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Vom Glück gesegnet?

Kommen sie, die richtigen Zahlen für den ultimativen Gewinn? Keystone

Wer möchte nicht mit Gold überschüttet werden, wenn der Lottojackpot mit Dutzenden von Millionen lockt? Der Psychoanalytiker Mario Gmür, Glücksspiel- und Kasinokritiker der ersten Stunde, erklärt, ob ein grosser Gewinn wirklich Glück bedeutet.

Das Schweizer Zahlenlotto hat seine Millionen nun ausgeschüttet: Ein glücklicher Gewinner hat auf die sechs richtigen Swiss Lotto-Zahlen getippt. Er gewinnt damit den stolzen Betrag von knapp über 15 Millionen Schweizer Franken, wie am Samstag bekannt wurde. Das ist der zweithöchste Gewinn in der fast 40-jährigen Geschichte des Schweizer Zahlenlottos. Den Rekordgewinn gab es 1990 mit knapp 18,2 Millionen Franken.

swissinfo.ch: Diese Woche gab es den zweithöchsten Gewinn in der Gechichte des Schweizer Zahlenlottos. Fast jeder möchte mal Lottomillionär werden. Bedeutet ein Glücksspielgewinn tatsächlich Glück?

Mario Gmür: Ein Glücksspielgewinn bedeutet insoweit Glück, als er auf Grund des Zufallsprinzips zugesprochen worden ist. Der Glücksspieler hat den Eindruck, er habe zu diesem Lottogewinn nichts beigetragen. Er sei durch eine höhere, quasi göttliche Instanz auserkoren worden.

swissinfo.ch: Betrachtet man aber die Biografien diverser Lottomillionäre, von denen einige finanziell oder moralisch in bitterer Armut endeten, hat man nicht den Eindruck, diese Menschen seien automatisch vom Glück verfolgt.

M.G.: Menschen, die einen grossen Gewinn gemacht haben, sind meist überfordert. Das Verhältnis zum Geld und vor allem auch zum Gelderwerb ist zu etwas fast Magischem geworden.

Für den Umgang mit dem Geld, dem Anlegen und so weiter, sind sie dann auch nicht genügend qualifiziert. Und sehr oft sind sie der Meinung, sie könnten so weiterfahren, das Glück bleibe ihnen hold.

Doch diese Wahrscheinlichkeit ist äusserst gering, und einige geraten auf eine schiefe Bahn, was zu einem Totalverlust führen kann.

Dies sieht man gerade im Kasino. Bei einem einmaligen Spiel kann man gewinnen. Beim fortgesetzten Spiel ist aufgrund der Benachteiligung des Spielers gegenüber der Spielbank die Chance fast gleich Null. Das führt immer zu einem Abstieg, zu einem Verlust des gewonnenen Geldes.

swissinfo.ch: Ist jemand spielsüchtig, wenn er jede Woche einen Lottozettel ausfüllt?

M.G: Das Lottospiel hat, verglichen mit den finanziell ruinösen Nonstop-Spielen in den Kasinos, ein relativ geringes Suchtpotential. Das Lottospiel ist ein Intervallspiel. Man kann es nicht minütlich oder stündlich kontinuierlich fortsetzen. Von da her ist Lotto relativ harmlos.

Zudem ist Lotto, verglichen mit dem Spiel im Kasino, eher ein Gesellschaftsspiel. Hier machen viele Menschen einen kleineren Einsatz, was dann sehr viel Geld generiert, das ein Einzelner gewinnt. Dagegen hat beim Spielautomaten oder auch am Roulette-Tisch das Individuum die Möglichkeit, nonstop, kontinuierlich, weiter Geld zu setzen, bis zum bitteren Ende.

swissinfo.ch: Es gibt aber auch Menschen, die am Freitagnachmittag mit einem ganzen Bündel von Lottoscheinen zu den Lottoannahmestellen pilgern und grössere Summen ausgeben.

M.G.: Das sind Einzelne, die übertreiben und auch beim Lotto einen exorbitanten Einsatz machen. Betrachtet man das Gesamtverhalten der Spieler und die Zahl der Beteiligten, wird der Unterschied zwischen den Individualspielen im Kasino und dem quasi Gesellschaftskollektivspiel im Lotteriebereich deutlich.

swissinfo.ch: Wenn man spielt, taucht man in eine andere Welt ein. Was macht den Reiz dieser anderen Welt aus? Ist es nur der erwartete Gewinn?

M.G.: Das primäre Motiv ist sicher der erwartete Gewinn und vielleicht auch der Reiz, einmal das Schicksal herauszufordern. Das findet man öfter bei Menschen mit einem Hang zu magischen Denkweisen.

Beim fortgesetzten Spielen kommt auch der Wunsch auf, das verlorene Geld wieder zurückgewinnen.

Aber auch Menschen, die wissen, dass sie im Leben keine grösseren Erfolge erzielen können, vor allem im materiellen Bereich, können im Glückspiel eine gewisse Hoffnung aufrechterhalten.

Im Grunde genommen kennen wir ja die gleichen Mechanismen an der Börse, wo auch jedermann die Hoffnung hat, durch einen geglückten Einsatz ein Ziel zu erreichen, das er mit Leistung, mit Fleiss und Anstrengung eben nicht erreichen könnte.

swissinfo.ch: Aber Spielsüchtigen im Kasino wird durch die Spielbankenkommission, Berater und Psychologen geholfen.

M.G.: Das ist reine Heuchelei, ein Scheinangebot, ein Feigenblatt! Die Spielbankenkommission weiss, dass die Kasinos von der Ausbeutung der Spielsüchtigen leben. So quasi als Ritual bieten sie gewisse soziale Betreuungen an. Im Prinzip müsste man jedoch die Mehrheit der Spielenden vom Besuch der Spielbanken ausschliessen, denn man weiss ganz genau, dass sich diese Menschen ruinieren.

