Veloreise Bern-Peking: Hartes Pflaster Kirgistan
Als wir in die kleine Strasse abbogen, dachten wir, das Geholper würde bald vorübergehen. Schliesslich verbrachten wir auf unserer Fahrt durch Kirgistan mehr als eine Woche auf Schotterstrassen. Teilweise konnten wir uns kaum auf unseren Rädern halten.
Kirgistan hat uns mächtig zugesetzt. Das Land ist zwar wunderschön, und es gab kaum einen Flecken, an dem wir nicht Gefallen fanden. Die Infrastruktur war jedoch derart spärlich und die Strassen so verkümmert, dass unser einmonatiger Aufenthalt zur Herausforderung wurde.
Ausgerechnet hier, wo wir dermassen auf Nahrung angewiesen waren, gab es kaum Auswahl an Esswaren. Viele Dörfer wiesen weder Läden noch Restaurants auf, und manchmal standen nebst Unmengen an Alkohol lediglich Trockenbiskuits, vielleicht noch etwas Reis im Sortiment. Karge und oft unbefriedigende Mahlzeiten waren die Folge.
Strapazen ohne Ende
Zusätzlich strapaziös waren die Höhe, die Topografie des Landes und die kalten Nächte. Die letzte Woche bewegten wir uns meist zwischen 2000 und 4000 Metern über Meer und uns stellten sich etliche Pässe in den Weg.
Auf der Höhe des letzten Passes ging mir buchstäblich der Atem aus. In der Nacht fielen die Temperaturen teilweise in den Minusbereich, und wir waren froh um unser gutes Material.
Das Tiefdruckgebiet, das uns nahe der Grenze zu China etwas Regen bescherte, breitete sich schliesslich auch in uns aus. Wir sehnten uns nach allem, was auch nur den Hauch von Luxus bedeutete: Eine warme Dusche, ein Bett, Pizza, eine Massage oder einfach Nichtstun und Kaffee trinken.
Zum Glück war die chinesische Stadt Kashgar in Reichweite. Wir wollten so schnell wie möglich dorthin gelangen.
Essen und Schlafen – ein Luxus
Mittlerweile haben wir das von uns herbeigesehnte Paradies Kashgar erreicht und verwöhnen uns seit ein paar Tagen mit gutem Essen und viel Schlaf. Immer wieder sind wir erstaunt darüber, wie unterschiedlich Nachbarländer sein können.
In Kirgistan noch bestanden die mittelgrossen Orte oftmals aus lose angeordneten Häusern, ein Zentrum war kaum erkennbar, alles war schläfrig und ruhig.
Derweil ergiesst sich über uns bereits in der ersten grösseren Siedlung Chinas ein Regen von Leuchtreklamen. Wir werden Zeugen des Baubooms und der Konsumfreude der Leute.
Kirgistan ist beinahe eine Welt entfernt, doch die Erinnerungen sind noch sehr präsent. Das Land scheint von jenen zentralasiatischen Ländern, die wir besucht haben, am meisten durch die Russen beeinflusst worden zu sein.
Problem Alkohol
Davon zeugen die weit verbreitete kyrillische Schrift und die Sprache, aber auch die Trinkgewohnheiten der Kirgisen. Wenn wir idyllisch gelegene Dörfer durchquerten, trafen wir nicht selten schon mittags mehrheitlich betrunkene Männer an, die in den Strassen herumtorkelten und uns hinterherlallten.
Die Gründe für eine solche Entwicklung zu finden, ist eine komplexe Angelegenheit, doch einen gewichtigen Grund glauben wir in den tiefen Alkoholpreisen gefunden zu haben.
Eine Flasche hochprozentiger Schnaps kostet 70 kirgiesische Som, das sind umgerechnet knapp 1.50 Franken. Lebensmittel waren wie gesagt in den ländlichen Gegenden nicht einfach zu finden, Alkohol wurde jedoch praktisch überall in Hülle und Fülle angeboten.
Wunderbare Landschaft
Auch wenn die Reise durch Kirgistan teilweise beschwerlich war, so können wir doch viel Positives aus dem einmonatigen Aufenthalt ziehen. Die Landschaften, die sich uns boten, waren bezaubernd. Wir waren der Natur wohl selten so nah und spürten sie so intensiv wie in diesem Land.
Zudem wurde uns in oben beschriebenen unbequemen Momenten wieder bewusst, was Luxus bedeutet und wie glücklich wir uns schätzen können, in einem wohlhabenden Land wie der Schweiz zu leben.
Aus Liebe zur Freiheit, zur Ökologie und zur sportlichen Betätigung entschied sich Julian Zahnd für eine Reise mit dem Velo von Bern nach Peking.
In Samsun am Schwarzen Meer ist sein Freund Samuel Anrig dazu gestossen. Er begleitet Julian für den Rest der Reise.
Julian war am 27.04.2011 in Bern gestartet. Die Route führt über Italien in die Länder des Balkans. In diesen Tagen radeln die Velo-Abenteurer durch Turkmenistan nach Kirgistan.
Weiter geht es durch Kirgistan und China bis Peking.
Die Route – insgesamt 14’000 km – verläuft über weite Strecken der ehemaligen Seidenstrasse entlang.
Die Abenteurer wollen pro Tag rund 100 km zurücklegen, um ihr Ziel im November zu erreichen.
Der Berner Velo-Abenteurer ist 26 Jahre alt. Im Herbst 2010 hat er sein Studium in Politologie und Geschichte abgeschlossen.
Nebst Musik und Sport ist das Reisen seine Leidenschaft, vor allem per Fahrrad.
Der Berner hat in den letzten Jahren bereits die Strecken Zagreb-Tirana sowie Granada-Bern per Rad zurückgelegt.
Die gegenwärtige China-Radreise ist für ihn die mit Abstand längste Tour.
Samuel Anrig ist 27 Jahre alt und hat soeben sein Geografiestudium an der Universitaet Bern abgeschlossen.
Der Reiseliebhaber begleitet Julian Zahnd auf der Strecke Samsun (Türkei) – Peking. Vor wenigen Jahren sind die beiden bereits von Zagreb nach Tirana geradelt.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch