amnesty Schweiz setzt sich für die totale Abschaffung der Todesstrafe ein. Lukas Labhard, Kampagnenkoordinator gegen die Todesstrafe bei Amnesty Schweiz, spricht über die Kampagne.
swissinfo.ch: Welche Schritte unternimmt Amnesty Schweiz konkret, um in einem Land die Todessstrafe abzuschaffen?
Lukas Labhardt: Das hängt sehr stark von der Situation im Land selber ab. In aller Regel verlangen wir zuerst einmal einen Hinrichtungs-Stopp, das heisst, dass keine Exekutionen mehr durchgeführt werden.
Als nächstes versuchen wir darauf einzuwirken, dass der Anwendungsbereich der Todesstrafe eingeschränkt wird. Und schliesslich versuchen wir mit Meinungsbildungs-Prozessen zu bewirken, dass die Leute grundsätzlich ihre Meinung zur Todesstrafe überdenken.
Danach ist es am Parlament, das Verbot der Todesstrafe im Gesetz festzuschreiben.
swissinfo.ch: Wie geht so ein Meinungsbildungsprozess vor sich?
L.L.: Wir organisieren Gesprächsrunden, wir suchen Expertinnen und Experten. Wir versuchen auch, die Leute lokal anzusprechen, sei das mit Aktionen in Schulen, Universitäten.
Quer durch die Bevölkerung sollen die Leute angesprochen werden und vor allem das lernen, was sie über die Todesstrafe noch nicht wissen.
swissinfo.ch: Was denn?
L.L.: Dass sie völlig unnütz ist. Es geht nicht nur um die ihr zugeschriebene, abschreckende Wirkung, die sie nachweislich nicht hat.
Man kann fast immer mit Hilfe der Geschichte eines Landes aufzeigen, dass die Todesstrafe sehr willkürlich angewendet wird, zum Beispiel, dass sie viel mehr gegen Minderheiten verhängt wird.
Das haben wir in der Schweiz auch so gemacht, wir haben in einer Broschüre aufgezeigt, wie die Todesstrafe angewendet wurde und was die Missstände waren. In der Schweiz wurde die Todesstrafe im Militärstrafgesetz erst 1992 abgeschafft.
swissinfo.ch: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Demokratisierungsgrad eines Landes und der Beibehaltung der Todesstrafe?
L.L.: Ja. Wenn wir Lateinamerika in den siebziger Jahren als Beispiel nehmen. Da herrschten Diktatoren, und die Todesstrafe war sehr verbreitet.
Mit dem Wechsel des politischen Systems, mit der Einführung von «modernen» Staatsformen wurden sehr schnell Gesetzesreformen eingeführt und man fragte sich: «Brauchen wir wirklich die Todesstrafe?»
Heute ist Südamerika ein weitgehend Todesstrafen-freier Raum.
swissinfo.ch: Aber die USA sind doch auch eine Demokratie…
L.L.: Das ist ein ganz grosser Makel auf der jetzigen Weltkarte. Er beschäftigt uns auch sehr.
Es gibt wohl kein Land, das so transparent und öffentlich über die Todesstrafe informiert wie die USA.
Deshalb wissen wir, dass Verurteilte im Durchschnitt 10 Jahre auf ihre Hinrichtung warten müssen. Man weiss beispielsweise auch, was die letzte Mahlzeit des Hingerichteten war. Diese Art von Transparenz gibt es.
Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir von den meisten anderen Ländern, wie etwa China oder Iran, sehr wenig wissen. Die Verfahren, die zu Todesstrafen führen, sind dort nicht öffentlich.
Es gibt kein öffentliches Anwaltssystem, das die Beobachtung zulässt, und es gibt auch keine Hinweise, wo Todesurteile wann vollstreckt werden.
