Vladimir Petkovic und die Kraft der Integration
Der Kroate Vladimir Petkovic ist erfolgreicher Trainer des Fussballclubs Bellinzona. Am Sonntag konnte sich der Leader der Challenge League aber im Cupfinal gegen den FC Basel nicht durchsetzen.
Er spricht perfekt Italienisch, aber zu Hause in der Familie ist Kroatisch die Hauptsprache geblieben: «Natürlich sprechen meine Töchter untereinander Italienisch. Aber ich finde es wichtig, unsere kulturelle Identität aufrecht zu erhalten. Es ist eine Bereicherung und kein Hindernis bei der Integration», argumentiert Petkovic.
Der Trainer der AC Bellinzona kennt das Thema der Integration gut. Vor 20 Jahren kam er von Sarajevo in die Schweiz und spielte danach als Profi-Fussballer in diversen Klubs in allen Landesteilen.
Seit einigen Jahren lebt Petkovic im Tessin. Als Trainer erreicht er mit seinen Mannschaften sehr gute Resultate. Dabei ist dies nicht seine Hauptbeschäftigung, denn er ist zu 100% für Caritas Tessin tätig.
Wir trafen ihn in Bellinzona, in einem entscheidenden Moment der Fussball-Saison: Die von ihm trainierte Mannschaft der Tessiner Kantonshauptstadt ist Tabellenführer der Challenge League (zweitoberste Spielklasse) und könnte bald in die Super League aufsteigen. Am Sonntag, 6. April, verlor die ACB in einem pakenden Cup-Final gegen den FC Basel 1:4.
swissinfo: Hat sich Ihre Art, Trainer zu sein, in den letzten Jahren verändert?
Vladimir Petkovic: Ich bin von Natur aus sehr präzise, fast pingelig. Am Anfang meiner Trainerkarriere war ich sehr hart. Ich lebte irgendwie in einer anderen Welt. Ich trainierte eine Mannschaft der 1. Liga wie Malcantone Agno, aber verlangte von den Spielern ein Verhalten wie in der Champions League!
Mit der Zeit habe ich dann gelernt, das Gespräch mit den Spielern zu intensivieren. Es ist einfach notwendig, dass man individuelle Kontakte mit den Spielern aufbaut. In diesem Sinn hat sich meine Art zu führen sehr geändert.
swissinfo: Welche Rolle spielt in dieser Entwicklung Ihre Arbeit bei der Caritas?
V.P.: Neben dem Fussball habe ich eine Ausbildung als Erwachsenenbildner absolviert, habe unterrichtet und mit Arbeitslosen gearbeitet. Das hat mir erlaubt, die unterschiedlichsten Personen kennenzulernen und zu verstehen, dass man die jeweilige Sprache dem Gegenüber anpassen muss.
Dies hat mich persönlich sehr bereichert, insbesondere im Hinblick auf die Führung von Gruppen und in Fragen der Konfliktlösung. Und diese Erfahrungen erwiesen sich wiederum als äusserst nützlich für meine Arbeit als Trainer. Denn Fussball ist nicht nur eine physische Aktivität. Es braucht auch eine adäquate mentale Vorbereitung.
Mittelfristig würde ich allerdings gerne hauptberuflich nur noch als Trainer tätig sein. Denn beide Aktivitäten zusammen sind zu viel, vor allem aus mentaler Sicht.
swissinfo: Inwieweit kann Fussball als Integrations-Instrument nützlich sein?
V.P.: Das kann äusserst wichtig sein, denn die Leute betrachten bekannte Persönlichkeiten – wie einen Fussballer – mit anderen Augen. Das Herkunftsland einer Person rückt in den Hintergrund, und die Integration wird erheblich erleichtert.
Aber Achtung: All dies reicht nicht, wenn beim Athleten nicht ein wirklicher Wille zur Integration vorhanden ist. Um wirklich in eine neue Realität integriert zu sein, muss man das Anderssein akzeptieren, auch wenn es vielleicht störende Aspekte gibt. Das gilt übrigens für Sportler genauso wie für normale Bürger.
