Unia schliesst sich europäischem Protest an
Rund 300 Mitglieder der Gewerkschaft Unia nehmen am Dienstag in Strassburg an einer Demonstration gegen die geplanten EU-Dienstleistungs-Richtlinien teil.
Insgesamt 25’000 Personen aus ganz Europa werden erwartet, um gegen die geplante Liberalisierung der Dienstleistungen zu protestieren.
Am 14. Februar beginnt im Europäischen Parlament die Debatte über die Bolkestein-Richtlinien zur Liberalisierung der Dienstleistungen.
Unter dem Titel «Service for the people – Il est temps de changer la directive» – demonstrieren am gleichen Tag Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aus ganz Europa vor dem Europäischen Parlament in Strassburg gegen die Einführung der Richtlinien, da diese zu Sozialdumping führen könnten.
Lohn wie im Herkunftland
Die Dienstleistungs-Richtlinien sind nach dem früheren EU-Binnenmarkt-Kommissar Frits Bolkestein benannt.
Durch sie sollen Unternehmen eines jeden EU-Landes in jedem anderen EU-Land Dienstleistungen anbieten können. Diese Dienstleistungen sollen dann nach den Arbeits- und Lohnbedingungen des Heimatlandes angeboten werden können.
Beispiel: Eine Firma aus einem anderen EU-Land bietet in der Schweiz Pflegedienstleistungen an und bezahlt die Pflegekräfte nach den Bedingungen dieses Landes und nicht nach den in der Schweiz geltenden Tarifen.
Unia, die grösste Schweizer Gewerkschaft, glaubt zwar nicht, dass die Richtlinien in naher Zukunft die Schweiz betreffen werden, denn das Land ist nicht Mitglied der EU. Sie befürchtet aber, dass es künftig schwieriger sein werde, die Arbeitnehmer vor Dumpinglöhnen zu schützen.
«Wir wollen, dass die Schweizer Regierung strenge Vorschriften erlässt, um Lohndumping zu verhindern. Das würde mit den Bolkestein-Richtlinien viel schwieriger», sagt Unia-Sprecher Hans Hartmann gegenüber swissinfo.
Zusätzlicher Druck
Professor Robert Zäch von der Universität Zürich glaubt, dass offene Schweizer Grenzen zuerst einmal die Preise für Waren unter Druck bringen würde. In der Schweiz werde für das selbe Produkt 40% mehr als in der EU bezahlt.
«Wenn der Dienstleistungs-Sektor geöffnet wird, dann kommen die Löhne unter Druck, so gesehen, kann ich die Befürchtungen der Gewerkschaften begreifen. Wenn die Preise 20% bis 40% sinken, kommen auch die Löhne ins Rutschen.»
Deshalb müsse die Hochpreis-Insel Schweiz angegangen werden, sonst wäre eine Öffnung der Grenzen für die Wirtschaft und den Arbeiter unfair, sagt Zäch.
Verträge sind fix
Gemäss Integrationsbüro des Aussenministeriums, muss die Schweiz die Bolkestein-Dienstleistungs-Richtlinien nicht automatisch unterschreiben, wenn sie in der EU Gesetz werden.
Die Schweiz brach die Verhandlungen mit der EU über die Öffnung des Dienstleistungs-Sektors 2003 ab. Die gegenwärtigen Verträge erlauben es einer Person aus dem Ausland, 90 Tage in der Schweiz zu weilen, um Arbeit zu suchen.
«Die heute bestehenden Verträge über den freien Personenverkehr sind festgelegt», sagt Adrian Sollberger vom Intergrationsbüro.
«Gibt es Änderungen in bestimmten Bereichen, welche durch diese Verträge berührt werden, wie etwa den Markt für Dienstleistungen zu öffnen, sind wir frei zu entscheiden, ob wir die neuen EU-Richtlinien übernehmen wollen oder nicht», sagt Sollberger.
Sollberger fügt an, dass die Schweizer Regierung nur mit einer vollumfänglichen Dossierkenntnis in Verhandlungen mit der EU über die Dienstleistungen eintreten würde. Ein entsprechender Bericht an die Regierung werde für den Sommer erwartet.
swissinfo, Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen: Urs Maurer)
Nach den Bolkestein-Richtlinien gelten als Dienstleistungen «gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche entgeltliche Tätigkeiten, die nicht den Vorschriften des freien Waren- und Kapitalverkehrs sowie der Freizügigkeit unterliegen.»
Das wären etwa Handel, Beschäftigungs-Agenturen, Zertifizierungsstellen, Forschungseinrichtungen, Bauunternehmen, Immobilienmakler, Handwerk, Tourismus, Gross- und Einzelhandel, Gastronomie, soziale Fürsorge, Müllabführ, Verkehrssysteme und so weiter. Ausgenommen sind Post, Elektrizität, Gas- und Wasserversorgung.
Die Schweiz hat ein bilaterales Abkommen mit der EU über den freien Personenverkehr.
Flankierende Massnahmen regeln die minimalen Lohn- und Arbeitsbedingungen für ausländische Arbeitnehmer in der Schweiz.
Die Schweiz hat den freien Personenverkehr auf die 10 neuen EU-Länder ausgedehnt. Jedoch die Zahl der Arbeitnehmer bis 2011 bzw. 2014 kontingentiert.
150 Arbeitsinspektoren überwachen die Einhaltung der Massnahmen.
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