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Velo-Abenteuer «Bern-Peking»: Ab jetzt zu zweit

Julian Zahnd (links) und Samuel Anrig: Unterwegs nach Peking, per Velo. swissinfo.ch

Auf seiner Veloreise von Bern nach Peking hat Julian Zahnd die Osttürkei erreicht. Die Schönheit der Landschaft und die Gastfreundschaft seien Belohnung für die Strapazen, schreibt er im dritten Reisebericht. Für den Rest der Reise radelt ein Freund mit.

13 Tage sind seit İstanbul vergangen. Es waren die 13 anstrengendsten Tage der Tour. Die Strecke, die direkt am Schwarzen Meer entlang führt, ist ein ständiges Rauf und Runter. Vom Meeresniveau aus dirigierte mich die Strasse jeweils auf kürzester Distanz auf eine Höhe von 300 Metern, um mich gleich darauf wieder runter ans Meer zu schicken.

Dieses Prozedere wiederholte sich mehrmals täglich, weshalb mein Fahrradcomputer am Ende des Tages bis zu 2000 Höhenmeter anzeigte, und meine Energiespeicher entsprechend leer waren. Besonders tückisch: Die Steigungen waren auf der groben Strassenkarte nicht ersichtlich. So konnten 30 Kilometer, die man unter «normalen» Bedingungen innerhalb knapp zweier Stunden abradelt, zum Halbtagesprojekt werden, was nicht immer motivierend war.

Natürlich wurden die Strapazen gebührend honoriert: Spektakulärer Ausblick aufs unendliche Blau des Meeres und auf menschenleere Strände. Und weil der Tourismus im Norden (noch) keine Massen anzieht, interessieren sich viele Einheimische sehr für die fremden Radler. Bei den unzähligen Tees, die mir offeriert wurden, bekam ich einen spannenden Einblick ins traditionelle Dorfleben.

Ab Samsun zu zweit

In Samsun habe ich meinen Freund Samuel Anrig empfangen, der mit dem Flugzeug von der Schweiz in die Türkei nachgereist ist. Er begleitet mich für den Rest der Reise. Samsum ist zwar gross, aber längst nicht so lebendig, wie man sich dies von anderen türkischen Städten gewohnt ist. Deshalb radeln wir nach kurzem Aufenthalt weiter. Es folgen ein paar Kilometer der flachen Hauptstrasse entlang, bevor wir ins Landesinnere Richtung Erzurum pedalen.

Hier beginnt das Hochland der Osttürkei. Die Landschaft wandelt sich rasch, karges Buschland löst die üppigen Wälder des Küstengebietes ab. Die Gegend ist wunderbar friedlich und erinnert uns an Bilder der Mongolei.

Auch wenn wir dies nie erwartet hätten: Im türkischen Hochland nimmt die ohnehin schon enorme Gastfreundlichkeit nochmals zu. Wir passieren kaum noch eine Ortschaft, ohne zum Tee eingeladen zu werden. In Çat, einem idyllischen Städtchen, nimmt uns ein Türke mit in eine Art Koranschule, wo uns grosszügig Einblick gewährt wird.

Nachdem wir im Kreise sitzend eine süsse Delikatesse und Kaffee serviert bekommen haben, beginnt der Älteste der Runde zu erzählen und es wird still. Von Pakistan berichtet er, vielmehr verstehen wir leider nicht von seinem Türkisch. Die Schüler aber lauschen gebannt, manchmal wird gelacht, oft auch nur gestaunt.

Als wir uns – die Frage nach weiteren Wünschen verneinend – verabschieden, erklärt uns einer der älteren Schüler, es sei für sie nicht befriedigend, uns ohne Geschenk gehen zu lassen. «Wir haben das Gefühl, euch nicht genug geboten zu haben», meint er. Wir sind sprachlos. 

Geteert und gefedert

Obwohl wir uns die meiste Zeit auf einer Höhe von 2000 Metern über Meer bewegen, ist es brütend heiss. So heiss, dass sogar der Asphalt schmilzt.

An einem Tag sind die Strassenverhältnisse besonders tückisch. Pechschwarzer, von der Hitze bereits flüssiger Strassenbelag wechselt sich ab mit Schotter. Die losen Steine haften an den klebrigen Rädern so gut, dass man das Gefühl hat, soeben geteert und gefedert geworden zu sein.

Nach ein paar schuttbeladenen Kilometern sind wir ziemlich fertig. In diesen Momenten wünschte man einfach nur gemütlich in einem Bistro etwas Kühles zu sich nehmen zu können. Zum Glück gibt es solche Momente in der Türkei nur selten.

«Hello», tönt es hier und dort, und man wird neugierig begutachtet. Weil die Leute in den meisten Gegenden kaum Englisch sprechen, muss dann der Rest der Konversation zwangsläufig auf Türkisch weitergeführt werden. Was oftmals lustig ist, kann in oben beschriebenen Momenten auch ziemlich anstrengend sein.

Auch während der Fahrt bleibt es selten ruhig, denn ob als Warnung, Gruss oder aus Gründen, die wir nicht verstehen: Gehupt wird fast immer und nicht selten führen wir kurze Dialoge mit interessierten Autofahrern.

Am Ende unseres Aufenthalts in der Türkei schauen wir auf eine unglaublich ereignisreiche Zeit zurück. Das Land ist geografisch so vielfältig und die Leute so wohlwollend, dass ich schon jetzt glaube sagen zu können, nicht das letzte Mal hier gewesen zu sein.

Julian Zahnd, Osttürkei

Aus Liebe zur Freiheit, zur Ökologie und zur sportlichen Betätigung entschied sich Julian Zahnd für eine Reise mit dem Velo von Bern nach Peking.


In Samsun am Schwarzen Meer ist sein Freund Samuel Anrig dazu gestossen. Er wird Julian für den Rest der Reise begleiten.
 
Julian war am 27.04.2011 in Bern gestartet. Die Route führt über Italien in die Länder des Balkans. In diesen Tagen haben die Velo-Abenteurer die Ostgrenze der Türkei erreicht.

Weiter geht es nach Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Kirgistan und China bis Peking.
 
Die Route – insgesamt 14’000 km – verläuft über weite Strecken der ehemaligen Seidenstrasse entlang.
 
Die Abenteurer wollen pro Tag rund 100 km zurücklegen, um ihr Ziel im November zu erreichen.

Der Berner Velo-Abenteurer ist 26 Jahre alt. Im Herbst 2010 hat er sein Studium in Politologie und Geschichte abgeschlossen.

  

Nebst Musik und Sport ist das Reisen seine Leidenschaft, vor allem per Fahrrad.

Der Berner hat in den letzten Jahren bereits die Strecken Zagreb-Tirana sowie Granada-Bern per Rad zurückgelegt.

Die gegenwärtige China-Radreise ist für ihn die mit Abstand längste Tour.

Samuel Anrig ist 27 Jahre alt und hat soeben sein Geografiestudium an der Universitaet Bern abgeschlossen.

Der Reiseliebhaber begleitet Julian Zahnd auf der Strecke Samsun (Türkei) – Peking. Vor wenigen Jahren sind die beiden bereits von Zagreb nach Tirana geradelt.

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