Warum ältere Menschen in reichen Ländern glücklicher sind als Junge
Die Schweizerinnen und Schweizer gehören zu den glücklichsten Menschen der Welt. Das zeigt die neue Weltrangliste im Glücklichsein. Aber die Zufriedenheit der jüngeren Generationen sinkt. SWI swissinfo.ch befragte Wirtschaftsprofessor Mathias Binswanger nach seiner Interpretation der Ergebnisse.
Die Schweiz ist das neuntglücklichste Land der Welt. Das geht aus dem diese Woche veröffentlichten World Happiness Report 2024Externer Link hervor. Darin untersuchten die Autor:innen, wie Menschen in über 140 Ländern ihr eigenes Glück einschätzen.
In einer weiteren, kürzlich von «YouGov» veröffentlichten Umfrage gaben in der Schweiz satte 73%, also praktisch drei Viertel der Menschen an, mit ihrem Leben «sehr zufrieden» zu sein.
Hinter diesen rosigen Zahlen verbirgt sich jedoch eine andere Realität. Laut dem World Happiness Report ist die Zufriedenheit der Jugend in den letzten 15 Jahren gesunken, besonders in den reichen Ländern Westeuropas und Nordamerikas.
Menschen, die vor 1965 geboren wurden, sind im Durchschnitt glücklicher als diejenigen, die nach 1980 geboren wurden. In den Vereinigten Staaten, die aus den Top 20 der glücklichsten Länder herausgefallen sind, bilden junge Menschen heute die unglücklichste Altersgruppe.
In der Schweiz zeigt die «YouGov»-Umfrage, dass junge Menschen besonders mit ihrer psychischen Gesundheit zu kämpfen haben. In Umfragen, die nach dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie veröffentlicht wurden, gaben bis zu 30% der Jugendlichen an, dass es ihnen mental schlechter geht als vor der Pandemie.
Mathias Binswanger ist Autor des Buchs «Die Tretmühlen des Glücks» und Dozent für Wirtschaft an der Fachhochschule Nordwestschweiz.
SWI swissinfo.ch: Die Schweiz rangiert in der Welt-Glücksrangliste stets unter den ersten zehn Ländern. Was ist das Geheimnis des Glücks in der Schweiz?
Mathias Binswanger: Die erste Frage ist, ob das wirklich so ist. Wenn wir die Schweiz besuchen, haben wir nicht das Gefühl, dass wir in diesem Land auf glückliche, lächelnde Menschen treffen.
Wenn wir die Menschen nach ihrem Glück fragen, geben sie in der Regel Antworten, die eher positiv sind. Das ist der so genannte Social Desirability Bias, der in der Schweiz stark ausgeprägt zu sein scheint, weil wir viel haben. Wir leben unter angenehmen Bedingungen, also sagen die Leute, dass sie glücklich sind, weil sie glücklich sein sollen.
Natürlich gibt es auch einige objektive Gründe, warum die Schweiz zu den glücklicheren Ländern gehören könnte. Einer ist der materielle Wohlstand, der in der Schweiz sehr hoch ist. Ein anderer ist die Sicherheit, besonders die Sicherheit, seinen Arbeitsplatz behalten zu können.
Der letzte wichtige Punkt ist die Demokratie. Wir haben Initiativen und Referenden, mit denen die Menschen Vorschläge für Veränderungen machen oder die Vorschläge der Regierung ablehnen können. Das gilt auch für die lokale Ebene.
Wenn zum Beispiel Ihr Nachbar etwas bauen will, haben Sie das Recht, Einspruch zu erheben. In der Schweiz haben wir die Möglichkeit, einen gewissen Einfluss auf die Behörden auszuüben, während das in vielen anderen Ländern nicht der Fall ist.
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Macht Demokratie glücklich?
Zum ersten Mal hatten die Autor:innen des World Happiness Report genügend Daten, um zu untersuchen, wie sich das Glücksniveau in den verschiedenen Altersgruppen verändert hat. Sind Sie überrascht, dass ältere Menschen im Allgemeinen glücklicher sind als jüngere?
Nein, das ist etwas, das schon seit langem bekannt ist. Es gibt eine U-förmige Kurve, die wir im Lauf des Lebens beobachten können, bei der die Menschen relativ glücklich sind, wenn sie sehr jung sind. Aber das nimmt schnell ab.
Die Menschen sollen Karriere machen und bestimmte Meilensteine im Leben erreichen, und oft gibt es diese Doppelbelastung von Arbeit und Kindererziehung. So haben sie keine Zeit für die Dinge, die sie gerne tun.
