Breiter Konsens: Warum Suizidbeihilfe in der Schweiz normal ist
In der Schweiz gilt der assistierte Suizid als legitime Option am Lebensende – und steht auch Ausländer:innen offen. Der "Sterbetourismus" boomt.
Im Sommer 2021 nahm sich Yoshi aus Japan mit Hilfe der Sterbehilfeorganisation Lifecircle, die im Kanton Basel-Landschaft angesiedelt ist, das Leben. Eine SWI swissinfo.ch-Journalistin begleitete ihn in den letzten drei Tagen seines Lebens.
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Yoshi reist in die Schweiz und stirbt
Der Artikel über Yoshi löste bei unseren Leser:innen in der ganzen Welt viele unterschiedliche Reaktionen aus. Zahlreiche, auch in seinem Heimatland Japan, wo die Sterbehilfe verboten ist, unterstützten Yoshis Entscheidung. Einige aber fanden, dass Suizid nicht erlaubt sein sollte, insbesondere aus religiösen Gründen.
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So reagierte die Welt auf Yoshis traurige Geschichte
Die Sterbehilfe wird in der Schweiz immer breiter akzeptiert. Jedes Jahr scheiden hier mehr als 1500 Menschen durch Sterbehilfe aus dem Leben. Auch die Zahl der bei Sterbehilfeorganisationen registrierten Personen nimmt zu. Im Jahr 2023 hatte Exit, die grösste Organisation, mehr als 167’000 Mitglieder.
Die Freitod-Begleitung ist in der Schweiz zum Beruf geworden. Freitod-Begleiter:innen unterstützen Sterbewillige, in dem sie ihnen auch die tödlichen Medikamente reichen. Bei Exit sind oft Rentnerinnen und Rentner in dieser Funktion tätig.
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Die Sterbehelfer – was sind sie für Menschen?
«In der Schweiz wissen wir, dass uns diese Möglichkeit offensteht, wenn wir sie brauchen», sagt Ethik-Professorin Samia Hurst-Majno von der Universität Genf. «Viele Menschen beruhigt das, auch wenn sie nie davon Gebrauch machen werden.»
Volksabstimmungen und Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Bevölkerung hinter der Suizidbeihilfe steht. Nachdem die Zürcher Bevölkerung sich 2011 wuchtig gegen eine Einschränkung der Suizidhilfe ausgesprochen hatte, verzichtete die Schweizer Regierung kurz danach darauf, die organisierte Suizidhilfe national zu regulieren. Obwohl der Europäische Menschenrechtsgerichtshof die Schweiz wegen ihrer zu wenig klaren Rechtslage gerügt hatte.
Hurst-Majno sieht eine mögliche Erklärung dafür, dass die Schweizer Gesetzgebung zum assistierten Suizid bereits seit langem besteht und dadurch in der Bevölkerung das Vertrauen wachsen konnte, dass es dabei nicht zu Missbräuchen kommt.
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Warum die Schweiz die Suizidhilfe nicht regulieren will
Anfangs des 20. Jahrhunderts entkriminalisierte die Schweiz – wie viele andere Länder – den Suizid. «Wenn der Suizid ein Verbrechen ist, dann ist die Suizidhilfe eine Mittäterschaft», erklärt Hurst-Majno. «Ohne Verbrechen fällt aber auch die Mittäterschaft weg.»
Laut dem schweizerischen Strafgesetz ist es nicht strafbar, einem anderen Menschen beim Sterben zu helfen, solange kein selbstsüchtiges Motiv vorliegt.
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Auf dieser Grundlage wurde Artikel 115 im StrafgesetzbuchExterner Link erstellt. Daraufhin wurde im Jahr 1982 die Organisation Exit gegründet. Die Zahl von Organisationen wie Dignitas und Lifecircle wuchs.
In den meisten Ländern dagegen sind aktive Sterbehilfe oder der assistierte Suizid noch immer verboten. Die Schweiz ist eines der ganz wenigen Ländern, in denen auch Ausländer:innen den assistierten Suizid in Anspruch nehmen können. Deshalb hat sich ein «Sterbetourismus» entwickelt: Ausländer:innen kommen zum Sterben in die Schweiz.
Laut Dignitas, der wohl international bekanntesten Organisation, hatten 2023 über 90% der Mitglieder ihren Wohnsitz im Ausland.
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Entscheid im Sterbezimmer
Lifecircle und Dignitas gehen sogar so weit, sich in anderen Ländern für die Legalisierung des assistierten Suizids einzusetzen. Sei es mit Musterprozessen, Eingaben in Vernehmlassungsverfahren, Lobbying, Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit.
Ihre Vision: Sterbehilfe soll eines Tages weltweit legal sein, so dass niemand mehr dafür in die Schweiz reisen muss. «Sterbebegleitung ist ein Menschenrecht. Jeder Mensch hat das Recht zu entscheiden, wann, wo und wie sie oder er sterben möchte,» sagt Erika Preisig, Präsidentin von Lifecircle im Interview mit SWI swissinfo.ch.
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«Ich will niemanden umbringen»
Der assistierte Suizid in der Schweiz braucht einen medizinischen Eingriff. Eine Person, die einen assistierten Suizid wünscht, muss von einem Arzt beraten werden und benötigt für die tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital eine ärztliche Verschreibung.
Es hat sich jedoch eine neue Form der Sterbehilfe entwickelt, die den medizinischen Eingriff so weit wie möglich ausschliesst. Der erste Tod durch die Suizidkapsel «Sarco» fand im September 2024 in Schaffhausen statt.
Die Behörden und die Organisation von Sarco sind sich jedoch uneins über die Legalität der Kapseln. Die Polizei hat im Zusammenhang mit dem assistierten Suizid durch Sarco mehrere Personen in Gewahrsam genommen.
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Suizidkapsel Sarco: Erster Todesfall und Verhaftungen in der Schweiz
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