UNO unter schwerem Beschuss
Der Schweizer UNO-Ermittler, Mark Pieth, hat beim Irak-Hilfsprogramm Öl für Lebensmittel systematische Misswirtschaft festgestellt.
In einem Interview mit swissinfo erklärt er, der Zwischenbericht der Untersuchungs-Kommission könnte die Reform der Vereinten Nationen beschleunigen.
Die UNO hatte das Programm «Öl für Lebensmittel» Ende 1996 gestartet, um Millionen von Irakern zu helfen. Sie litten unter den UNO-Sanktionen, die nach dem Golfkrieg von 1991 gegen den Irak verhängt worden waren.
Das Programm ermöglichte Bagdad, trotz des Wirtschaftsembargos Erdöl zu exportieren und für den Erlös Versorgungsgüter zu importieren – beides unter Kontrolle der UNO.
Unter dem damaligen irakischen Staatschef Saddam Hussein wurden jedoch Milliardenbeträge unterschlagen. Nach der Invasion des Irak unter amerikanischer Führung im Jahr 2003 wurde die Aktion beendet.
Mark Pieth, Professor für Strafrecht an der Universität Basel, ist einer der drei Ermittler, die mit der Untersuchung von Personen und Firmen aus rund 50 Ländern betraut ist, die Saddam geholfen haben sollen, Profit aus dem Programm zu schlagen.
Eines dieser Unternehmen ist die Genfer Warenprüf- und Inspektionsfirma Cotecna, für die der Sohn von UNO-Generalsekretär Kofi Annan arbeitete.
Der Schlussbericht des Untersuchungsausschusses wird Ende Sommer veröffentlicht.
swissinfo: Was sind die wichtigsten Ergebnisse des Zwischenberichts?
Mark Pieth: Wir untersuchten, wie die Verträge für das Öl-für-Lebensmittel-Programm vergeben worden waren. Dabei fanden wir heraus, dass der Prozess stark politisiert war und dass UNO-Angestellte systematisch vorgeschriebene Verfahren umgingen, um einigen Mitgliedsstaaten, insbesondere Ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates, zu gefallen.
Vorwürfe waren auch gegen Benon Sevan erhoben worden, den damaligen Leiter des Programms. Unsere Untersuchungen ergaben, dass er sich bei der irakischen Regierung um einen Vertrag für einen Freund bemüht hatte. Damit befand er sich in einem schweren Interessenskonflikt. Wir wissen nicht, ob er auch selbst Geld erhalten hatte. Aber unsere Ermittlungen in dieser Frage sind noch nicht abgeschlossen.
Wir stellten auch fest, dass bei der Umsetzung des Programms eine Rechnungsführung weitgehend fehlte. Erstens war dieser Bereich drastisch unterfinanziert, und er wurde zudem schlecht geführt. Obwohl einzelne Buchhalter sicherlich gute Arbeit geleistet hatten.
swissinfo: Haben Sie auch die Rolle von UNO-Generalsekretär Kofi Annan untersucht?
M.P.: Für den Zwischenbericht haben wir einen potenziellen Interessenskonflikt von Annan noch nicht durchleuchtet. Auch die Verwicklung seines Sohns mit dem Genfer Unternehmen Cotecna war noch nicht Gegenstand unserer Untersuchung. Das werden die Schwerpunkte des nächsten Untersuchungsberichts sein.
swissinfo: Sie ermittelten in unzähligen Ländern, unter anderem auch in der Schweiz. Waren die Behörden kooperativ?
M.P.: Ja, und zwar durchwegs. Insbesondere der Schweizer Staatssekretär für Wirtschaft war sehr hilfsbereit. Wir erhielten viele Informationen, die wir jetzt systematisch aufarbeiten.
swissinfo: Führten viele Spuren in die Schweiz?
M.P.: Wie viele andere Länder war die Schweiz auf die eine und die andere Weise beteiligt. Offensichtlich hatte es Schweizer Firmen gegeben, die sowohl als Käufer wie auch als Verkäufer von Gütern auftraten.
Dann gibt es da auch noch den Bereich der Banken. Dort untersuchen wir, ob es Leute gab, die ihre Gewinne aus dem Programm dank des Bankgeheimnisses verstecken konnten. Bisher hatten wir bei unseren Ermittlungen mit den Schweizer Banken keine Probleme.
swissinfo: Welche Lehren können aus dem Bericht gezogen werden?
M.P.: Es liegt uns fern, der UNO schaden zu wollen. Wir sehen unsere Arbeit als ersten Schritt in Richtung Reform der Vereinten Nationen. Ich glaube, dass der Bericht sich auf die künftige Führung und Organisation der UNO auswirken wird.
Vor allem angesichts der aktuellen Herausforderungen – sei es Afrika oder die vom Tsunami zerstörten Länder – ist es klar, dass sich die UNO überlegen muss, wie sie sich künftig organisieren will. Und dazu kann ihr unser Bericht einen guten Anstoss geben.
swissinfo-interview: Ramsey Zarifeh
(Übertragung aus dem Englischen: Nicole Aeby)
Das Öl-für-Lebensmittel-Programm dauerte von Ende 1996 bis im November 2003.
Saddam Hussein wird verdächtigt, dabei über 5 Mrd. Dollar unterschlagen zu haben.
Menschen und Unternehmen aus rund 50 Ländern stehen im Verdacht, dem ehemaligen Diktator für entsprechende Gegenleistungen geholfen zu haben.
Der Schweizer Strafrechts-Professor Mark Pieth wurde im April 2004 neben zwei anderen unabhängigen Ermittlern dazu berufen, die Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit dem UNO-Programm «Öl für Lebensmittel» zu untersuchen.
Die Untersuchungs-Kommission wird vom ehemaligen US-Notenbankchef Paul Volcker geleitet. Ihr gehört auch der Südafrikaner Richard Goldstone an, der frühere Chefankläger des UNO-Kriegsverbrechertribunals für Jugoslawien.
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