Zudem ist die Behandlung der Spielsucht in einem effizienten Rahmen gar nicht möglich. Der Spielsüchtige ist so schwer krank wie ein Heroinabhängiger.

Es ist eine sehr hartnäckige Krankheit. Wer behandelt wird, ist meist schon längst ruiniert. Es gibt auch keine Medikamente, keine Ersatzmittel wie Methadon. Man kann im Rahmen einer Gesprächstherapie die Situation etwas aufarbeiten. Aber die Psychotherapie kann im Gegensatz zu chirurgischen oder medizinischen medikamentösen Interventionen ja nie Erfolge garantieren.

swissinfo.ch: Gibt es besonders gefährdete Personengruppen?

M.G.: Menschen, die oberflächlich sind oder leicht erregbar, sind eher gefährdet. Aber auch hirnorganisch geschädigte Menschen können der Verführung durch die Spielsucht keinen Widerstand entgegensetzen.

Dann gibt es auch Menschen, die ihre Lebenskrise bewältigen, indem sie diese durch die Konzentration auf das Spiel verdrängen.

Gefährdet sind besonders jene, welche bei der ersten Annäherung an ein Glücksspiel einen grossen Erfolg erzielt haben und diesen dann zum Massstab nehmen.

swissinfo.ch: Was halten Sie von der Rolle des Staates? Einerseits kassiert er von den Kasinos Steuern, und andererseits muss er die Spielsüchtigen therapieren und für deren Krankheit aufkommen.

M.G.: Die Rolle des Staates ist skandalös – sozialpolitisch und moralisch. Hier geht es um die Ausbeutung von menschlichen Schwächen und Unerfahrenheit. Und damit wird erst noch Geld für die AHV generiert!

swissinfo.ch: Wie stellen sie sich zur aktuellen Pokermanie? Überall wird gepokert, im Internet, am Fernsehen, im privaten Rahmen.

M.G.: Wir neigen dazu, uns zu einer Glückspielkultur zu entwickeln. Pokern, Kasino, Online-Angebote, die der Bundesrat offenbar zugelassen hat. Das ist sehr penibel. Es ist verlogen.

Wir sprechen vom Kasino-Kapitalismus, der gescheitert ist. Aber wieso soll dann ausgerechnet das Kasino Erfolg haben?

Etienne Strebel, swissinfo.ch

Gewinnphase
Gelegentliches Spiel
Grösserer oder mehrere kleinere Gewinne
Positive Erregung vor und während des Spiels
Unrealistischer Optimismus
Entwicklung von Wunschgedanken
Häufigeres Spiel
Setzen immer höherer Beträge

Verlustphase
Verluste werden bagatellisiert
Prahlerei mit Gewinnen
Verluste scheinen durch Gewinne abgedeckt
Häufigeres Denken ans Spiel
Verheimlichung von und Lügen über Verluste
Vernachlässigung von Familie und Freunden
Beschäftigung mit dem Spiel während der Arbeitszeit
Schulden, Aufnahme von Krediten
Unfähigkeit dem Spiel zu widerstehen

Verzweiflungsphase
Mühe bei der Schuldenrückzahlung
Persönlichkeits-Änderungen wie Reizbarkeit, Irritationen, Ruhelosigkeit, Schlafstörungen
Totaler gesellschaftlicher Rückzug
Totale Entfremdung von Familien und Freunden
Verlust der gesellschaftlichen Stellung und des Ansehens
Wiederholtes tagelanges Spielen
Gewissensbisse und Panikreaktionen
Ilegale Geldbeschaffung
Hass gegenüber gewinnenden Spielern
Hoffnunglosigkeit, Suizidgedanken oder-versuch.

Als Glücksspiele bezeichnet man Spiele, bei denen Gewinn und Verlust praktisch ausschliesslich vom Zufall abhängen und nicht vom Geschick oder den Entscheidungen der Spieler.

Bei den reinen Glücksspielen wie Roulette hängt das Ergebnis ausschliesslich vom Zufall ab. Bei Spielen, die dem Spieler Entscheidungs-Möglichkeiten bieten wie Black Jack, hängt der Erfolg mehr von dessen Geschick ab.

Bei den so genannten Bankhalterspielen wie Roulette, Black Jack oder Baccara banque wird eine Partei durch die Spielregeln bevorzugt (Bankvorteil). Damit verlieren die Gegenspieler auf lange Sicht mit Sicherheit.

Im alten Rom waren Würfelspiele weit verbreitet, obwohl die Regierung sie mit Strafe bedrohte. Nach römischem Recht durften die Spielschulden nicht eingeklagt werden.

Nach altem deutschen Recht waren Glücksspielgeschäfte unerlaubt. Der Verlust konnte nicht nur zurückgefordert, er konnte sogar eingeklagt werden.

Der englische König Richard Löwenherz ordnete im 12. Jahrhundert an, dass nur Ritter um Geld würfeln durften.

Im 16. Und 17. Jahrhundert wurden hohe und vor allem geborgte Spieleinsätze mit strafen geahndet.

Im 17. Jahrhundert wurde das Glücksspiel auch wissenschaftlich untersucht. 1654 gilt als Geburtsstunde der Wahrscheinlichkeits-Rechnung.

Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Zeit der Spielbanken, der Kasinos. Auch der russische Schriftsteller Fjodor Michailowitsch Dostojewski lernte damals das Roulette kennen und verfiel diesem Spiel. Daraus entstand der Roman Der Spieler.

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