Wenn im Namen der Ehre gemordet wird
Im Namen der Ehre werden weltweit jährlich Tausende von Frauen zwangsverheiratet oder ermordet. Nicht nur im fernen Anatolien, sondern auch mitten in Europa.
Die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes zeigt die Ausstellung «Tatmotiv Ehre» im Rahmen einer Aufklärungskampagne in verschiedenen Schweizer und deutschen Städten.
Die Bilder auf den Stellwänden erzählen Geschichten der Gewalt und des Leidens: Ein weisser Rosenstrauss mit Stoffband und spitzen Dornen, aufeinander geschichtete Steine, eine Giftflasche, ein verkohltes Frauenkleidungsstück, ein Dolch und eine Beerdigung, bei der der Sarg von Frauen getragen wird.
Begraben wird die 15-jährige Kadriye Demirel. Sie war in Diyarbakir von einem Cousin vergewaltigt und geschwängert worden. Weil sich der Vergewaltiger weigerte, sein Opfer zu heiraten – nur dies hätte ihre «Ehre» wieder herstellen können –, wurde das Mädchen von ihrem Bruder auf offener Strasse zuerst mit einem Säbel verletzt und dann mit einem Stein erschlagen.
Die Geschichte der ermordeten Kadriye zeigt, wie fragwürdig, willkürlich, ja perviertiert dieser Ehrbegriff ist, der Frauen und Mädchen als willenlosen Besitz der Familie ansieht. Gewalt aus «verletzter Familienehre» geschieht insbesondere im Mittleren Osten, in der Türkei und in Afrika, aber auch in Europa.
Migrantinnen in der Schweiz
In einem separaten Teil beleuchtet die Ausstellung die Situation von Migrantinnen in der Schweiz. Denn auch hier geschehen Zwangsheiraten und sogar Ehrenmorde.
Von einer Stellwand blickt das strahlende Gesicht der jungen Yildiz M. auf die Besucher und Besucherinnen.
Yildiz M. lebte mit ihrer Familie in Köniz im Kanton Bern und wurde dort 1997 von ihrem Vater «wegen ihres westlichen Lebensstils» ermordet. Im Jahr 2000 wurden in Niederscherli (BE) Zahide und ihr Freund Süleyman von Zahides Brüdern umgebracht, weil sie sich einer Zwangsheirat verweigert hatte.
«Offizielle Erhebungen über Ehrenmorde in der Schweiz gibt es keine», sagt Regina Probst von Terre des Hommes Schweiz gegenüber swissinfo. Doch müsse von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden. Asylbewerberinnen würden von ihren Familien oft bis in die Schweiz verfolgt.
In der Migration wächst der Wunsch nach Tradition
Laut einem UNO-Weltbevölkerungsbericht werden jedes Jahr rund 5000 Frauen in mindestens 14 Ländern im Namen der Ehre ermordet. 1000 sind es allein in Pakistan. In 19 Ländern werden Ehrenmorde strafmildernd beurteilt.
Die Verbrechen an Mädchen und Frauen, sei es durch Zwangsheirat oder Ehrenmord, treten zunehmend aus dem Schatten des Schweigens und der Rechtsfreiheit heraus, weil sie auch in Europa stattfinden.
Hier, wo Migrantenfamilien oft in Parallelgesellschaften leben, bekommt die Zwangsehe eine neue Brisanz. Aus Angst vor Identitätsverlust in der Fremde wächst der Wunsch nach Bewahrung der Traditionen. Dazu gehört der in streng patriarchalischen Gesellschaften vorherrschende Ehrbegriff.
In der neuen Heimat nicht angekommen
Erst im April wurde in Berlin ein 19-jähriger Deutsch-Türke in einem Aufsehen erregenden Prozess für den Mord an seiner 23-jährigen Schwester Hatun Sürücü verurteilt. Er hatte sie an einer Bushaltestelle in Berlin aus kurzer Distanz mit drei Schüssen in den Kopf getötet. Weil er ihren selbständigen Lebenswandel missbilligt habe, wie es zum Tatmotiv hiess.
Die türkisch-deutsche Soziologin Necla Kelek vertritt in ihrem jüngsten Buch «Die verlorenen Söhne» die These, dass die Mehrheit der muslimischen Einwanderer nicht wirklich in ihrer neuen Heimat in Europa angekommen sei.
Eine EU-Studie zum Thema Ehrenmord betont, dass es sich dabei nicht um ein explizit religiöses Phänomen handle, sondern generell in streng patriarchalischen Gesellschaften vorkomme. Doch ist nicht zu übersehen, dass diese meist auch islamisch geprägt sind.
Mit der Ausstellung «Tatmotiv Ehre», die im Rahmen der Kampagne «Verbrechen im Namen der Ehre» entstanden ist, will die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes die Öffentlichkeit für das Tabuthema sensibilisieren und mithelfen, diese Art Verbrechen in Zukunft zu verhindern.
swissinfo, Susanne Schanda
Zwangsheiraten und Ehrenmorde geschehen auch in der Schweiz.
Laut Terre des Femmes sind in den letzten 10 Jahren in der Schweiz zwei Fälle von so genannten Ehrenmorden aktenkundig geworden, bei denen die Frauen durch den Vater oder einen Bruder umgebracht wurden.
In zwei weiteren Fällen versuchte jeweils der Ehemann, seine Frau zu töten, konnte aber daran gehindert werden.
Zwangsheirat fällt in der Schweiz unter den Tatbestand der Nötigung, ist also ein Offizialdelikt. Doch die Behörden erhalten selten Hinweise auf Fälle, wohl weil die Angst der Betroffenen zu gross ist.
Bei der Revision des Strafgesetzbuches, die 2007 in Kraft tritt, war ursprünglich «fremde Herkunft» als Strafminderungsgrund vorgesehen. Nach heftiger Kritik wurde dies fallen gelassen.
Die Ausstellung «Tatmotiv Ehre» steht im Rahmen der Kampagne «Verbrechen im Namen der Ehre» der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes.
Bis am 14. Mai ist sie im Kornhausforum Bern zu sehen.
Anschliessend reist sie weiter nach Visp, Zürich, Luzern und in mehrere deutsche Städte.
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