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Vom lärmigen Grand Prix heim in die Oase der Ruhe

Lewis Hamilton: Hartes Fahren auf der Piste, ruhiges Leben in der Schweiz. Keystone

Von den 22 Piloten, die in der Startaufstellung zu einem Formel-1-Grand-Prix stehen, lebt mehr als die Hälfte in der Schweiz. Nicht nur aus Steuergründen, sagt Ex-Rennfahrer Marc Surer.

An den Grand Prix stehen sie im Brennpunkt von Kameras, Reportern und Fans: Die Piloten der Formel 1.

Wenn Lewis Hamilton nach siegreicher Zieldurchfahrt in den Helm kichert wie ein Teenager; wenn Felipe Massa wütend Journalisten wegbugsiert, weil er den sicher geglaubten Sieg kurz vor Schluss verliert: Jede Gefühlsregung der Fahrer wird durch Kameras und Mikrofone eingefangen und rund um den Globus geschickt.

Der Formel-1-Zirkus ist ein Mélange aus Hochrisiko-Sport, extravagantem Glamour und knallhartem Business. Die Fahrer und ihre Teams tauchen im Zweiwochen-Rhythmus in diesen schrillen Kosmos ein. Nach dem Rennen haben sie nur eines im Sinn: Abtauchen in eine Oase der Ruhe.

Neo-Schweizer Hamilton

Für über die Hälfte des Fahrerfeldes heisst dies: Heim in die Schweiz. Letzter prominenter Neuzugang in der Gemeinde der rasenden Wahlschweizer ist Lewis Hamilton. Der Vizeweltmeister hat die britische Insel verlassen und sich in Luins am Genfersee niedergelassen.

Damit machte der Senkrechtstarter der letzten Saison einen Schritt, den seine härtesten Konkurrenten schon längst getan haben. Weltmeister Kimi Räikkönen zog aus den finnischen Wäldern nach Wollerau im Kanton Schwyz. Dort lebt der «Iceman» fast Tür an Tür mit seinem Ferrari-Teamkollegen Felipe Massa.

Doppelweltmeister Fernando Alonsos Wahl fiel auf Mont-sur-Rolle (Waadt). Heikki Kovalainen, am letzten Wochenende in Ungarn als 100. Sieger in der Formel 1 abgewunken, geniesst die rennfreie Zeit in Coppet im selben Kanton.

Ruhe und Diskretion

«Die Schweiz ist für die Formel-1-Piloten in erster Linie wegen deren Sicherheit attraktiv, erst in zweiter Linie wegen der Steuervergünstigungen», sagt Ex-Formel-1-Fahrer Marc Surer gegenüber swissinfo. Der Formel 1 ist der 57-Jährige als TV-Kommentator des deutschen Senders Premiere auch heute noch eng verbunden.

Für Alonso beispielsweise sei es unmöglich geworden, weiter in Spanien zu leben. «Sein Haus und seine Eltern wurden belagert, und er konnte in kein Restaurant mehr ohne Fans und Medienvertreter im Schlepptau. In der Schweiz dagegen ist er ungestört. Diese Ruhe schätzen alle Fahrer, wie schon Michael Schumacher», sagt der Baselbieter.

Für Robert Kubica und Nick Heidfeld, das Pilotenduo des ehemaligen Schweizer Sauber-Teams, das heute BMW gehört, ist ein Wohnsitz unweit des Werkes in Hinwil sozusagen Ehrensache. Während der Pole in Hinwil selber fündig geworden ist, lebt der Deutsche mit seiner Familie in Stäfa.

Auftanken

Der Steuerrabatt sei zwar eine angenehme Nebenerscheinung, doch ausschlaggebend sei die Lebensqualität gewesen, hatte Heidfeld zum Umzug erklärt. Die Leute im Ort am Zürichsee seien sehr diskret und liessen einen in Ruhe. «Deshalb freue ich mich nach den vielen Reisen und dem Stress immer wieder auf dieses gemütliche Zuhause – den Ort, wo ich als Pilot neue Energie tanke», so Heidfeld.

Die Oase der Ruhe und der tiefen Steuern ist laut Marc Surer nicht der einzige Pluspunkt: «Viele Piloten sind mit dem eigenen Flugzeug unterwegs, deshalb spielt die Nähe zu einem Flughafen eine Rolle.»

Dieses Mobilitäts-Kriterium ist es auch, das die Gemeinde der Wahlschweizer Formel-1-Piloten in eine Genfer und eine Zürcher Fraktion unterteilt.

Der Bergler und der Mittelländer

«Abtrünnige» gibt es nur wenige: Jarno Trulli lebt in Pontresina am Fusse des Berninapasses, während der aufstrebende Deutsche Adrian Sutil völlig unspektakulär in Oensingen im Kanton Solothurn logiert.

Für die früheren Helden des Volants war das mondäne Monaco der richtige Ort des Lebens gewesen. Weil im Fürstentum die Roulettekugel für ausreichende Einnahmen sorgt, sind Steuervergünstigungen dort nicht mal Thema, denn es werden gar keine Steuern erhoben.

Vom Mittelmeer in die Alpen

Dass die Schweiz dem mondänen Ort am Meer den Rang abgelaufen hat, muss also andere Gründe als rein finanzielle haben. Zwei Faktoren haben mitgespielt: Die Schweizer Landschaft und das Anforderungsprofil an heutige Rennfahrer.

«Sie müssen praktisch jeden Tag ihr Sportprogramm durchziehen. Mit ihren Bergen und grünen Flächen ist die Schweiz ideal dafür», so Surer. Monaco dagegen biete ausser Fitness-Studios kaum Möglichkeiten, Sport zu treiben. Dazu müsste man jeden Tag ins bergige Hinterland fahren.

Einer, der ins Hinterland fährt, ist Bernie Ecclestone. Der kleine, knorrige Brite entsorgte das Bastlerimage der Formel 1 und wandelte sie als unerbittlicher CEO zum Multimilliarden-Unternehmen.

Selber zum Multimilliardär geworden, besitzt Ecclestone in Gstaad nicht nur eine Villa, sondern auch noch ein Hotel. Von seiner Residenz im Berner Oberland aus kann er seine Schäfchen auch im Auge behalten, wenn die Formel 1 für ein Wochenende ruht.

swissinfo, Renat Künzi

Der siebenfache Weltmeister Michael Schumacher lebt seit Jahren in der Schweiz.
Jüngst hat er mit seiner Familie sein neues Anwesen in Gland/VD bezogen.
Dazu gehören eine Villa mit Seeanstoss, Pferdestallungen, ein Heli-Landeplatz und ein Kinosaal.
Schumacher und seine Nachfolger gehören zu den 4000 Ausländern, die in der Schweiz Steuererleichterungen geniessen.

Kimi Räikkönen: Wollerau/SZ
Felipe Massa: Wollerau/SZ
Lewis Hamilton: Luins/VD
Heikki Kovalainen: Coppet/VD
Fernando Alonso: Mont-sur-Rolle/VD
David Coulthard: Villars/VD
Nick Heidfeld: Stäfa/ZH
Robert Kubica: Hinwil/ZH
Jarno Trulli: Pontresina/GR
Sebastian Vettel: Walchwil/ZG
Adrian Sutil: Oensingen/SO
Sebastien Bourdais: Morges/VD

In der Schweiz sind Rundstreckenrennen seit 1955 verboten.

Dennoch sind die Beziehungen Schweiz-Formel 1 bedeutend.

Dies vor allem dank Peter Sauber. Der Gründer und Chef des Teams Sauber Formel 1 verkaufte das Unternehmen auf 2007 an BMW. Der neue Name ist BMW Sauber.

Das Werk ist nach wie vor in Hinwil angesiedelt, wo mittlerweile 420 Personen arbeiten.

Jährlich vergibt der Hinwiler Sitz laut einem Experten Aufträge an Schweizer Firmen in der Höhe von rund 50 Mio. Franken.

Die Schweiz brachte mit Jo Siffert, Clay Regazzoni und Marc Surer grosse Formel-1-Piloten hervor.

Seit Surers Rücktritt 1985 hat kein Schweizer mehr den Durchbruch in der Formel 1 geschafft.

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