Weniger Hilfe für Opfer von Verbrechen im Ausland
Die Schweiz will ihre finanziellen Hilfsleistungen für Personen einstellen, die im Ausland Opfer von Gewaltverbrechen werden.
Dies ist eine der wichtigsten Änderungen in der Totalrevision des Opferhilfegesetzes, die am Mittwoch vom Ständerat während der Frühjahrssession beraten wird.
Ob an einem Strand in Italien oder in einer Diskothek auf Mali: Wer irgendwo auf der Welt während der Ferien Opfer einer Gewalttat wird, kann in Zukunft nicht mehr auf eine finanzielle Unterstützung durch die Schweizer Behörden zählen.
Der Nationalrat, die grosse Parlamentskammer, hat der Totalrevision des Opferhilfegesetzes bereits im Juni letzten Jahres zugestimmt. Der Ständerat, die kleine Kammer, wird diese Woche nachziehen. Überraschungen sind praktisch ausgeschlossen.
Die wichtigsten Elemente der Revision sind die Einführung eines Maximalbetrags bei Genugtuung und längere Fristen beim Einreichen von Begehren. Ausserdem werden einige gesetzliche Lücken geschlossen.
Am umstrittensten ist mit Sicherheit die Einschränkung der Opferhilfe bei Straftaten im Ausland. Für diese Hilfsleistungen haben die Kantone zwischen 2000 und 2003 zwischen 60’000 und 700’000 Franken pro Jahr ausgegeben. Die Kantone – und nicht der Bund – finanzieren diese Hilfe.
Eigenverantwortung gefragt
Für den Christlichdemokraten und Präsidenten der ständerätlichen Rechtskommission, Franz Wicki, sind die finanziellen Aspekte aber nicht entscheidend: «Es geht vor allem um einen Grundsatz: Die Eidgenossenschaft kann die Sicherheit im Ausland nicht garantieren, folglich sollte sie auch keinen Schadenersatz für im Ausland erfolgte Ereignisse garantieren.»
Ins gleiche Horn stiess vor kurzem Bundesrat Christoph Blocher, Vorsteher des Polizei- und Justizdepartements: «Die Kantone können keine Verantwortung für die Risiken bei Auslandsaufenthalten übernehmen. Da muss jeder selbst die Verantwortung tragen.»
Die Linke im Parlament sieht dies anders. Ihrer Meinung nach verstösst die Revision gegen die Bundesverfassung. Diese hält im Artikel 124 fest, dass «Bund und Kantone dafür sorgen, dass Personen, die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Unversehrtheit beeinträchtigt worden sind, Hilfe erhalten und angemessen entschädigt werden, wenn sie durch die Straftat in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten».
Das Bundesamt für Justiz hat jedoch seinerseits ein Rechtsgutachten erstellt und ist zum Schluss gekommen, dass die neue Klausel durchaus mit der Bundesverfassung vereinbar ist.
Beratung bleibt garantiert
«Trotzdem wird der Verfassungsauftrag nicht mehr gewährleistet», hält der sozialdemokratische Ständerat Pierre Bonhôte fest, der ebenfalls der Rechtskommission angehört. Auch seiner Meinung nach muss zuerst der Staat, in dem eine Straftat begangen wird, für die Folgen aufkommen. «Aber nicht alle Staaten tun dies», bedauert Bonhôte.
Eva Wiesendanger, Verantwortliche der «Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz Opferhilfegesetz», weist darauf hin, dass die Entschädigungsfälle bei im Ausland begangenen Straftaten sehr tief liegen. Es handelt sich um wenige Prozent der Gesamtzahl von Fällen.
«Wir finden es aber positiv, dass unter dem neuen Gesetz die Opfer und ihre Angehörigen mit Wohnsitz in der Schweiz weiterhin einen Anspruch auf Leistungen der Beratungsstellen haben, auch bei im Ausland begangenen Straftaten», hält Wiesendanger fest. Man hätte nur die Kriterien enger fassen sollen.
Der Fall Luxor
Von verschiedener Seite wurde indes darauf hingewiesen, dass die Opfer des Attentats von Luxor (Ägypten) keinerlei Entschädigungen erhalten hätten, wenn 1997 das neue Opferhilfegesetz schon gegolten hätte. Damals kamen 58 Menschen ums Leben, darunter 36 Schweizer Bürger.
Die Kantone brachten 2,5 Mio. Franken an Entschädigung und Genugtuung auf. Trotz Anfragen der Schweizer Behörden, hat sich die ägyptische Regierung bis heute nicht gerührt.
Bundesrat Christoph Blocher hat während der Debatte im Nationalrat allerdings erklärt, dass für aussergewöhnliche Fälle wie Luxor auch in Zukunft womöglich Sonderregelungen getroffen werden können.
Dieser Ansatz wiederum überzeugt den sozialdemokratischen Ständerat Alain Berset nicht, der auch der Rechtskommission angehört: «Es ist keine gute Idee, weil sie dem Zufall unterliegt.»
Laut Berset kann es gravierende, im Ausland begangene Straftaten geben, die keinerlei Emotionen in der Schweiz auslösen, weil sie womöglich nicht in die Medien gelangen. Bei anderen Straftaten könne es genau umgekehrt sein: «Da kann man sich leicht vorstellen, in welchem Fall das Anrecht auf Entschädigung eingeräumt wird. Und das wäre absolut ungerecht.»
swissinfo, Daniele Mariani
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Im Jahr 2003 haben die kantonalen Opferberatungsstellen 23’948 Fälle verzeichnet. Davon ereigneten sich 445 Fälle im Ausland.
In 164 Fällen wurden Entschädigungen von insgesamt 3,2 Mio. Franken gewährt.
In 631 Fällen wurde Genugtuung von insgesamt 7,2 Mio. Franken gewährt.
Die Verwaltungskosten für die Opferhilfestellen belaufen sich auf 22 Mio. Franken.
Dieser Betrag wird fast ausschliesslich von den Kantonen aufgebracht.
Eine der wichtigsten Neuerungen in der Totalrevision des Opferhilfegesetzes ist eine finanzielle Obergrenze bei der Genugtuung. Das Gesetz war 1993 in Kraft getreten.
Um den wachsenden Kosten und Anfragen einen Riegel zu schieben, wird eine Obergrenze bei Genugtuung von 70’000 Franken pro Opfer und 35’000 Franken für die Familienangehörigen eingeführt.
Die Maximalbeträge für Entschädigungen werden der Teuerung angepasst und von 100’000 auf 120’000 Franken erhöht.
21 europäische Staaten, darunter die Schweiz, haben eine Konvention für die Entschädigung von Opfern von Gewaltverbrechen unterzeichnet.
Die Teilnehmerstaaten verpflichten sich darin, dass Personen, die auf ihrem jeweiligen Territorium Opfer eines Verbrechens wurden, auch eine Entschädigung erhalten.
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