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«Überraschender Sturz des Königs von Wimbledon»

Roger Federer: Sind die fetten Jahre als bester Tennisspieler der Welt tatsächlich vorbei? Keystone

Das Ausscheiden Roger Federers im Viertelfinale gegen den Tschechen Tomas Berdych ist weit mehr als eine Niederlage: Schweizer Medien sehen den besten Tennisspieler aller Zeiten an einem Wendepunkt in seiner Karriere angelangt.

«Der überraschende Sturz des Königs von Wimbledon» titelt der Zürcher Tages-Anzeiger.

Nach Roland Garros sei Federer nun auch in Wimbledons «Vorgarten oder Wohnzimmer» im Viertelfinale gescheitert.

«Die fetten Jahre sind vorbei», konstatiert der Tagi. Die Niederlage markiere das Ende seiner Dominanz beim prestigeträchtigsten Turnier

«Federer, der erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte, ist menschlich geworden. Oder schlagbar.»

Auf das Powertennis seiner letzten Bezwinger habe der vielseitige Baselbieter jüngst keine Antwort mehr gefunden. Doch sei es verfrüht, Federers sportlichen Nachruf zu verfassen.

Bleibe er gesund, habe der 28-Jährige in den «nächsten zwei, drei Jahren» noch die Mittel, um Grand-Slam-Titel zu gewinnen.

Psychologie

«Ein ungewohnter Abgang»: Auch die Neue Zürcher Zeitung runzelt ob der nachlassenden Leistung des Baselbieters die Stirn und sieht in ihm einen «Mister Perfect mit Rissen».

Sein härtester Gegner lauere möglicherweise gar nicht auf der anderen Seite des Netzes, sondern in Federer selber, psychologisiert die NZZ. Wer jahrelang der Beste gewesen sei, tue sich schwer, sich mit dem Zweitbesten zufrieden zu geben.

«Federers Stern sinkt», schreibt die Aargauer Zeitung und sieht seinen Nimbus als König auf dem Rasen gebrochen. Liege die Ursache tatsächlich in gesundheitlichen Problemen, sei dies nicht tragisch. Denn Potenzial habe er nach wie vor genug. «Es liegt an ihm, die richtigen Schlüsse zu ziehen und es in den entscheidenden Momenten wieder abzurufen.»

Für den Tessiner Corriere Tel Ticino ist Federer am Ende eines Zyklus angelangt. «Der Basler ist nicht am Ende, aber er ist nicht mehr der Star. Er muss sich gegen immer zahlreichere und ehrgeizigere Konkurrenz behaupten. Vielleicht schafft er es von Zeit zu Zeit, uns noch zu überraschen.»

Coach als Elektroschock

Die beiden Westschweizer Zeitungen 24 heures und Tribune de Genève nehmen eine alte Debatte wieder auf und raten Federer zu einem Coach. Und zwar zu einem, der ihm nicht nur auf die Schultern klopfe. «Das wäre der beste Elektroschock, um das trophäenarme Jahr 2010 wieder zu lancieren.»

Daneben machen die beiden Blätter noch einen weiteren Grund für die bisher enttäuschende Saison aus: Die Vaterschaft, die Federer einen Teil seiner Energie geraubt habe.

Gnädiger urteilt die Genfer Zeitung Le Temps, indem sie das Out an der Themse schlicht als «physischen Panne» von London bezeichnet.

Auf die Finger geklopft

Auf dem Boulevard hingegen hat die Demontage des Champions bereits eingesetzt: «Das Ende einer Ära», verkündet der Blick auf der Front mit Ausrufezeichen.

Wenn Federer angesichts seiner Niederlagenserie sage, es hänge bis zum Karrierenende immer noch von ihm ab, ob er siege oder verliere, könne dies als Arroganz ausgelegt werden. «Ein Genie darf alles. Ein Genie mit Schluckauf nicht», spricht ihm der Blick ins Gewissen.

Solche Belehrungen liegen der Neuen Luzerner Zeitung fern. «Ganz ehrlich: Ist das nicht allzu menschlich?», fragt die NLZ, wenn Federer in seinem Spiel die Souveränität und Genialität eingebüsst habe.

Dass er jetzt mehr Fehler mache und häufiger verliere, sei in einem Sportlerleben ein normaler Prozess, an den man sich erst einmal gewöhnen müsse.

Renat Künzi, swissinfo.ch

Federer weist 2010 noch keinen Turniersieg auf.

Am French Open in Paris riss seine einmalige Serie von 23 Halbfinals bei Grand-Slam-Turnieren in Folge.

Erstmals seit 2002 steht er in Wimbledon nicht mehr im Final.

2003 hatte er mit dem ersten von sechs Siegen den Thron im Männertennis bestiegen.

Die Kritiker Federers sollten sich aber hüten, ihn vorschnell abzuschreiben: Nach schmerzlichen Finalniederlagen 2008 in Paris und Wimbledon gegen Rafael Nadal fand der Schweizer 2009 zum Tennis seiner besten Tage zurück und eroberte sich vom Spanier die Position als Nummer 1 zurück.

«Die Niederlage in Wimbledon schmerzt viel mehr als die anderen Niederlagen», kommentierte ein frustrierter Federer sein Wimbledon-Out.

Warum? «Weil es frustrierend ist, wegen Schmerzen im Bein und im Rücken nicht das beste Tennis spielen zu können.»

Er hätte gegen Berdych gewinnen können, glaubte Federer.

«Und gegen Djokovic im Halbfinal hätte ich auch so (mit den Schmerzen) gewinnen können.»

Die Schmerzen im rechten Oberschenkel und im Rücken traten erstmals vor drei Wochen im kräfteraubenden Final in Halle auf, den er gegen Lleyton Hewitt verlor.

Schon im Wimbledon-Startspiel gegen Falla schmerzte sein Oberschenkel wieder.

Diese Schmerzen verschwanden während der ersten Woche, dafür zwickte es ab der dritten Runde gegen Clément im Rücken.

«Ich will sicher nicht die Schuld an der Niederlage auf den Körper abwälzen. Ich war nicht verletzt. Der Oberschenkel schmerzte und der Rücken war etwas steif. Das ist zwar unangenehm, dennoch dachte ich, dass es zum Turniersieg reichen könnte.»

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