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Verspätete Diagnose begünstigt HIV-Verbreitung

HIV im Anfangsstadium ist schwierig zu diagnostizieren. Keystone

Weil Ärzte HIV-Infektionen nicht früh genug diagnostizieren, könnte sich das Virus schneller ausbreiten, zeigt eine Studie aus Zürich.

Die Studie untersuchte 62 Patientinnen und Patienten: Nur bei einem Viertel der Fälle tippte der Doktor oder die Doktorin auf HIV-Infektion.

«Wir haben herausgefunden, dass 72,5% der akuten HIV-Infektionen beim ersten Arztbesuch nicht als solche erkannt werden», sagte Huldrych Günthard, Leiter der Studie der Abteilung Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich, gegenüber swissinfo.

Laut Günthard ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine frisch infizierte Person innerhalb der ersten drei Monate das Virus weiter gibt, sehr hoch. In dieser so genannten akuten Phase reagiert das Immunsystem nicht auf das Virus.

«Studien zeigen, dass 30 Prozent der Neuinfektionen von Infektionen im akuten Stadium herrühren. Akute Fälle geben das Virus einfacher weiter, weil sie viel mehr vom Virus in Blut und Samen haben.»

Schwierige Diagnose

Darum sei es zentral, dass Neuinfektionen früh als solche diagnostiziert würden: «Damit wir die Ausbreitung von HIV/Aids verhindern können.»

Der Studienleiter sagt, dass die neue Studie die Erkenntnisse auf der ganzen Welt stützen würden und auch auf die ganze Schweiz angewendet werden können. «Warum sollte die Situation in Bern oder anderen Teilen der Schweiz anders sein als jene in Zürich?», fragt er. «Ich meine, es ist im ganzen Land ähnlich.»

Den Ärztinnen und Ärzten will er die Schuld an der tiefen Rate von HIV-Diagnosen nicht geben, diese seien schwierig zu diagnostizieren. Die frühen Symptome wie Fieber, Durchfall oder Aften seien oft auf häufigere Erkrankungen zurück zu führen.

Arzt sollte fragen

«Wenn jemand eine Virus-Infektion hat, muss der Arzt oder die Ärztin nach HIV fragen. Wenn es gerade eine Grippe-Epidemie gibt, wird es wohl die Grippe sein. Aber wenn jemand gerade von den Ferien zurück gekommen ist, dann sollte es medizinische Praxis sein, zu fragen.»

Nicht alle Patientinnen und Patienten würden dem Doktor sagen, dass sie ein HIV-Risiko eingegangen sind. «Aber sie sagen es, wenn sie gefragt werden.»

HIV-Test bei jedem Doktorbesuch

Bei der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Medizin (SSAM) stellt man diese Ergebnisse nicht in Frage, sie sei «möglich».

Aber: «Damit die Rate von Nicht-Diagnosen fallen würde, wäre ein HIV-Test bei jeder Konsultation notwendig», sagte SSAM-Präsident Hansueli Späth gegenüber swissinfo.

«Die Diagnose mit einem HIV-Test ist einfach. Das Problem ist, ob der Test durchgeführt werden soll, wenn ein anderer Grund die Konsultation nötig macht. Ist das im Interesse der Patienten? Wer bezahlt, wer hat Zeit? Haben die Patienten zugestimmt?»

Bessere Kommunikation

Die Schweizer Aidshilfe fordert bessere Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten. «Wir empfehlen Patientinnen und Patienten, an die Möglichkeit von HIV zu denken und wir bitten Hausärzte und –ärztinnen, danach zu fragen», sagte deren Sprecher Thomas Lyssy. «Es ist wichtig, dass es zum Dialog kommt.»

«HIV und Aids betreffen all gleich, egal ob sie reich oder arm, jung oder alt sind. Stellen Sie sich einen Hausarzt vor, der einen 72-Jährigen wirkungslos wegen einer Grippe behandelt – würde der Doktor an HIV denken?»

swissinfo, Matthew Allen
(Übertragen aus dem Englischen: Philippe Kropf)

Die Anzahl HIV-Neuinfektionen ist im ersten Halbjahr 2005 auf 343 gefallen. In der Vergleichsperiode vom vergangenen Jahr waren es laut Gesundheitsministerium noch 369 Fälle.

Bis Ende Juni 2006 läuft eine Untersuchung, wie und wo sich Menschen in der Schweiz mit HIV infizieren. Das soll die Prävention verbessern.

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