Vals wegen Zukunft der Zumthor-Therme gespalten
Die Bündner Gemeinde Vals will ihr Thermalbad verkaufen, das nach der Neugestaltung durch den Architekten Peter Zumthor internationales Renommee erlangt hat. Das Dorf ist ob der Zukunft der Therme Vals in zwei Lager gespalten, der Ausgang offen.
Ein Filmregisseur könnte zu einer Melodie von Ennio Morricone greifen, um das Duell zu unterlegen, das sich am 17. Februar im Gemeindesaal der auf 1250 Meter über Meer gelegenen Gemeinde abspielen dürfte.
Zwei Gruppen streiten um den Erwerb der Therme Vals, die für ihre vom Architekten Peter Zumthor entworfenen Bassins aus dem grauen Valser Gneis berühmt wurde.
Der Gemeindeversammlung, an der alle Stimmberechtigten der Gemeinde teilnehmen können, liegen zwei Projekte vor.
Eine Offerte wurde vom 35 Jahre alten Investor Remo Stoffel eingebracht, einem Valser, der heute in Chur lebt. Die zweite kam von Peter Zumthor, der von der Interessengemeinschaft «IG Therme» unterstützt wird.
Die Wahl, vor der die Bürger und Bürgerinnen stehen, bringt viele angesammelte Ressentiments (wieder) an den Tag. In einer nicht untypischen Art für eine kleine Gemeinde (900 Einwohner) in einem engen Tal, wo jeder jeden kennt, und wo kleine Konflikte zwischen Freunden zu fiesen Machtspielen werden können, mit beredtem Schweigen oder dem Geflüster von Verschwörungen.
«Touristen kommen wegen der Architektur»
Die Rede ist von schlecht verdauter Entmachtung, von astronomischen Spesenabrechnungen, irrationellen Persönlichkeiten und von Bürgern, die Angst haben, ihre Stelle zu verlieren. All dies im Zusammenhang mit einem phänomenalen Erfolg, dem Erfolg des von Zumthor entworfenen Thermalbads, das 1996 in Betrieb genommen wurde.
2010 entfielen fast zwei Drittel der Hotelübernachtungen im Dorf auf die Therme Vals. «Es ist klar, dass die Touristen nicht wegen Schnee und blauem Himmel hierher kommen, sondern wegen der Architektur», erklärt ein Mann, der seinen Hund spazieren führt.
Pius Truffer, ehemaliger Präsident des Verwaltungsrats der Therme, und Mitinhaber des Steinbruchs, wo der Valser Steinquarz abgebaut wird, war von der Gemeinde, der Bad und Hotel seit 1983 gehören, beauftragt worden, einen Investor für die Sanierung der Hotelanlage zu finden. Die Sanierung ist zwar nicht dringend. Der allgemeine Zustand der Anlage, deren Zimmer Zumthor ebenfalls neu gestaltet hatte, wird im Licht einer langfristigen Entwicklung jedoch als nicht mehr optimal betrachtet.
Meinungsverschiedenheiten
Da der Verwaltungsrat keinen Investor hatte auftreiben können, und nachdem Meinungsunterschiede zu Tage getreten waren, hatte die Gemeinde das Mandat des gesamten Verwaltungsrats nicht mehr erneuert. Truffer musste danach auch die Co-Direktion der Thermen aufgeben. Kurz vor ihm hatte sich Annalisa Zumthor, die Gattin des Architekten, als Co-Direktorin zurückgezogen.
Einige der Einwohner und Einwohnerinnen verstehen nicht, dass eine – dank den Mineralwasserquellen und Einnahmen aus den Wasserzinsen – vergleichsweise reiche Gemeinde wie Vals die Sanierung einer Anlage, die ihr gehört, nicht selber finanzieren kann. Gemeindepräsidentin Margrit Walker-Tönz sagt dazu: «Es liegt nicht im Zuständigkeitsbereich einer Gemeinde, ein Hotel zu führen.»
