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Verjährung für pädophile Taten soll bleiben

Gegenvorschlag statt Verjährungsstopp bei Pädophilie?

Der Nationalrat, lehnt es ab, die Verjährung für sexuelle Straftaten an Kindern aufzuheben und hat sich deshalb gegen eine entsprechende Volksinitiative ausgesprochen.

Zustimmung fand ein Gegenvorschlag, der eine verlängerte Bedenkzeit für die Opfer vorsieht. Demnach sollen Opfer von sexuellen Üebergriffen im Kindesalter ihre Peiniger neu bis zum 33. Lebensjahr anzeigen können.

Der Nationalrat, die grosse Kammer im Parlament, hat am Donnerstag die Volksinitiative «für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern» mit 137 zu 40 Stimmen abgelehnt.

Mit 178 zu 0 Stimmen akzeptierte er einen Gegenvorschlag des Bundesrats. Dieser räumt den Opfern von Straftaten an Kindern eine Bedenkfrist bis zur Mündigkeit ein, also bis 18. Lebensjahr. Erst dann beginnt die Verfolgungs-Verjährungsfrist von 15 Jahren zu laufen.

Die im Kindesalter Misshandelten können demnach bis ihrem 33. Altersjahr die einstigen Peiniger anzeigen.

Nach geltendem Recht läuft ab der Tat eine 15-jährige Verjährungsfrist, die spätestens mit dem 25. Altersjahr des Opfers endete.

Nicht nur gegen sexuelle Integrität

Kommt hinzu, dass der Gegenvorschlag nicht nur Delikte gegen die sexuelle Integrität von Kindern erfasst, sondern sämtliche Delikte gegen Leib und Leben von unter 16-Jährigen.

Die Änderungen sollen ins Strafgesetzbuch und ins Militärstrafgesetzbuch aufgenommen werden. Sie entsprechen den Regelungen in den meisten europäischen Ländern.

Nicht gelten soll die Regelung, wenn Täter und Opfer zum Tatzeitpunkt minderjährig waren. In solchen Fällen kommt weiterhin das Jugendstrafrecht zum Tragen: Klagen sind bis zum 25. Altersjahr möglich.

Unklare Initiative

Die Bedenken wegen der rechtlich problematischen Begriffe «pornografische Straftaten» an Kindern «vor der Pubertät» sowie die fehlende Unterscheidung zwischen Minder- und Volljährigen in der Initiative überwogen im Rat.

Die Pubertät träte individuell unterschiedlich ein, und ihr Zeitpunkt sei im Nachhinein schwer zu bestimmen.

Auch sah eine Mehrheit nicht ein, weshalb die Unverjährbarkeit von Völkermord, Kriegsverbrechen und Terror auf pädophile Akte ausgedehnt werden sollte.

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Volksinitiative

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Volksinitiative erlaubt den Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden. Darauf kommt die Vorlage ins Parlament. Dieses kann eine Initiative direkt annehmen, sie ablehnen oder ihr einen Gegenvorschlag entgegenstellen. Zu einer Volksabstimmung kommt es…

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Problem der Beweislage

Werde eine Straftat mit jahrzehntelanger Verzögerung angezeigt, stelle sich das Problem der Beweislage. Die Wunden des Opfers würden bei einem Freispruch des Täters aus Mangel an Beweisen wieder aufgerissen.

Das Initiativkomitee hatte bereits bei der Vorlage des bundesrätlichen Gegenvorschlags angekündigt, das Begehren nicht zurück zu ziehen.

Berufsverbot für pädophile Täter

Im weiteren gab die Grosse Kammer trotz rechtlicher Bedenken zwei parlamentarischen Initiativen aus den Reihen der CVP Folge. Der Walliser Präsident der Christlich-demokratischen Volkspartei, Christophe Darbellay, verlangte in seiner Vorlage, wegen Pädophilie Verurteilte seien mit einem zehnjährigen Verbot für eine Arbeit mit Kindern zu belegen. Der Rat hiess die parlamentarische Initiative mit 94 zu 86 Stimmen gut.

Die Initiative der CVP-Parlamentarierin Chiara Simoneschi-Cortesi verlangt die obligatorische Vorlage eines Strafregisterauszugs bei einer Arbeit mit Kindern unter 16 Jahren – sei es professionell oder freiwillig in einem Verein. Der Rat gab dem Begehren mit 97 zu 79 Stimmen Folge.

Eine Initiative des Wallisers Oskar Freysinger (SVP) scheiterte dagegen mit 94 zu 83 Stimmen. Freysinger wollte, dass eine Verurteilung wegen pädophiler Delikte nicht aus dem Strafregister getilgt werden kann.

«Schludrige» Texte bei parlamentarischen Initiativen

Der freisinnige Kommissionssprecher Kurt Fluri warnte bei den parlamentarischen Initiativen, die «schludrigen Texte» liessen sich wegen ihrer absoluten Form ohne gravierende Mängel nicht in Gesetzestexte umgiessen. Allgemein seien sie unverhältnismässig.

So unterschieden Simoneschi-Cortesi und Darbellay nicht zwischen Minder- und Volljährigen. Darbelleys Berufsverbot als zwingende Nebenstrafe schränke die individuelle Schuldzumessung durch den Richter ein. Die Vorlagen gehen an den Ständerat.

swissinfo und Agenturen

Laut Unicef werden 10 bis 20% der Menschen während ihrer Kindheit Opfer sexueller Aggressionen.

Der Grossteil dieser Missbräuche bleibt ungestraft.

Gemäss dem Europarat variieren die statistischen Prozentzahlen bei Mädchen von 7% (Irland) bis 36% (Österreich), bei Knaben von 3% (Schweiz) bis 27% (Grossbritannien).

Der Begriff stammt aus dem Griechischen (pais – Knabe, Kind / philia – Freundschaft) und bezeichnet die primäre erotisch-sexuelle Neigung Erwachsener zu Kindern vor der Geschlechtsreife. Das sexuelle Interesse kann sich dabei auf Kinder beiderlei Geschlechts beziehen.

Der Begriff wurde 1896 vom Wiener Psychiater Richard von Krafft-Ebing eingeführt und definiert. Heute verwendet man oft das modernere Wort Pädosexualität, auch deshalb, weil der Wortbestandteil «philia» (Freundschaft) als zu verharmlosend empfunden wird.

Pädophilie bzw. Pädosexualität steht in den meisten Ländern als sexueller Missbrauch von Kindern unter Strafe, wobei nicht die sexuelle Orientierung an sich, sondern deren Ausleben strafrechtlich verfolgt wird.

Marche Blanche verlangt, dass ein neuer Artikel in die Bundesverfassung aufgenommen wird «für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern».

Der Verein kämpft seit Jahren für den Ausbau der Bundesstellen, um den Kampf gegen die Pädokriminalität zu verstärken.

Zudem soll ein Bundesamt für die Familie geschaffen werden.

Der unpolitische und überkonfessionelle Verein wurde 2001 von besorgten Eltern gemäss Vorbild ähnlicher Organisationen in Belgien gegründet.

Marche Blanche organisiert jährliche Schweigemärsche in Schweizer Städten.

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