«Weltmeisterschaft der Herzen» für Obdachlose
Am Sonntag beginnt in Schweden die Weltmeisterschaft der Obdachlosen im Strassenfussball. Mit dabei: Ein Team aus der Schweiz.
Für einige der acht Strassen-Kicker ein Anlass, ihrem Leben eine neu Richtung zu geben, hofft Teamchefin Simone Burgherr.
Die Welt der Strassenfussballer, die in Göteborg um den WM-Titel kicken, ist Galaktien entfernt vom Glitter und Glamour und den Millionensalären, welche zum Alltag der Fussball-Stars von Real Madrid, Manchester United, AC Milan und Bayern München gehören.
Die acht Mitglieder, die das Schweizer Team bilden, sind allesamt Strassenverkäufer des Arbeits- und Obdachlosenmagazins «Surprise».
Besser abschneiden als letztes Jahr, lautet die Zielsetzung der Schweizer Mannschaft. Am ersten Homeless World Cup, wie der Anlass offiziell heisst, gewann die Schweiz in Graz zwar die Fair-Play-Trophäe und viele Herzen, aber das war auch schon alles.
Sportliches Desaster
Die sportliche Bilanz sah anders aus: 7 Spiele, 77 erhaltene Tore und nur deren 11 erzielt. Klar, dass dabei nur der 18. und letzte Platz herausschaute. Beim zweiten Mal würden sie es aber nicht mehr so locker angehen lassen, verspricht Simone Burgherr, die Schweizer Teamchefin.
«Fairerweise muss man aber auch sagen, dass wir letztes Jahr nicht so gut trainiert und die Regeln des Street Soccer noch kaum gekannt haben», räumt sie ein. Dieses Jahr sei das Team stärker, «und der Teamgeist ist besser», so Burgherr.
Seriöser Aufbau
Seit April haben die Schweizer Obdachlosen-Fussballer zwei Mal pro Woche, jeweils am Mittwoch und Samstag Nachmittag, in Basel trainiert und dabei an Technik und Zusammenspiel gefeilt.
Coach René Fiechter seinerseits bestätigt, dass er grosse Fortschritte habe erkennen können. «Und die Stimmung unter den Spielern ist ausgezeichnet.»
Rico Brunschwiler, der 24-jährige Verteidiger, verdeutlicht stellvertretend für die anderen die Atmosphäre: «Ich freue mich wie ein kleines Kind!»
Am diesjährigen Homeless World Cup, der vom internationalen Netzwerk der Strassen-Magazine organisiert wird, spielen 29 Teams um den WM-Titel der Obdachlosen. Darunter sind Mannschaften beispielsweise aus Brasilien, Japan, Kamerun und Russland.
Soziale Anliegen
Dabei geht es natürlich um Sport. Aber nicht nur. Ein soziales Forum, das in Göteborg parallel zu den Spielen stattfindet, legt den Fokus auf die vielen Probleme, mit denen sich Obdachlose tagtäglich konfrontiert sehen.
Um selektioniert zu werden, müssen die Spieler entweder obdachlos sein oder den grössten Teil ihres Lebensunterhalts mit dem Erlös aus dem Verkauf von Strassen-Magazinen verdienen.
Nicht nur vom Hörensagen
Im Schweizer Team sind zwei Spieler, die nicht nur auf der Strasse Fussball spielen, sondern auch dort leben.
Aber auch die anderen, welche nun ein Dach über dem Kopf haben, kämpfen immer noch darum, ihre Existenz auf sichere Beine zu stellen.
«Das Team ist wirklich sehr gemischt zusammengesetzt. Wir haben Leute, die versuchen, von Drogen loszukommen, und andere, welche durch familiäre Probleme, Depressionen oder Schulden aus der Bahn geworfen wurden», sag Teamchefin Burgherr.
Erste Auslandreise
Die Teilnahme am Obdachlosen-WM-Turnier kostet das Schweizer Team 20’000 Franken. Diese Summe wird von privaten Geldgebern übernommen. Für viele aus dem Schweizer Team bedeutet der achttägige Abstecher nach Göteborg die erste Reise ins Ausland überhaupt.
Burgherr hofft, dass einige Teammitglieder das Turnier zum Anlass nehmen, um ihrem Leben eine neue Richtung zu geben.
«Diese Leute wurden von der Gesellschaft zu Verlierern gestempelt. Das Turnier gibt ihnen nun die Gelegenheit, sich in einem anderen Licht zu präsentieren – als Individuen, die der Welt etwas bieten können», sagt Burgherr.
Traum kann wahr werden
Was passiert für die Strassenfussballer nach Ende des Turniers? Nach der letztjährigen Pleite des Schweizer Teams nahm ein Spieler wieder seine Arbeit als Dachdecker auf. Zwei andere wurden als Strassenverkäufer von «Surprise» angestellt.
Vom ersten Obdachlosen-Fussball-Weltmeister Österreich schafften es drei Spieler sogar, Verträge von Klubs aus unteren Ligen zu erhalten.
Die Organisatoren des Cups formulieren die Zielsetzung auf ihre Weise: «Der grösste Erfolg beim Homeless World Cup ist, nur einmal daran teilzunehmen.»
swissinfo, Adam Beaumont
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)
Am zweiten Homeless World Cup nehmen 29 Mannschaften teil.
Zum ersten Mal sind Teams aus Argentinien, Kamerun, Namibia, Portugal, Japan, Frankreich und der Ukraine dabei.
Das achttägige Turnier findet im schwedischen Göteborg statt.
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