Welt-Aids-Tag: Traurige Schweizer Bilanz
Die Zahl der HIV-Infektionen bei Homosexuellen nimmt in der Schweiz alarmierend zu. Nun soll die Prävention stärker auf die Schwulen ausgerichtet werden.
Bei Homosexuellen-Organisationen wie Bundesbehörden herrscht Ratlosigkeit darüber, wie die steigende Infektionsrate bei Schwulen gestoppt werden könnte.
Schlechte Nachrichten zum Welt-Aids-Tag von Donnerstag: Bis Ende Jahr dürften sich nach Hochrechnungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) seit Januar 240 homosexuelle Männer neu mit dem HI-Virus angesteckt haben. Das sind 37% mehr als 2004.
Einen ähnlichen Anstieg hatte es bereits vor drei Jahren gegeben. Die Behörden und Schwulen-Organisationen lancierten daraufhin eine Charta, in der sie minimale Sicherheits-Standards für Schwulen-Klubs und –Saunas festlegten.
Der Negativtrend bei den Aids-Ansteckungen unter Schwulen konnte damit jedoch nicht aufgehalten werden. «Ich war überzeugt von den Ideen, die wir 2002 lancierten. Es zeigte sich aber, dass sie nicht funktionieren», hält der Geschäftsleiter des Schwulen-Dachverbands PINK CROSS, Moël Volken, gegenüber swissinfo fest.
Nun müsse man neue Strategien entwickeln und sich stärker auf homosexuelle Männer konzentrieren. «Was genau wir gegen die Zunahme von Aids-Fällen tun sollen, wissen wir nicht, weil wir uns nicht im Klaren darüber sind, was wir bisher falsch gemacht haben.»
Während Aids-Infektionen unter Schwulen stetig zunehmen, sinken sie bei den Heterosexuellen – und zwar schon seit drei Jahren.
Ungeschützter Sex
Die Behörde sieht die Ursache für den Anstieg der HIV-Infektionen in einer steigenden Tendenz zum Partnerwechsel und ungeschütztem Sex in der Schwulen-Szene.
«Der generelle Trend zu weniger Schutz hat für Homosexuelle schwer wiegende Folgen. Ihr Risiko sich anzustecken, ist 30 bis 40 Mal höher als das von Heterosexuellen», gab Roger Staub, Leiter der Aids-Sektion des BAG, zu bedenken.
Laut Aids-Hilfe Schweiz praktizieren 20% der Schwulen ungeschützten Sex. Das sind doppelt so viele wie vor zehn Jahren, und dies trotz zahlreicher Aufklärungs- und Präventions-Kampagnen, die geschützten Sex propagierten.
Sowohl PINK CROSS wie Aids-Hilfe befürchten, dass ihre Kampagnen die neue Generation von Schwulen nicht erreichen. Diese nehmen Aids wegen der Erfolge bei der medikamentösen Behandlung nicht mehr als tödliche Krankheit wahr.
«Das Krankheitsbild hat sich seit 1990 stark verändert. Für sie ist das Risiko nicht mehr so gross, wie es für uns gewesen war», so Volken weiter. Die jungen Schwulen wüssten zwar, dass es Aids gebe, aber sie unterschätzten die Krankheit.
Geschützter Sex
Thomas Lyssy, Sprecher der Aids-Hilfe, stellt ebenfalls fest, dass die Krankheit an Schrecken verloren hat. Nun müsse man sich überlegen, wie die Präventions-Massnahmen mehr Menschen erreichen könnten.
Eine Möglichkeit wäre seiner Meinung nach eine stärkere Präsenz von Streeworkern in Klubs und Saunas, wo sich Schwule treffen.
Das BAG hatte diese Woche angekündigt, es wolle seine Präventions-Kampagne vom nächsten Jahr stärker auf die Schwulen ausrichten.
Die im Auftrag des Bundes tätigen Streetworker sollen ihre Arbeit auf die Grossräume Zürich, Lausanne und Genf konzentrieren, wo es am meisten Szenentreffs für Schwule gibt.
Vorgesehen sind zudem neue Broschüren, Plakate und Inserate sowie Informationen und Beratung im Internet.
Die Aids-Hilfe Schweiz begrüsse diese Initiative, sagte Lyssy. Es brauche gleichzeitig aber auch einen neuen Ansatz, um auch diejenigen zu erreichen, die Aids weiterhin ignorierten.
«Noch gibt es für das Problem keine Lösung. Wir versuchen zwar zusammen das Richtige zu tun, aber ein ‹Wundermittel› in Sachen Prävention können auch wir nicht anbieten.»
swissinfo, Adam Beaumont
(Übertragung aus dem Englischen: Nicole Aeby)
Bis Ende Jahr dürften sich seit Januar 240 homosexuelle Männer mit dem HI-Virus angesteckt haben, das sind 37% mehr als 2004.
Gleichzeitig soll die Zahl der Neuinfektionen bei Heterosexuellen um 14% auf 375 abnehmen.
Laut Bundesamt für Gesundheit ist einer von zehn Schwulen HIV-positiv, bei Heterosexuellen ist es einer von 100.
Nach Zahlen der Aids-Hilfe Schweiz leben in der Schweiz über 20’000 Männer und Frauen mit HIV oder Aids.
Täglich werden Menschen positiv auf HIV getestet.
Ein Drittel aller jungen Frauen haben beim ersten Mal ungeschützten Sex, wie ein Bericht der «SonntagsZeitung» sagt.
Seit 2004 hat der Bund das Budget für die Aids-Prävention um die Hälfte auf 9 Mio. Franken gekürzt.
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