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Wie Roboter Kakerlaken hinters Licht führen

Kakerlaken mit einem Mini-Roboter im hellen Licht. swissinfo.ch

An der ETH Zürich wurden Käfer-Roboter kreiert, die das soziale Verhalten von Schaben manipulieren können. Die Roboter bringen Kakerlaken dazu, helle Schlupflöcher den beliebteren dunklen Verstecken vorzuziehen.

Damit sei erwiesen, dass Maschinen mit Lebewesen kommunizieren, ja gar kooperieren können, schreiben die Wissenschafter im Wissenschaftsmagazin «Science».

Man sieht sie selten, und doch leben sie unter uns überall dort, wo es warm und feucht ist: die Schaben. Angefressene Lebensmittel und kleine Kotkügelchen sind die Visitenkarte der ungebetenen Gäste.

Sie wieder loszuwerden ist nicht einfach, denn die Schädlinge und Träger mancher Krankheitserreger sind flink auf den Beinen.

Zu ihrer Überlebensstrategie zählt neben einer beängstigenden Vermehrungsrate auch die instinkthafte Gewohnheit, sich tagsüber in dunklen Schlupfwinkeln zu verstecken.

Liebe zur Dunkelheit anerzogen

Doch offenbar ist das lichtscheue Verhalten der Kakerlaken nicht einfach angeboren, sondern zu einem gewissen Grad auch Resultat eines kollektiven Entscheidungsprozesses innerhalb der Käferkolonie. Diese Entscheidfindung kann von fremden Eindringlingen manipuliert werden.

Dies konnte eine europäische Forschergruppe, darunter Wissenschafter der ETH Zürich und der EPFL Lausanne, in einer raffinierten Versuchsanordnung demonstrieren. Ihr Bericht wurde am 15. November im Wissenschaftsmagazin «Science» veröffentlicht.

An der ETH Zürich entwickelt

Hauptdarsteller in der Schaben-Arena sind kleine Roboter, die vom Team um Roland Siegwart kreiert wurden, dem Leiter des Instituts für Robotik und Intelligente Systeme an der ETH Zürich.

Intelligenz zumindest mimen müssen die Agenten tatsächlich können, wenn sie eine Schabenkolonie erfolgreich infiltrieren wollen. «Um von der Schabengruppe akzeptiert zu werden, müssen die Roboter-Käfer einige Grundanforderungen erfüllen», schildert Roland Siegwart seine Entwicklungsarbeit gegenüber swissinfo.

«Die Kunstschaben müssen sich ähnlich bewegen wie die Originale und fähig sein, Hindernissen, etwa den Mit-Schaben oder dem Käfigrand auszuweichen.»

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ETHZ/EPFL

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Die Schweiz hat zwei technische Hochschulen, die ETHZ in Zürich, die 2005 ihr 150 jähriges Bestehen feiern konnte, und die EPFL in Lausanne, die 1853 als Privatschule gegründet wurde und 1969 nach der Trennung von der Universität Lausanne eine Eidgenössische Hochschule wurde. Beide Hochschulen gelten als führende Institutionen in Wissenschaft und Technologie und werden direkt…

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Hauptsache, der Stallgeruch stimmt

Siegwarts Geschöpfe scheinen das Täuschungsmanöver brillant zu beherrschen, obwohl sie gar nicht wie Schaben aussehen. Dies spielt aber offenbar keine Rolle, so lange sie den richtigen Stallgeruch verströmen. Dazu wurden die Roboterchen mit Vliespapier eingekleidet, das zuvor mit Schaben-Duftstoffen getränkt worden war.

Zwei wichtige Verhaltensregeln wurden den Schaben-Robotern mit auf den «Lebensweg» gegeben. Sie wurden programmiert, einerseits wie die richtigen Schaben stets Gesellschaft zu suchen und sich andererseits, im Gegensatz zu den lebenden Käfern, tendenziell lieber an einem hellen Ort aufzuhalten.