Man erfährt es immer erst im Nachhinein. Das hängt auch damit zusammen, dass die Todesstrafe heute geächtet wird. Sie wird so in den von aussen nicht-kontrollierbaren Bereich abgeschoben.
swissinfo.ch: Wie reagieren Sie, wenn ein Land, wie beispielsweise Polen letzten Sommer, damit liebäugelt, die Todesstrafe wieder einzuführen?
L.L.: Wir sind sofort aktiv geworden und haben die zuständigen Stellen vor diesem Schritt gewarnt, weil sie damit internationales Recht verletzen.
In diesem Fall war es verhältnismässig einfach, denn es gab einen breiten öffentlichen Aufschrei.
swissinfo.ch: Was sagen Sie, wenn die Todesstrafe als Strafe für ein besonders grausames Verbrechen gefordert wird?
L.L.: Wir sind grundsätzlich für die Einhaltung der Menschenrechte. Das bedeutet, dass es grundsätzlich nicht möglich ist, mit welcher Tat auch immer, dass ein Mensch seine Rechte verwirkt.
Das heisst, dass auch im entsetzlichsten Fall dem Täter oder der Täterin das Recht auf Leben zusteht.
swissinfo.ch: Im Falle eines Mordes hat er dies jemand anderem aber nicht zugestanden.
L.L.: Wir plädieren dafür, dass diese Person im Rahmen eines rechtsstaatlichen Verfahrens eine angemessene Strafe bekommt. Aber auf keinen Fall die Todesstrafe.
Es ist die Aufgabe des Staates zu zeigen, dass wir nicht Menschen töten, um zu zeigen, dass es falsch ist, Menschen zu töten.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob in der Schweiz nach einem besonders grausamen Verbrechen nicht auch die Todesstrafe gefordert würde.
Eveline Kobler, swissinfo.ch
In der Schweiz ist die Todesstrafe seit 1942 im zivilen Strafgesetzbuch abgeschafft, seit 1992 auch für Kriegszeiten im Militärstrafgesetz. Die letzte Hinrichtung wurde 1944 vollstreckt.
Ein erster Versuch zur Abschaffung der Todesstrafe erfolgte in der Bundesverfassung von 1874, doch wurde sie bereits fünf Jahre später durch eine Volksabstimmung wieder zugelassen. 10 Kantone führten sie in ihren Strafgesetzbüchern wieder ein.
Das Schweizerische Strafgesetzbuch von 1937, in Kraft seit 1942, schaffte die Todesstrafe im Zivilbereich endgültig ab. Die letzte Hinrichtung in der Schweiz fand am 18. Oktober 1940 in Sarnen OW statt, als ein Zürcher wegen Polizistenmordes enthauptet wurde.
Im Kriegsfall blieb die Todesstrafe dagegen bis 1992 bestehen – für Delikte wie Landesverrat, Feind-Begünstigung, Mord und Plünderung. Im Zweiten Weltkrieg wurden von 33 gefällten Todesurteilen 17 durch Erschiessen vollstreckt, die letzte Hinrichtung erfolgte 1944.
1987 genehmigte das Parlament das 6. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das die Wiedereinführung der Todesstrafe in Friedenszeiten verunmöglicht.
Das Parlament strich in der Folge die Todesstrafe per 1. September 1992 aus dem Militärstrafgesetz.
1994 trat die Schweiz dem Internationalen Pakt zur Abschaffung der Todesstrafe bei.
139 Länder haben die Todesstrafe bereits abgeschafft. Jährlich werden aber gemäss Lukas Labhardt tausende Menschen hingerichtet, darunter auch Minderjährige.
«Seit Anfang 2007 sind in Saudi-Arabien, im Iran, im Sudan und im Jemen mindestens 24 jugendliche Straftäter hingerichtet worden», sagte er.
Innerhalb von Europa vollstreckt einzig Weissrussland noch immer die Todesstrafe. Das Land sei damit automatisch von der Mitgliedschaft in der EU und im Europarat ausgeschlossen.
Der 10. Oktober ist der Welttag gegen die Todesstrafe.
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