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Weinberg-Terrassen zwischen Himmel und Erde

Keystone

Die Weinberg-Terrassen von Lavaux wurden einst von Mönchen geschaffen. Bis heute spiegelt diese Kulturlandschaft eine einmalige Interaktion von Mensch und Natur. Seit 2007 ist das Weinbaugebiet als Weltkulturerbe anerkannt.

Die Waadtländer behaupten, dass Reisende, die das Lavaux-Gebiet im Zug erreichen, ihr Retourbillett aus dem Fenster werfen. Dies mag übertrieben sein, doch die Schönheit dieser Region ist in der Tat umwerfend. Die Gegend von Lavaux bietet ein See- und Bergpanorama, das in Europa seinesgleichen sucht.

Der gewaltige Wasserspiegel des Genfer Sees reflektiert die Landschaft mit einem sich stets ändernden Spiel aus Licht und Schatten. Auf der anderen Seeseite erhebt sich die imposante Kette der französischen Alpen mit schneebedeckten Gipfeln.

Vor den eigenen Füssen fallen die Hügel des Lavaux in den See. Diese Terrassenlandschaft wurde im 12. Jahrhundert von Zisterziensermönchen angelegt und danach von Generationen von Weinbauern gepflegt, ausgebaut und verbessert. Die Mauern bilden das Korsett dieser Landschaft, die von Hunderten von Wegen und Treppen durchzogen ist.

Von Gott und Mensch geschaffen

Und schliesslich die Sonne, welche die Trauben reifen und süssen lassen. Die Einheimischen sprechen sogar von ‹drei Sonnen›: Die feurige und grosszügige Sonne am Himmel, die Rückstrahlung vom Genfersee und die gespeicherte Sonnenwärme der schutzbietenden Steinmauern.

Die beeindruckende Ästhetik des Lavaux hat seit jeher Maler, Literaten und auch Filmemacher in ihren Bann gezogen. Ferdinand Hodler, William Turner, Oskar Kokoschka oder auch Charles Chaplin. Das Lavaux wurde stets als Kulturlandschaft gesehen, in welcher menschliche Eingriffe sich in vollkommener Harmonie mit der Natur verbinden.

«Der liebe Gott hat begonnen. Der Mensch ist dann gekommen und hat das Werk vollendet, damit es fortbestehen kann. Heute ist es nicht mehr ein Hang, sondern ein Bauwerk, ein Turm, die Wand eines Festung», sagte der Schweizer Dichter Charles Ferdinand Ramuz 1923.

Wie die Reisterrassen von Bali

Das Weinbaugebiet wurde 2007 in die Unesco-Liste aufgenommen. Nicht als Natur-, sondern als Kulturerbe. Diese Idee war einem Besucher einige Jahre zuvor gekommen. Warum sollte man die Weinberg-Terrassen des Lavaux nicht als Kulturerbe vorschlagen, wenn doch auch die Reisterrassen von Bali als Weltkulturerbe anerkannt waren?

Einige Weinbauern und Liebhaber dieser Region gründeten 2003 den Verein zur Aufnahme des Lavaux in die Liste des Weltkulturerbes der Menschheit (Association pour l’inscription de Lavaux au patrimoine mondial de l’Unesco, Ailu). Vier Jahre später, an einer Session in Neuseeland, entsprach das Welterbekomitee dem Antrag.

Die Glocken läuteten zum Fest

Der Entscheid von der anderen Seite des Globus wurde der Bevölkerung im Lavaux am 28. Juni 2007, kurz vor 12 Uhr, auf besondere Weise mitgeteilt. In den 14 pittoresken Gemeinden des Gebiets läuteten die Kirchenglocken: in Lutry, Villette, Grandvaux, Cully, Riex, Epesses, Puidoux, Chexbres, Rivaz, Saint-Saphorin, Chardonne, Corseaux, Corsier-sur-Vevey e Jongny.

«Die Unesco-Fachleute haben den aussergewöhnlichen Charakter dieser Stätte anerkannt. Über Jahrhunderte konnte die Landschaft der Urbanisierung standhalten und praktisch intakt bleiben», sagt Weinbauer und Ailu-Präsident Bernard Bovy.

Dabei war der Druck zu einer Urbanisierung dieses Gebiets insbesondere in der Nachkriegszeit gross. Einige Weinbauern widerstanden damals der Versuchung nicht, etwas Land für viel Geld an Immobilienhändler zu veräussern.

«Das Lavaux wurde im Grund durch die von Franz Weber lancierte Volksinitiative aus dem Jahr 1977 gerettet», erinnert sich der Weinbauer Pierre Joly, der damals an der Seite des bekannten Schweizer Umweltaktivisten für den Schutz dieser Landschaft kämpfte.

Im Lavaux selbst war die Initiative gebodigt worden, doch glücklicherweise stimmten 56% der Waadtländer Stimmbürger dafür. «Erst so ist die Voraussetzung für die spätere Aufnahme ins Unesco-Welterbe geschaffen worden», sagt Joly.

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Sanften Tourismus fördern

Im Jahr 2005 nahmen die Waadtländer eine weitere Initiative von Franz Weber an. Damit wurde der Schutz des Lavaux noch gestärkt. Doch die Auseinandersetzungen zwischen Naturschützern und liberalen Kräften, welche die Schutznormen lockern wollen, sind noch nicht zu Ende. Deshalb hat Franz Weber 2009 eine dritte Initiative lanciert.

Die Aufnahme des Lavaux auf die Unesco-Liste stellt für die Behörden des Kantons Waadt keine rechtlich bindende Verpflichtung dar. Doch erst diese internationale Anerkennung hat vielen Leuten die Bedeutung dieses Weinbaugebiets zwischen Vevey und Lausanne klar gemacht.

Auch Touristen finden seither vermehrt den Weg ins Lavaux. Dabei wünschen die dortigen Weinbauern keineswegs, von Touristen überschwemmt zu werden.

Oder wie Bernard Bovy sagt: «Wir unterstützen einen sanften Tourismus von Wanderern, welche die Landschaft mögen, die Natur lieben und auch der Gastronomie und einem guten Glas Chasselas etwas abgewinnen können.»

Armando Mombelli, Lavaux, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Das Lavaux ist ein aussergewöhnliches Beispiel für die Jahrhunderte lange Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt, um die vorhandenen Ressourcen zu optimieren und einen geschätzten Wein herzustellen, der für die lokale Wirtschaft von grosser Bedeutung ist.

Die Terrassenlandschaften von Lavaux stellen eine einzigartige Kulturstätte dar, weil sich hier dank einer geschützten Landschaft, gut erhaltener Gebäuden und der Bewahrung lokaler Traditionen die Entwicklung von fast einem Jahrtausend zeigt.

Um sich gegen die fortschreitende Urbanisierung zu wehren, wurden in dieser Stätte eine Reihe von Schutzmassnahmen erlassen, welche von der lokalen Bevölkerung entschieden unterstützt werden.

Das traditionelle Waadtländer Weinbaugebiet liegt an den Hängen oberhalb des Genfersees zwischen Lausanne und Vevey.

Die knapp 900ha Weinberge gehen auf Mönche zurück, die dort vor rund 800 Jahren die ersten Rebstöcke zogen.

Das Klima oberhalb des Sees wird durch die Südlage und alte Steinmauern begünstigt, welche der Region einen mediterranen Anstrich verleihen.

swissinfo.ch

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