Gemeinderat für Projekt von Zumthor
Nach seiner Analyse der eingegangenen Offerten hält der Gemeinderat in der Botschaft an die Gemeindeversammlung fest, die Angebote beider Seiten blieben mangels verbindlicher Investitions-Zusagen ziemlich vage.
Er erachte es aber als «vorteilhaft», dass die Gruppe um Zumthor plane, das Hotel «durch einen Neubau zu ersetzen». Von Bedeutung sei zudem, «dass das Atelier Zumthor & Partner für höchste architektonische Qualität steht».
Unter Berücksichtigung aller Aspekte und in Abwägung aller Vor- und Nachteile empfiehlt der Gemeinderat, auf das Angebot von Zumthors Interessengemeinschaft einzugehen. Es stelle «die bessere Strategie für eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft der Hotel und Thermalbad Vals AG dar».
Die Persönlichkeiten der beiden Kandidaten für die Übernahme von Hotel und Bad könnten kaum unterschiedlicher sein. Skeptiker befürchten, Remo Stoffel werde die Natur des Bades verändern, sei nur am Gewinn interessiert. Dazu kommt, dass gegen Stoffel, der Pius Truffer nahe steht, verschiedene Strafverfahren laufen, unter anderem wegen mutmasslichem Steuerbetrug, wo es um gut 150 Mio. Franken gehen soll.
«Das ist ein schlechter Scherz», sagte Stoffel am Schweizer Fernsehen. Wären die Anschuldigungen seriös, wäre er schon lange schuldig gesprochen worden.
Zudem erklärte er, es sei gut, etwas für seine Heimat tun und dazu beitragen zu können, dass sein Heimatdorf seine Unabhängigkeit bewahren könne. Und heute brauche es «Innovation, neue Kraft. Wir müssen etwas Neues machen, sonst sind wir gar nicht mehr interessant».
Zu reden gegeben hatte auch ein Vorvertrag mit dem Verwaltungsrat der Therme, gemäss dem Stoffel eine Entschädigung hätte erhalten sollen, falls sein Angebot nicht angenommen würde. Diese Vereinbarung sei unterdessen zurückgezogen worden, erklärte die Gemeindepräsidentin Margrit Walker-Tönz.
«Ich würde Stoffel unterstützen», erklärt eine Einwohnerin von Vals. «Aus meiner Sicht hat das Projekt von Zumthor keine Aussicht auf Erfolg.»
«Ich habe mich überzeugen lassen»
Peter Zumthor erklärte seinerseits am Schweizer Fernsehen, er sei erschrocken, als er vom Projekt Remo Stoffels gehört habe. Vor allem weil der Kauf ohne alternatives Angebot sehr rasch hätte über die Bühne gehen können.
«Ich suche normalerweise nicht nach Investoren, das ist nicht mein Beruf. Aber ich habe mich überzeugen lassen, denn ich glaube, dass der Therme mit dem Projekt Stoffel wirkliche Probleme drohen könnten.»
Der Publizist Peter Schmid, ein klarer Anhänger Zumthors, der sich darum bemüht hatte, den Architekten zu einem Engagement zu bewegen, geht noch weiter. «Wir werden die Seele des Ortes verlieren, wenn Stoffel den Zuschlag erhält», befürchtet er. Stoffels Projekt sei der Versuch einer unfreundlichen Übernahme, die allein von wirtschaftlichen Interessen gesteuert werde.
Anfang Februar kündigte der Unternehmer Pius Truffer an, er wolle mit einer Gruppe Investoren unter dem Namen «Valser Gruppe» ein weiteres Projekt vorlegen. Der Termin zur Einreichung von Offerten sei am 20. Dezember 2011 jedoch abgelaufen, rief Gemeindepräsidentin Walker-Tönz in Erinnerung. Der Gemeinderat könne daher auf dieses Projekt nicht mehr eingehen.
