Wie minimiert man Lawinen-Risiken?
Freerider und Touren-Skifahrerinnen gehen oft grosse Risiken ein, um ihrem Sport frönen zu können. Immer häufiger werden auch Schneeschuh-Läufer Opfer von Lawinenunglücken.
Gute Vorbereitung und sorgfältige Risiko-Abschätzung können die Gefahren minimieren.
Rega-Ärztin Eveline Winterberger, selbst aktive Tourenfahrerin und Bergsteigerin, rät Freeridern, Tourenfahrern und Schneeschuh-Läufern: «Jede Person, die sich gerne in Gebieten abseits der Pisten aufhält, sollte eine Lawinen-Weiterbildung absolvieren.»
Dazu eignen sich Schulungs-Veranstaltungen des Schweizer Alpen-Clubs (SAC), Bergsteigerschulen oder eine Direkt-Unterweisung durch einen Bergführer während ein bis zwei Tagen vor Ort.
Die Reduktions-Methode des Lawinenpapstes
Werner Munter wird als Schweizer «Lawinenpapst» bezeichnet. Er entwickelte eine spezielle Reduktions-Methode. Damit kann das Lawinen-Gefahrenpotenzial errechnet werden.
Mit Munters Methode kann anhand von Wahrscheinlichkeiten und Schätzungen das Gefahrenpotenzial eines Hang beurteilt werden. Dieses Potenzial ist primär abhängig von der jeweils gültigen lokalen Lawinenwarnstufe, die von den Lawinenlageberichten ausgegeben wird.
Diesem Gefahrenpotenzial werden dann verschiedene Vorsichtsmassnahmen gegenübergestellt. Mit jeder Massnahme können die Tiefschnee-Begeisterten die Gefahr um einen bestimmten Faktor reduzieren (daher der Name «Reduktions-Methode»). Verzichten sie beispielsweise auf Hangneigungen über 39 Grad Steilheit, halbiert sich das Risiko.
Durch geschickte Gewichtung und Vernetzung der einzelnen Faktoren ergibt sich dann die einfache Formel «Gefahrenpotenzial : Reduktionsfaktor(en) = Risiko».
Als gesellschaftlich (und juristisch) akzeptiertes Risiko schlägt Munter den Richtwert 1 vor. Würden sich alle Tourengeher exakt an diese Formel halten und kein höheres Risiko eingehen, würde sich die Anzahl der Lawinentoten im Vergleich zur Zeit vor der neuen Beurteilungsmethode mindestens halbieren.
Nur mit LVS
Gefahren bleiben allerdings: Deshalb sollte ohne Lawinen-Verschütteten-Suchgerät (LVS) keine Tour abseits der Pisten unternommen werden. Etwa 90% aller ganz Verschütteten überleben, wenn sie in den ersten 15 Minuten nach dem Unfall gefunden werden. Erfolgt die Rettung erst nach einer halben Stunde, wird nur noch die Hälfte lebend geborgen. Das LVS ist das wichtigste Hilfsmittel für die schnelle Rettung durch nicht verschüttete Kameraden.
Rega-Ärztin Eveline Winterberger: «Auch der Umgang mit dem LVS muss gelernt werden. Das reicht vom Einschalten des Geräts bis zum Suchen des Verschütteten. Es tut jedem gut, wenn man das jedes Jahr wieder einmal übt.»
Gelände um das Suchen zu üben
Das Avalanche Training Center (ATC) in Zinal (VS) ist ein neues Angebot, um den Einsatz eines LVS auf einem Schneehang zu üben. Besitzer von Lawinen-Suchgeräten können auf diesem 5000 m2 grossen Suchgelände auf 2500 m ü.M. über Meer für den Ernstfall trainieren. Im Hang sind fiktive Opfer, konkret mehrere Meter tief vergrabene Sender, versteckt.
Eveline Winterberger verlangt jedoch mehr: «Es ist wichtig, sich mit dem Schneeaufbau und den Wetterverhältnissen zu beschäftigen. Eine bessere Kenntnis der Umweltfaktoren würde den Tourengängern und -läufern mehr Hemmungen verursachen, einfach in einen gefährdeten Hang zu fahren oder zu laufen.»
Neue Risiko-Gruppe: Schneeschuh-Läufer
Nicht nur die Skifahrer und Snowboarder zählen zur Risiko-Gruppe. Sorgen bereiten den Bergrettern auch die Schneeschuh-Läufer. Eveline Winterberger: «Wir hatten vor wenigen Wochen ein schlussendlich gut ausgegangenes Lawinenunglück. Die Schneeschuh-Läufer waren ohne LVS unterwegs. Schneeschuh-Läufer sind sich einfach noch nicht so bewusst, dass man auf eine Tour ein LVS mitnehmen muss.»
Schneeschuh-Läufer haben die Tendenz, einfach in jeden Hang hineinzulaufen. Auch beim Heruntergehen von Steilhängen nehmen sie keine Rücksicht auf die Verhältnisse. «Dass noch nicht mehr passiert ist, erstaunt mich eigentlich», meint die Ärztin.
Schneeschuh-Laufen hat sich in den letzten zwei Jahren zu einer wahren Boom-Sportart entwickelt. «Kein Wunder», meint Eveline Winterberger: » Es ist etwas, das man relativ leicht lernen kann. Und es ist sehr schön, sich in der verschneiten Natur zu bewegen. Und wenn man halt einen steilen Hang sieht, geht man den hoch, ohne sich zu überlegen, dass es auch Lawinen gibt.»
swissinfo, Etienne Strebel
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