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«Wenn es mich braucht, bin ich da»

Toni Frisch: Bald wird er sein Büro räumen. swissinfo.ch

Mehr als sein halbes Leben lang war Toni Frisch in der humanitären Hilfe in Katastrophen- und Krisengebieten auf der ganzen Welt tätig, hat analysiert, Lösungen gesucht, Entscheide gefällt. Jetzt geht der Leiter der humanitären Hilfe des Bundes in Pension.

«Schon als Knabe habe ich mich fürs Ausland interessiert und mir immer wieder vorgestellt, was wohl in Menschen vorgeht, die wegen Krieg oder Naturkatastrophen ihr Haus verlassen müssen, was sie mitnehmen, wo sie wohl hingehen…», sagt der 65-Jährige, der in den Medien auch als Krisenmanager oder Katastrophenmann bezeichnet wird.

Die Nähe zu den Opfern ist wichtig

Der Berner Seeländer hat viel Leid und Elend gesehen, die Fassung aber habe er nie verloren. «Wäre ich in einer Katastrophe mit Bildern konfrontiert worden, die mich überraschten, hätte ich zu Hause die Lage nicht richtig eingeschätzt.»

Mit den Jahren sei er vielleicht routinierter, erfahrener und etwas schlauer geworden. Aber abgestumpft sei er nicht. «Das wäre dramatisch.» Der Mensch könne, wenn er den Sinn der Aufgabe sehe, «jahrzehntelang Energie schöpfen», sagt Frisch – und man glaubt ihm.

Eine ruhige Zeit erlebt er kurz vor seinem Abgang nicht. «Wir haben drei parallele Krisen: Elfenbeinküste, Libyen, Japan.» Das bedeutet für den Kadermann viel Arbeit, auch vor den Medien. Wie vor wenigen Wochen, als das Schweizer Such-Team aus Japan heimkehrte – ohne, dass es Menschen lebend aus dem Trümmerfeld des Tsunami hatte bergen können.

Dennoch, so Toni Frisch, sei der Einsatz des Such-Teams, das auf Wunsch Japans entsendet worden war, erfolgreich gewesen. «Wir haben nicht mit Lebendrettungen gerechnet, sonst hätten wir ein Rettungsteam entsendet. Unsere Anwesenheit vor Ort hat uns viel Sympathie eingebracht, insbesondere unsere Strahlenschutzexperten haben zur Orientierung und Beruhigung der Bevölkerung beigetragen. Es war eine Manifestation der Solidarität. Die Nähe zu den Opfern ist nicht messbar, aber Teil des Erfolgs.»

Vergessene Kriege in Erinnerung rufen

Gleichzeitig bedauert Toni Frisch, dass sich die Medien immer auf Top-Geschehnisse stürzen, viele Aufgaben der humanitären Hilfe in der Öffentlichkeit jedoch kaum wahrgenommen werden, so etwa die Prävention gegen Naturkatastrophen, Langfristaufgaben oder vergessene Kriege wie jener in Darfur. «Das stört mich, aber ich lebe damit.»

Er kritisiert auch, dass sich nach dem schweren Erdbeben vom letztem Jahr in Haiti, das im weltweiten Fokus stand, viele Hilfswerke auf den Füssen herum trampelten. Er verlangte darauf, dass alle Organisationen, die im Ausland in der humanitären Nothilfe tätig sind, zertifiziert sein müssen – und stiess mit dieser Forderung auch bei der UNO auf offene Ohren.

«Nicht alle Organisationen leisteten in Haiti professionelle Hilfe. Es ist eine Beleidigung für die Opfer, wenn Hilfsgüter eintreffen, die niemand will. Gleiches gilt für Tonnen von Medikamenten, deren Datum abgelaufen ist.»

Jeder Lehrer, jeder Coiffeur brauche ein Zertifikat. Viele glauben, jeder könne humanitär tätig sein. Aber auch in der humanitären Hilfe gebe es Standards, die respektiert werden müssten. «Menschenliebe und Empathie braucht es natürlich auch, aber das braucht auch ein Coiffeur», so Frisch.

Eine Katastrophe bedeutet Chaos

Im Zentrum der humanitären Hilfe stehen für den erfahrenen Krisenmanager die Bedürfnisse der Opfer, unabhängig von politischen Bedingungen. Weder interessieren ihn im Zusammenhang mit der humanitären Hilfe Begriffe wie «Schweizer Prestige» noch «Konkurrenzkampf zwischen den Staaten». Die Zusammenarbeit sei viel besser als angenommen, sagt er dazu lediglich.

«Bei grossen Katastrophen geht einiges drunter und drüber. Eine Katastrophe ist per Definition ein Chaos», so Frisch. Man stelle sich vor, die Schweiz wäre von einer schweren Katastrophe betroffen mit tausenden von Obdachlosen..

«Ich wünsche mir, dass man mit Kritik weniger schnell zur Hand ist. Man muss sich bewusst sein, was es bedeutet, wenn 20 Millionen Menschen betroffen und zwei Millionen obdachlos sind wie bei der Jahrhundertflut in Pakistan.»

Es gibt immer einen Weg

Selber bezeichnet er sich als «glückliches Naturell, erdgebunden, belastbar, flexibel und offen für Neues». Probleme versteht er als Herausforderung.

Er sei wohl ebenso Realist wie Optimist. Ganz bestimmt aber sei er ein Pragmatiker, und das zu 100 Prozent. Er sei kritisch und habe immer mehr als eine Lösung zur Hand. «Ich habe gerne verschiedene Optionen, sonst wird es zu eng.»

Die Grundhaltung seiner Grossmutter, nämlich stets mit dem Schlimmsten rechnen und das Beste hoffen, hat er sich zum Leitsatz seiner bald vier Jahrzehnte langen humanitären Tätigkeit gemacht und ist gut damit gefahren.

Frisch, der in seiner langjährigen humanitären Karriere in rund 80 Ländern tätig war, versucht, wie er sagt, immer sensibel zu sein und auf die lokalen Begebenheiten einzugehen, weder zu dramatisieren noch zu untertreiben.

Um Lösungen zu finden, kommuniziert er mit Partnern an Ort, mit UNO-Organisationen, NGO, der Rotkreuzfamilie, mit Regierungsvertretern und Opfern. «Ich habe Kontakt mit allen: vom Minister bis zum Analphabeten.»

Auch wenn es ihm leicht fällt, «sich in neue Kulturen einzuleben», – die Wurzeln hat er in der Schweiz. «Die Nase aber habe ich im Wind auf der ganzen Welt», sagt er im Gespräch mit swissinfo.ch.

Ein bisschen stolz

Dieses Jahr ist Toni Frisch relativ wenig gereist. Er war in Angola, Kenia, an der Grenze zu Somalia, in New York bei der UNO, bei der Nato in Brüssel. Reisen macht ihm nichts aus. «Ich schlafe überall und komme erholt an. Wenn es mich braucht, bin ich da.»

Und jetzt, wo seine Karriere als Chef der humanitären Hilfe des Bundes sich dem Ende zuneigt, gibt er zu, auch ein bisschen stolz zu sein. «Darauf, dass ich mehr erreicht habe, als ich hoffen durfte.»

Aber vor allem ist er dankbar, dass die Schweizer Humanitäre- und Katastrophenhilfe in ihrer 40-jährigen Geschichte noch nie einen Mitarbeiter im Einsatz verloren hat. «Wir hatten eine Entführung und kaum schwere Unfälle. Wir hatten grosses Glück.»

1946 geboren in Biel-Bözingen. Lebt in Köniz bei Bern.

Ist Bauingenieur FH/SIA, Spezialist für Abwassertechnik und Wasserversorgung.

Frisch war früher in der SVP, heute ist er Mitglied der Bürgerlich-Demokratischen Partei BDP. Er ist Oberst in der Armee.

Seit bald 40 Jahren ist er auf dem Gebiet der humanitären Hilfe tätig.

1980 trat er ins EDA ein.

Seit 2001 Leiter humanitäre Hilfe des Bundes.

Seit 2008 Rang eines Botschafters und stellvertretender Direktor der Deza.

Er leitet die International Search and Rescue Advisory Group und die Beratungsgruppe der UNO für Umweltkatastrophen.

Ende April 2011 geht Toni Frisch in Pension.

Die humanitäre Hilfe des Bundes gehört zur Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), die im Departement des Äusseren (EDA) angesiedelt ist.

Das Schweizerische Korps für humanitäre Hilfe (SKH) ist der operationelle Arm der humanitären Hilfe. Es ist ein Milizkorps von rund 700 Spezialisten.

Die humanitäre Hilfe ist für  Nothilfe im Fall von Naturkatastrophen, Krisen und Konflikten zuständig. Ebenso für Wiederaufbau und Prävention.

Das Budget 2011 beträgt 312 Mio Franken.

Die humanitäre Hilfe des Bundes arbeitet mit UNO-Organisationen zusammen sowie mit dem IKRK, NGO und staatlichen Akteuren.

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