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Unicef: Kampf gegen genitale Verstümmelung

Schmerzhaft, frauenverachtend und deshalb in der Schweiz strafbar: Die genitale Verstümmelung, hier von einem Mädchen in Somalia. Keystone Archive

Im Kampf gegen die genitale Verstümmelung von Mädchen müsse das Bewusstsein um diese frauenverachtende Praxis geschärft werden, fordert Unicef Schweiz.

Wer in der Schweiz eine genitale Verstümmelung vornehme, müsse mit bis zu 10 Jahren Haft rechnen, warnt der Schweizer Ableger des UNO-Kinderhilfswerks.

Gemäss Unicef gibt es heute bis zu 130 Mio. Frauen, die Opfer genitaler Verstümmelung wurden. Genitale Verstümmelung ist der Oberbegriff für die Praxis, Mädchen und jungen Frauen Teile ihrer äusseren Geschlechtsteile wie die Klitoris zu entfernen. Praktiziert wird dies vor allem in Afrika, der arabischen Welt und Asien.

Meist wird die Verstümmelung mit einer Rasierklinge oder einem Messer vorgenommen. Die Prozedur kann für die Opfer wegen mangelnder Hygiene und Infektionsgefahr sogar lebensgefährlich werden.

Leiden, ein Leben lang

Anhaltende Folgen der vielfach an noch sehr kleinen Mädchen vorgenommenen Beschneidungen sind unerträgliche Schmerzen beim Sexualverkehr, bei der Menstruation und bei der Entbindung. DieTradition der Genitalverstümmelung wird von der (männlich geprägten) Gesellschaft mit Religion oder einem Kult der Jungfräulichkeit begründet.

Kein Phänomen aus der Ferne

Genitale Verstümmelung ist aber nicht nur ein afrikanisches oder arabisches Phänomen. Gemäss jüngsten Statistiken hat jeder fünfte Gynäkologe in der Schweiz Frauen behandelt, die als Kind verstümmelt worden sind. Die meisten dieser Opfer waren Migrantinnen aus Somalia, Äthiopien und Westafrika.

Unicef Schweiz kann aber nicht sagen, ob Fälle von genitaler Verstümmelung in der Schweiz häufiger sind als in anderen Ländern Europas. «Wir wissen aber, dass in Ländern, wo viele Migrantinnen und Migranten leben, die Häufigkeit von Verstümmelungen entsprechend höher ist», sagt Alexander Rödiger, Sprecher von Unicef Schweiz, gegenüber swissinfo.

Strafverfolgung möglich

Die Hilfsorganisation mit Sitz in Zürich hat eine Studie vorgestellt, bei der es um die Rechtslage bei Fällen von genitaler Verstümmelung geht. Im Fokus stehen die rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten gegen Personen, die eine solche Beschneidung vornehmen.

«Wir wollten wissen, ob das Schweizer Gesetz Kinder beschützen kann, die Gefahr laufen, verstümmelt zu werden», so Rödiger. Dabei kamen die Autoren der Studie zu klaren Erkenntnissen: «Wenn wir herausfinden, dass jemand eine genitale Verstümmelung vornehmen will, kann diese Person davon ausgehen, dass er oder sie hinter Gittern landen wird», erklärt Rödiger.

Ärzte und Eltern

Die Unicef erhofft sich mit diesem Befund eine abschreckende Wirkung. Denn der Organisation sind auch Fälle bekannt, wo Ärzte illegal in die Schweiz eingereist sind, um genitale Verstümmelungen vorzunehmen.

Es sind aber nicht nur Ärzte, die sich strafbar machen. «Oft wissen die Eltern nicht, dass auch sie bestraft werden können, nämlich für das Einverständnis zur Verstümmelung ihrer Kinder», sagt Rödiger. Eltern machten sich auch strafbar, wenn sie und die Kinder für die Prozedur ins Ausland reisten.

Informationen an Einreisende

Unicef appelliert an die Schweizer Behörden, alle einreisenden Migranten zu informieren, dass «Verstümmelungen dieser Art Konsequenzen» hätten.

«Die Bemühungen für eine Sensibilisierung von Eltern aus Ländern wie Somalia und Burkina Faso sollten unbedingt verstärkt werden» so der Unicef-Sprecher weiter. «Denn sie sollen wissen, dass Akte der Verstümmelung verboten sind.»

Arztgeheimnis und Patientenrechte

Ein Hindernis für eine erfolgreiche strafrechtliche Verfolgung sei das Arztgeheimnis, sagte Regula Schlauri. Die Zuger Anwältin ist Co-Autorin des Unicef-Berichts. Denn Gynäkologen,die mit Fällen verstümmelter Frauen konfrontiert seien, müssten dies nicht der Polizei melden.

«In jedem Kanton sind die Bestimmungen verschieden. Generell aber geniessen die Patienten Rechte. Demnach sind Ärzte nicht von Gesetzes wegen zu einer entsprechenden Meldung verpflichtet», so Schlauri.

In der Schweiz ist es bisher noch zu keiner Verurteilung wegen genitaler Verstümmelung gekommen, im Gegensatz etwa zu Frankreich. Im Kanton Genf ist gegenwärtig ein entsprechendes Verfahren hängig. Angeklagt ist ein Vater, der seine zwei Töchter zu einer Operation gezwungen hatte, bei der Teile ihrer Genitalien entfernt wurden.

«Das Hauptproblem ist mangelndes Bewusstsein», sagt Alexander Rödiger. «Oft wissen die Leute überhaupt nicht, dass es genitale Verstümmelungen gibt. Wenn wir dieses Bewusstsein fördern können, werden wir künftig mehr Straffälle vor Gericht erleben», ist er überzeugt.

swissinfo, Ramsey Zarifeh
(Übersetzung aus dem Englischen: Renat Künzi)

Laut Unicef sind jedes Jahr weltweit rund 2 Mio. Mädchen in Gefahr, Opfer von genitaler Verstümmelung zu werden.
Die Organisation schätzt, dass die Zahl der verstümmelten Frauen 130 Mio. beträgt.
In bestimmten Gesellschaften Afrikas und Asiens hat die Verstümmelung von Mädchen und jungen Frauen kulturelle Wurzeln.

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