Normalerweise zu 73% im Dunkeln

Jetzt konnte die Show beginnen. Als Arena diente ein gut ausgeleuchteter runder Käfig von einem Meter Durchmesser. Darin wurden zwei Unterschlüpfe aufgestellt, gross genug, um im Bedarfsfall die gesamte Versuchsgruppe aufzunehmen. Der eine Unterstand war mit rotem Papier auf 100, der andere auf 75 Lux abgedunkelt.

In einer ersten Versuchsreihe wurde eine Gruppe von 16 männlichen Schaben des Typs Periplaneta americana in den Käfig gesetzt. Während drei Stunden wurde gemessen, wie lange und wo sich die Käfer aufhielten.

Nicht überraschend zeigte sich, dass sich die echten Kakerlaken, solange sie unter sich blieben, in 73 Prozent der Fälle lieber im dunkleren der beiden Schlupfwinkel versteckten.

Schon vier Roboter bewirken Gegenteil

Ganz anders dann das Verhalten der Gruppe, wenn nur schon vier Käfer durch Roboterchen ersetzt wurden, die Helligkeit bevorzugen. Denn jetzt verhielt sich das gemischte Kakerlaken-Kollektiv bloss noch zu 39 Prozent lichtscheu und versammelte sich bevorzugt am helleren Ort.

Mit anderen Worten: Schon eine Minderheit von vier Käfer-Robotern konnte die Schaben-Mehrheit durch chemotaktische Kommunikation davon überzeugen, bewährte Verhaltensmuster aufzugeben und sich an einem potentiell gefährlich hellen Ort zu exponieren.

Die Roboter-Käfer zeigten somit innerhalb der Gruppe mehr Überzeugungskraft als die echten Kakerlaken, wenn es um die Wahl des Unterschlupfes ging. Eine doch erstaunliche Beobachtung, wäre doch schon ein 50:50-Resultat sehr beachtlich gewesen.

Auch mit Menschen möglich?

Die Selbstorganisation einer Gruppe sei durch nichtlineare Mechanismen geprägt, erläutern die Autoren der Science-Publikation. Die Roboter hätten weder als «Führer» funktioniert noch bloss die Rolle eines Köders übernommen, sondern seien vielmehr gleichwertig in den Entscheidungsprozess der Kakerlaken-Gruppe integriert gewesen.

Im übrigen sind die Forscher stolz auf ihren Nachweis, dass soziale Kooperation zwischen Lebewesen und Maschinen in einem gewissen Grad offenbar möglich ist.

Sie schreiben bereits davon, die Versuchsanordnung auszubauen, akustische und visuelle Dimensionen einzuführen und auch für Wirbeltiere anwendbar zu machen. Vom Menschen ist noch nicht die Rede.

swissinfo, Ulrich Goetz

Man kennt über 3500 Schabenarten, davon kommen deren 15 auch im kühlen Mitteleuropa vor.

Weit verbreitet sind in gemässigten Zonen der Schwabenkäfer Blattella germanica und die gemeine Küchenschabe Blatta orientalis. Beide stammen ursprünglich aus den Tropen. Dort erreichen die Käfer Körperlängen von über zehn Zentimetern.

Auf Reisen durch die beiden Amerikas ist der Kontakt mit der Florida-Skunk-Schabe und der Amerikanischen Gross-Schabe wohl nicht zu vermeiden.

Schaben befallen einerseits Lebensmittel und machen diese ungeniessbar, andererseits übertragen sie auch Krankheitskeime.

Auch in Mitteleuropa gelten die Käfer als ernst zu nehmende Gesundheitsschädlinge, weil sie neben Schimmelpilzsporen auch die Erreger für Typhus, Tuberkulose, Cholera, Ruhr, Hepatitis B und Kinderlähmung verbreiten können.

Peinliches Sauberhalten aller feucht-warmen Örtlichkeiten ist eigentlich die einzige Abwehr-Strategie gegen Schabenbefall.

Wo diese versagt, hilft höchstens massiver Gifteinsatz, beispielsweise mit Borsäure-haltigen Gelen.

Auch Fallen, «roach motels» genannt, innen mit klebenden Lockstoffen bestrichen, helfen die Schabenpopulation unter Kontrolle zu halten.

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