Tunesische Asylsuchende kämpfen mit Imageproblem
Kriminelle Asylsuchende haben in verschiedenen Medien für Schlagzeilen gesorgt. Betreuer in den Zentren berichten von sehr "schwieriger Kundschaft". Laut inoffiziellen Polizeistatistiken hat sich die Zahl krimineller Nordafrikaner innert Jahresfrist verdoppelt.
Für Justiz- und Polizeidirektorin Simonetta Sommaruga haben Asylverfahren tunesischer Staatsbürger höchste Priorität. Die Ministerin hat das Problem auch mit dem tunesischen Botschafter in der Schweiz besprochen.
Die Mehrheit der mehr als 2000 Asylsuchenden aus Tunesien sind in diesem Jahr über Italien in die Schweiz gereist. Im südlichen Nachbarland waren auf der Insel Lampedusa seit Beginn des arabischen Frühlings insgesamt 24’500 Tunesier an Land gegangen.
Etwa die Hälfte von ihnen haben gemäss Asylbericht des Bundesamtes für Migration aus humanitären Gründen von Italien eine befristete Aufenthaltsbewilligung erhalten.
In Bewegung
«Weil nur wenige dieser Tunesier in Italien Arbeit gefunden haben, sind viele weiter nach Frankreich oder in die Schweiz gezogen», heisst es im Bericht.
Diese «Italien-Tunesier» erhalten in der Schweiz kein Asyl und werden nach Italien zurückgeschickt, dorthin, wo sie erstmals europäischen Boden betraten. So sieht es auch das Dublin-Abkommen vor, das verhindern will, dass Migranten in mehreren Ländern Europas Asylgesuche einreichen.
Laut Migrationsfachleuten dauert dieses Verfahren aber 7 bis 8 Monate. In dieser Zeit haben einige Tunesier für schlechte Nachrichten gesorgt und laut Simonetta Sommaruga generell dem Ruf der Asylsuchenden geschadet.
Hinter den Schlagzeilen
«Die Polizei im Kanton Zürich hatte es zwischen Januar und Juni 2011 insgesamt mit mehr als 500 straffälligen Nordafrikanern zu tun», schrieb der Tages-Anzeiger Ende Oktober, gegenüber «lediglich» 700 Fällen im Vorjahr. Fast die Hälfte der Delikte im laufenden Jahr gingen aufs Konto von Tunesiern.
Ein Sprecher der Zürcher Polizei bestätigte gegenüber swissinfo.ch die Zahl 500, die aus der Eidgenössischen Statistik hervor gehe. Um welche Delikte es sich dabei handelte und mit wie vielen Straftätern der Kanton Zürich in diesen 6 Monaten insgesamt zu tun hatte, konnte der Sprecher nicht sagen.
Die Zahlen seien nicht ganz richtig, sagt ein Sprecher des Bundesamts für Statistik. Weil die Zahlen erst provisorisch seien, habe das Bundesamt sie noch gar nicht veröffentlicht. Die offizielle Polizeistatistik für 2011, in der die Straftäter nach Nationalität und Wohnsitz erfasst seien, würden erst im März veröffentlicht.
In einem Jahr, in dem die Schweiz mit einem markanten Anstieg der Asylgesuche konfrontiert ist und die eidgenössischen und kantonalen Behörden für Unterkunft und Betreuung kämpfen müssen, sind die negativen Nachrichten über Nordafrikaner Wind auf die Mühlen von lokalen Kampagnen gegen neue und bereits existierende Asylzentren.
Verlorene Sache
Im Kanton Luzern erbringt Caritas im Auftrag der Regierung die Unterkunfts- und Betreuungsdienstleistungen.
«Das hat mit dem tunesischen oder arabischen Frühling nichts zu tun», sagt Giorgio Leuenberger, Direktor des Caritas Asylservice Luzern, gegenüber swissinfo.ch. Die Asylsuchenden, die in diesem Jahr aus Tunesien immigrierten, hätten einen speziellen Hintergrund. «Die meisten von Ihnen sind von Italien gekommen, wo sie am Rand der Gesellschaft und meistens ohne Obdach gelebt hatten. Viele haben Alkohol und andere Drogenprobleme. Und sie erkennen sehr schnell, dass sie hier keine Chance haben», sagt er.
Klagen über schlechte Behandlung seitens der Schweizer Asylbehörden, wie sie einige Tunesier gegenüber verschiedenen Medien geäussert hätten, seien eine gängige Reaktion auch von anderen Landsleuten, die vom Asylverfahren enttäuscht seien, sagt Leuenberger.
Signal
Justizministerin Simonetta Sommaruga will dem Problem mit beschleunigten und verbesserten Rückführungsverfahren gemäss Dublin-Abkommen begegnen, sagte sie Dienstag am Rande des Migrationsforums in Genf gegenüber swissinfo.ch. Sie hob hervor, dass in diesem Jahr bereits 1900 Personen verschiedener Nationen nach Italien zurückgeführt worden seien.
Trotzdem brauche es weitere Aufnahmezentren, um der steigenden Anzahl Asylsuchender in diesem und vermutlich auch im nächsten Jahr gerecht zu werden. «Wir wissen, dass die meisten von ihnen (Tunesier) Migranten sind, die Arbeit suchen, was – angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Tunesien – auch verständlich ist. Aber das Asylsystem ist nicht dafür gedacht», sagte die Ministerin.
«Wir haben alles unternommen, um die tunesischen Asylgesuche so schnell wie möglich zu behandeln, um ein Signal zu senden».
Die meisten Tunesier, die in die Schweiz Asyl suchten, sind aus Italien eingereist.
Laut Bundesamt für Migration haben die Migrationen von Tunesien nach Italien in zwei Phasen stattgefunden. In einer ersten Phase von Februar bis April 2011, in einer zweiten von August bis Mitte September. «Während die italienischen Behörden die Mehrheit der Migranten der zweiten Phase repatriieren konnten, befindet sich die Mehrheit jener, die in der ersten Phase ankamen, immer noch in Europa», heisst es im Migrationsbericht.
Zahlen der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen (Frontex) bestätigen, dass 24’500 Tunesier – «die meisten in der Folge der Unruhen in ihrem Land» – im ersten Halbjahr 2011 in Italien ankamen, bevor ein bilaterales Rückführungsabkommen zwischen Italien und Tunesien abgeschlossen werden konnte.
Rund die Hälfte von ihnen haben, laut Bundesamt für Migration, in Italien aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erhalten.
Zwischen Januar und Oktober 2011 haben 1971 Tunesier in der Schweiz Asyl gesucht. 358 Gesuche waren es 2010, im Jahr vor dem Volksaufstand, der zum Sturz des Diktators Ben Ali führte.
(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler)
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