Nach dem 50. Lebensjahr nimmt das Glück dann wieder zu. Menschen, die 65 Jahre und älter sind, sind die glücklichsten – in der Schweiz und in den meisten hoch entwickelten Ländern.
Können wir davon ausgehen, dass auch die jüngeren Generationen im Lauf ihres Lebens der U-Kurve folgen werden?
Das ist tatsächlich eine Frage, die diskutiert wird. Die vorherige Generation war sehr arbeitsorientiert, so dass der Ruhestand ihr neue Möglichkeiten eröffnet, vor allem jetzt, da die Menschen länger bei relativ guter Gesundheit leben können.
Es ist nicht klar, ob die nächste Generation das Gleiche erleben wird, denn sie hat bereits viele Möglichkeiten, bevor sie das Rentenalter erreicht. Sie arbeiten in Teilzeit, sie wechseln häufiger den Arbeitsplatz und reisen mehr.
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Auch wenn das Bild nicht genau dasselbe ist, wird die Tendenz wahrscheinlich ähnlich sein. Denn das Stressniveau ist heute immer noch relativ hoch, und das wird wahrscheinlich auch in Zukunft so bleiben. Ebenso die Abnahme des Stresses, die man sieht, wenn die Menschen älter werden.
Sind unsere Vorstellungen davon, was uns glücklich macht, je nach Altersgruppe einfach unterschiedlich?
Wenn wir auf frühere Generationen zurückblicken, hatten sie immer ein klares Ziel im Leben. Sie wollten besser leben als ihre Eltern, und ihre Kinder sollten ein noch besseres Leben haben. Es gab also ein gemeinsames Ziel, den materiellen Wohlstand zu steigern.
Aber die jungen Menschen von heute sind mit einem sehr hohen materiellen Wohlstand aufgewachsen. Warum sollten sie nach mehr materiellem Wohlstand streben, wenn sie wissen, dass dies nicht der Schlüsselfaktor für ein glücklicheres Leben ist?
Die Frage ist: Was ist es, das sie glücklich machen wird? Das ist ziemlich schwer herauszufinden. Glücklichsein hängt von vielen Dingen ab.
Ja, zum Beispiel von sozialen Interaktionen. Der World Happiness Report besagt, dass sich die älteren Menschen in allen Weltregionen sozial stärker unterstützt fühlen und weniger einsam sind als die jüngeren Generationen, obwohl sie mit allen sozialen Gruppen ausser den Nachbarn weniger häufig in Kontakt kommen.
Einsamkeit ist für die ältere Generation ein grosses Problem. Das Hauptproblem für sie ist, dass das soziale Leben auszusterben droht. In der Schweiz gab es zum Beispiel die Institution des Stammtischs in den meisten Restaurants und Bars auf dem Land, wo man sich täglich traf. Aber diese Orte verschwinden rapide. Diese Gewohnheiten hielten das soziale Leben am Laufen.
Jetzt müssen wir uns viel mehr anstrengen, um andere Menschen zu treffen. Und jüngere Menschen, die in den sozialen Medien bewundert werden wollen, haben das Gefühl, dass sie sich selbst benachteiligen, wenn sie darauf bedacht sind, im echten Leben andere Menschen zu treffen.
Glücksrankings sind ja schön und gut, aber haben sie auch einen Wert für politische Entscheidungsträger:innen?
Ich sehe einen Wert darin, weil sie den Schwerpunkt auf einen Aspekt des Lebens legen, der letztlich wichtiger ist als das Bruttoinland-Produkt. Letztendlich wollen wir alle ein gutes und glückliches Leben führen.
Die Regierungen können nicht direkt Massnahmen ergreifen, um die Menschen glücklich zu machen. Aber sie können Parameter festlegen, die es leichter machen, ein glückliches Leben zu führen.
So kann sich beispielsweise die Gestaltung einer Stadt auf das Wohlbefinden auswirken – haben die Menschen dort, wo sie leben, Zugang zu Grünflächen und können sie leicht andere Menschen treffen?
Einerseits sollten wir diese Rankings mit Vorsicht geniessen. Wenn man nur den materiellen Wohlstand betrachtet, ergibt sich ein verzerrtes Bild der Realität. Die wichtigen Dinge des Lebens lassen sich nicht messen. Die Rankings helfen, die Diskussion über Themen, die für unser Glück wichtig sein könnten, am Laufen zu halten.
Editiert von Balz Rigendinger; Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi
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