Diese mentale Haltung ist absolut unerlässlich für eine Sportkarriere im Ausland, aber auch für die menschliche und berufliche Entwicklung abseits des Spielfelds.
swissinfo: Wenn in der Schweiz aufgewachsene Spieler mit ausländischen Wurzeln nicht für das helvetische Nationalteam spielen, gibt es häufig heftige Diskussionen. Steckt dahinter mangelnde Integration?
V.P.: Es handelt sich in erster Linie um eine sportliche, aber auch um eine finanzielle Frage. Wer für bestimmte Nationalmannschaften spielt, erhält als junges Talent eine grössere öffentliche Aufmerksamkeit. Diese Chance wollen einige Spieler nutzen.
Ich bin mir bewusst, dass in dieser Frage die Emotionen eine starke Rolle spielen, trotzdem bin ich der Meinung, dass sportliche und finanzielle Motive ausschlaggebend sind. Man sollte auch die Agenten der Spieler nicht vergessen, die ihre Schützlinge bei ihren Entscheidungen zu wirtschaftlich attraktiven Angeboten drängen.
swissinfo: Bellinzona kämpft um den Aufstieg in die höchste Liga und steht im Final des Schweizer Cups. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
P.V.: Die Pflege der Details. Im modernen Fussball macht genau dies die Differenz aus. Dazu gehört auch der mentale Aspekt und die Kontrolle der Emotionen. Denken wir an den Cup-Final: Nur sehr wenige meiner Spieler haben je vor einem Publikum mit Tausenden von Fans und Zuschauern gespielt. Es wird entscheidend sein, sich gut zu konzentrieren, vor allem am Anfang der Partie.
Zudem darf man sich nie auf den Lorbeeren ausruhen. Ich sage meinen Spielern immer, das wichtigste Ziel sei das nächste Spiel. Ich persönlich muss natürlich langfristig denken, aber die Spieler müssen sich vollständig auf das nächste Spiel konzentrieren und im Jetzt leben.
swissinfo: Wie beurteilen Sie die Nationalmannschaften von Kroatien und der Schweiz in Hinblick auf die Endrunde der Europameisterschaft?
V.P.: Kroatien verfügt über sehr starke Spieler. Und alles ist möglich. Sehr viel hängt davon ab, wie stark die Mannschaft während des Turniers einen Gruppengeist entwickeln kann. Es ist sicherlich keine Mannschaft, die als Favorit ins Titelrennen geht, aber sie hat das Zeug, um jedem Gegner die Stirn zu bieten.
Für die Schweiz gilt eigentlich der gleiche Diskurs. Der technische Standart der Schweizer Nati ist vielleicht weniger ausgeprägt als bei Kroatien, wird aber sicherlich durch den Enthusiasmus des Publikums weitgehend kompensiert werden. Alles hängt von den ersten Spielen ab. In meiner Karriere konnte ich immer feststellen, dass einem der Erfolg viel Energie für weitere Erfolge gibt.
swissinfo, Andrea Clementi, Bellinzona
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Karriere als Fussballtrainer:
Malcantone Agno:
Aufstieg in die Challenge League 2003, 4. Platz 2004.
AC Lugano:
8. Rang in der Challenge League 2005.
AC Bellinzona:
9. Rang in der Challenge League 2006, 2. Rang 2007 (Niederlage in den Barrage-Spielen für den Aufstieg).
Die Mannschaft verlor am 6. April im Cupfinal gegen Basel 1:4.
Zudem spielt Bellinzona um den Aufstieg in die Super League.
Petkovic – 1963 in Sarajevo geboren und Sohn eines Lehrerehepaars – wird 1985 mit dem Klub seiner Heimatstadt nationaler Fussballmeister.
Zwei Jahre später wechselt er als Fussball-Profi in die Schweiz. Auch seine Schwester, eine Handballerin, emigriert und wird Trainerin in Frankreich.
In der Schweizer Meisterschaft absolviert er 17 Saisons als Profi. Er spielt in Chur, Sion, Martigny, Bellinzona und Locarno.
Danach wird er Trainer von Buochs, Malcantone Agno (später AC Lugano) und schliesslich Bellinzona.
Vladimir Petkovic lebt in Locarno, ist verheiratet und zweifacher Familienvater.
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