Was auch immer am 17. Februar an der Gemeindeversammlung geschehen wird, die Therme Vals dürfte vorerst weiterhin Gäste von nah und fern anziehen. Es gibt nur wenige touristische Sehenswürdigkeiten in der Schweiz, die sich rühmen dürfen, auf ihren Parkplätzen Autos mit Kennzeichen aus praktisch allen Kantonen zu finden, ganz abgesehen von den Wagen mit ausländischen Nummernschildern.
Der Investor Remo Stoffel schlägt der Gemeinde Investitionen in Höhe von rund 50 Mio. Fr. vor. Sein Projekt umfasst einen Hotel-Neubau mit 70 Zimmern, Wellness- und Fitness-Infrastrukturen sowie die Sanierung bisheriger technischer Anlagen. Die Gemeinde soll einen Beitrag von 6 Mio. Fr. an die Investitionen leisten. Insgesamt sollte dieses Projekt 1 Mio. Fr. in die Kasse der Gemeinde spülen.
Die Interessengemeinschaft «IG Therme» um Peter Zumthor setzt sich zusammen aus einem ehemaligen Direktoren des Hotels Therme der von den Gebrüdern Meili (unter ihnen der Architekt Marcel Meili) gegründete Zürcher Firma «da.tu.ma», die innovative Kultur-Projekte unterstützt.
Patrick McKillen, Hauptaktionär der «Luxury Five Star Maybourne Hotel Group», hat Investitions-Interesse am Zumthor-Projekt gezeigt, ebenso der Immobilienfonds der Grossbank Credit Suisse.
Unter dem Titel «Herkunft hat Zukunft» schlägt der aus Basel stammende Zumthor vor, an der Philosophie eines «Autorenhotels» festzuhalten. Das Projekt sieht den Abbruch des Haupthauses des Hotels vor, das durch ein «etwas höheres und etwas längeres», in die Landschaft integriertes Gebäude mit rund 60 Zimmern ersetzt würde.
Die Preise würden im Schnitt um etwa 15% steigen. Mit Blick auf jüngere Gäste soll das Angebot weiterhin auch preisgünstige Zimmer umfassen, wie es in der Projekt-Broschüre heisst.
Das Projekt der «IG Therme› sieht vor, dass 5,6 Millionen Franken in die Kassen der Gemeinde fliessen würden, da bisher auf ein Gesuch um Investitions-Beteiligung der Gemeinde verzichtet wurde. Insgesamt sollen sich die Investitionen – Änderungen vorbehalten – auf rund 45 Millionen Franken belaufen.
Seit ihrer Inbetriebnahme 1996 sind die Einnahmen der neuen Therme Vals im Verlauf der Jahre regelmässig gestiegen.
2001/2002 lag der Umsatz bei etwas über 13 Mio. Fr., 2009/2010 waren es gegen 19 Mio.
Im Gegensatz zu vielen Hotels im Graubünden sei der Sommer für die Therme Vals bedeutender als der Winter, heisst es im letzten Jahresbericht. Aber nach Jahren des Wachstums sei die derzeitige Infrastruktur an eine gewisse Grenze gestossen. Daher wolle man sich mit einem Neubau strategisch neu ausrichten.
Therme und Hotel sind seit 1983 im Besitz der Gemeinde. Da sie notwendige Millionen-Investitionen in die Infrastruktur nicht aufbringen kann, soll die Anlage verkauft werden, mit der Auflage, dass in beträchtlichem Umfang investiert wird.
2009/2010 verzeichneten Hotel Therme und Bad 61’894 Übernachtungen und 166’074 Bäder-Eintritte. 63,4% der Gäste in diesem Zeitraum kamen aus der Schweiz, 16,1% aus Deutschland, 17,3% aus dem übrigen Europa und 3,2% aus weiteren Ländern.
Das Haupthaus des Hotels hat 63 Gästezimmer, dazu kommen 82 weitere Zimmer, die in nahegelegenen Gebäuden gemietet werden. Die Zimmerbelegung liegt bei 75,5%.
Hotel Therme und Bad beschäftigen 164 Personen, 54 davon stammen aus Vals und der Region.
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch