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Wandern zwischen Hiking und Walking

Wandern heute ist anders als wandern gestern. ST/swiss-image.ch

Das altgediente Wandern wird neu erfunden. Präventiv-Mediziner, Sportartikel-Ausrüster und Touristiker möchten aus dieser Gratisaktivität ein Produkt mit Wertschöpfung machen.

Fern- und Nordic Trails, Swiss Alpine Walking, Adventure-Wandern sollen das altbekannte Wandern vermehrt ablösen.

Einst war das Wandern «des Müllers Lust». Jetzt bewegen Präventivmediziner, von leeren Betten getriebene Hoteliers, Verkehrsdirektoren, Marketingprofis und Tourismusberater alle Hebel, damit das Wandern zu Schweizers «Must» wird.

Typologien von Wanderern

Auch die gute alte Vereinigung der Schweizer Wanderwege SAW nennt sich heute «Swisshiking». Und Marketingstudien sprechen von einem sich abzeichnenden «Paradigmen-Wechsel» in Sachen Wandern – also einem komplett neuen Verständnis.

Marktforschung und medizinische Gutachten werden mit den Sportartikel-Ausrüstern und den Tourismus-Dienstleistern zusammengebracht. Je nach Wanderertypologie will man die nötige Ausrüstung und das ganze dienstleisterische und thematische Drum und Dran (Ernährung, Wellness, Gastronomie, Beherbergung etc.) zu buchbaren Arrangements kombinieren.

Ferienorte als Pilotdestinationen

Anfang Juli fand in Flims die zweite Trend- und Fachtagung zum Thema Wandern statt. Organisiert wird sie über «Swiss Alpine Walking», einem Partnerprojekt mit den Pilotdestinationen «Alpen-Arena» (Flims, Laax, Falera), Pontresina, Gstaad, Saas-Fee, Appenzeller-Land und Engelberg-Titlis.

Dabei werden die Wanderer, zu neudeutsch Hiker oder Walker, in Untertypen oder Segmente unterschieden (Marktforschung «Wandern Schweiz», 2003).

So sprechen die vom Bund unterstützten Wander-Fachleute beispielsweise vom Grundtyp des «zielstrebigen Gesundheitswanderers», der in der Schweiz in einigen Jahren einen Anteil von 5% erreichen soll.

Wandern mit Zeitmessen und Benchmark

Untertypen dieses «zielstrebigen Gesundheitswanderers» begeben sich auf «Nordic Trail»-Touren oder praktizieren «Swing Walking» oder «Smart Mountain Walking».

Beim Nordic Walking haben sich bereits acht Institutionen aus Sport, Gesundheit und Tourismus zusammengeschlossen und das Projekt NordicFitnessPoint.ch lanciert, unter anderem Swiss Ski, die SBB, Pro Senectute und Seilbahnen Schweiz.

Initiant Peter Salvisberg will die Vorteile des Nordic Walking nutzen und sie der Schweizer Bevölkerung näher bringen, wie er gegenüber swissinfo sagt.

Wandern mit Geschindigkeitsmesser

Ein Angebot heisst «SwissTopwalk.ch». Sechs Bergbahnen setzen auf den leistungsorientierten Nordic Walker. Dieser will seine Leistung messen können und erhält deshalb zu Wanderbeginn einen Chip.

Er wandert mit Tempo und Nordic-Walking-Stöcken den Berg hinauf und fährt mit der Bahn wieder runter. Mit einem persönlichen Code kann er anschliessend sein Tempo im Internet kontrollieren und seine Werte mit denjenigen von Top-Athleten vergleichen.

Um die Kundschaft angemessen zu betreuen, wurde im Mai in Kandersteg die erste Nordic Fitness Academy eröffnet. Weitere «Academies» zur Ausbildung von Wander-Instruktoren gibt es im Obergoms und in der Zentralschweiz.

Wandern und Kalorien messen

Ein zweiter Wandertypus nennt sich «Regenerations-Wanderer». Dessen Segmentanteil dürfte in wenigen Jahren 25% erreichen. Dieser Walker rechnet anders: Beispielsweise muss er zwei Stunden wandern, bevor er sich einen Lunch genehmigen darf. Für ein deftiges Abendessen sind es entsprechend mehr. Nach vollbrachtem Walking ist er reif für eine Wellness-Runde.

Der dritte Wandertyp gehört zum «Adventure»-Segment. Hier dehnen sich die Wege, im Hiker-Jargon «Trails» genannt, auf mehrere Tage aus. Berg- und Touren-Hiking steht hier auf dem Plan, im Extremfall auch «Survival». Dieser Typus benutzt das Wandern entweder als Ventil oder als Herausforderung.

Der Anspruchslose: Sein Anteil nimmt ab

Der vierte Typus schliesslich ist der gängige, «eher anspruchslose, gesellige Wanderer», sagt Arnold Kappler von der Projektleitung «Swiss Alpine Walking». Der Anteil der normalen Wanderer wird laut Marktforschung in den kommenden Jahren auf rund 40% sinken.

Die Ferienorte können somit nicht mehr einfach nur das Wanderwegnetz unterhalten, sondern müssen das ganze «Wandersortiment» anbieten, für das sie aber auch etwas verlangen werden.

Aus dem Wandern wird damit ein Produkt mit Wertschöpfung. Es wird – mit etwas Verspätung – in den Wirtschaftskreislauf, ins Bruttosozialprodukt integriert.

Vorbild Veloland und Ausland

Im Ausland ist man bereits weiter: Bekannt sind die amerikanischen Hike Trails über sehr lange Distanzen, oder das französische Konzept der Grande Randonnée, die ganz Frankreich durchziehen und immer mindestens mit Unterkunft und Verpflegung kombiniert sind.

Der erste, der dies systematisch auf die Schweiz übertragen hat, ist Ruedi Jaisli, ex-Gründer von Eurotrek und Mitglied der Expo 02-Projektleitung «Human Powered Mobility» (HPM). Er baut seine Wander-Arrangements völlig anders auf. Im Gegensatz zum «Swiss Alpine Walking» nimmt er nicht den Ferienort als Ausgangspunkt, sondern den (Wander-)Weg, den Trail – ein Novum für die Schweiz.

Geld wertschöpfen, Kalorien abschöpfen

Auch Präventivmediziner wünschen sich ein Wander-Revival. Körperlich aktive Personen, also «Walker», schneiden wie Sportler in den Mortalitäts-Statistiken besser ab, sogar wenn sie zu Blutdruck- oder Fettstoffwechsel-Störungen neigen.

Laut Beat Villiger vom Medizinischen Zentrum in Bad Ragaz ist die Inaktivität der am einfachsten zu beeinflussende Risikofaktor des heutigen Lebensstils.

Das Walking scheine in all seinen Formen unter den vielen Freizeit-Sportarten die Nase vorn zu haben. «Der präventive Effekt ist maximal», so Villiger. Ausserdem sei trotz geringem technischen Aufwand ein hohes Erlebnis-Potenzial gegeben – und zwar für jede Alterskategorie.

Laut dem Präventivmediziner lasse sich heute auch nachweisen, dass sich Trainings in der Höhe von 1200 bis 2500 M.ü.M. signifikant positiv auf Indikatoren wie Blutdruck sowie Zucker- und Fettstoffwechsel auswirken. Und dass die besseren Werte «nach der Rückkehr ins Unterland» für eine gewisse Zeit anhalten.

swissinfo, Alexander Künzle

Wandern: eine der letzten verbliebenen Gratisaktivitäten.
Aber sie wird deshalb als wenig attraktiv erachtet.
Marktforscher, Präventivmediziner, Verkehrsdirektoren, Hoteliers, Veranstalter und Ausstatter versuchen, dem Wandern ein neues Image zu geben.
Damit verbunden wird das Wandern zu einem Produkt mit Wertschöpfung und einem Verkaufspreis.

Neue Wandertypologien:

Nordic Walker (leistungsorientierte Gesundheits- und Fitnesswanderer)

Regenerations-Wanderer (themenorientiert)

Adventure-, Survival-Wanderer

Gängiger, eher anspruchsloser Wanderer (sinkender Segmentanteil)

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