Wird der Zulassungsstopp für Ärzte aufgehoben?
In der laufenden Session entscheidet sich, ob der Zulassungsstopp für neue Arztpraxen weiter geführt wird. Wenn sich die beiden Parlamentskammern nicht einigen, wird der Ärztestopp aufgehoben. Das hätte auch Konsequenzen für Mediziner aus der EU.
Das Thema sorgt für viel Zündstoff. Und die Bedeutung des anstehenden Entscheids geht weit über die nationalen Grenzen hinaus. Denn am 3. Juli läuft der Zulassungsstopp für Ärzte aus. Ohne Verlängerung der entsprechenden Verordnung können nicht nur Schweizer, sondern auch Ärzte aus dem EU-Raum ohne Einschränkungen neue Praxen eröffnen.
Der Ständerat (Kleine Kammer) wird am Dienstag entscheiden, ob die Eröffnung einer neuen Arztpraxis weiterhin an restriktive Bedingungen geknüpft wird. Gemäss der 2002 als Provisorium eingeführten Regelung dürfen Ärzte nur dann eine Praxis eröffnen, wenn ein Vorgänger aufgibt oder der Kanton eine Ausnahme macht.
Dabei gilt es als sicher, dass sich der Ständerat für eine Weiterführung des Dekrets entscheiden wird. Der Ärztestopp würde somit bis zum 31. Dezember 2010 verlängert.
Es wird argumentiert, dass eine komplette Liberalisierung ohne flankierende Massnahmen eine Kostenexplosion zur Folge haben könnte. Dies sah auch Gesundheitsminister Pascal Couchepin während der Nationalratsdebatte im März so. Er schätzte die möglichen Zusatzkosten zu Lasten der Krankenversicherer auf 300 Mio. Franken im Jahr.
Gleichwohl liess sich die Mehrheit des Nationalrats, der Grossen Kammer, von dieser Zahl nicht einschüchtern. Mit 116 zu 67 Stimmen entschied die Kammer, nicht auf die Vorlage einzutreten. Man sprach von einer «planwirtschaftlichen Massnahme», die ihr Ziel verfehlt habe. Damit liegt der Ball wieder beim Ständerat.
Vertragszwang als Bremsklotz
Im Nationalrat waren viele Parlamentarier der Meinung, der Ständerat habe genug Zeit gehabt, um flankierende Massnahmen vorzubereiten. Doch der Rat habe auf Zeit gespielt, um die heikle Frage des Vertragszwangs auszuklammern. Diese Klausel verpflichtet die Krankenkassen bisher, die Leistungen aller in der Schweiz niedergelassenen Ärzte bezahlen zu müssen.
Unter dem Druck des Nationalrats hat der Ständerat deshalb von der Bundesverwaltung eine Kompromiss-Lösung ausarbeiten lassen. Demnach soll der Vertragszwang je nach Leistungserbringer verändert werden. Das heisst: Für Hausärzte bliebe der Vertragszwang, für Fachärzte wäre er aufgehoben.
Bei der Detailanalyse dieser Lösung kam es jedoch zu grossen Problemen, wie die vorberatende Gesundheitskommission des Ständerats Mitte Mai mitteilte. Deshalb wurden zwei weitere Vorschläge ausgearbeitet.
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Krankenversicherung
Zwei Basis-Versicherungsmodelle
Der erste Vorschlag sieht für die Krankenkassen die Möglichkeit vor, den Versicherten zwei unterschiedliche Policen für die Basisversicherung anbieten zu können. In einem Fall wäre die Ärztewahl eingeschränkt, im anderen Fall die freie Ärztewahl garantiert, aber die Versicherten müssten eine höhere Franchise sowie eine höhere Kostenbeteiligung tragen.
Der zweite Vorschlag sieht vor, die Bewilligungen für die Eröffnung neuer Arztpraxen durch Fachärzte an eine Bedürfnisklausel zu koppeln. Im Fall eines «Überangebots» könnten die Behörden die Bewilligungen für bestimmte Regionen oder bestimmte Facharztgruppen einschränken.
Die Gesundheitskommission des Ständerats würde gerne noch eine Anhörung während der Sitzung vom 26. /27.Juni durchführen. Doch dann könnte die Diskussion erst in der Herbstsession des Ständerats stattfinden.
Entscheid in letzter Minute
Die Kommission hat von den verschiedenen Lobbygruppen – Krankenversicherer und Ärzte – Signale erhalten, dass sich auch der Nationalrat überzeugen lässt, den Ärztestopp doch nochmals um zweieinhalb Jahre zu verlängern.
Wenn sich die Vertreter der Kleinen Kammer am Dienstag für die Verlängerung entscheiden, wird das Thema in der Woche darauf im Nationalrat diskutiert. Sollte der Nationalrat – entgegen der Erwartungen der vorberatenden Ständeratskommission – erneut eine Verlängerung zurückweisen, würde der Zulassungsstopp de facto am 4. Juli fallen. Denn in diesem Fall wäre nicht mehr genug Zeit vorhanden, um die Differenzen zwischen den beiden Kammern auszuräumen.
swissinfo Sonia Fenazzi
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
Der Bundesrat hat den Zulassungs-Stopp für neue Arztpraxen im Juli 2002 als provisorisches Instrument und auf drei Jahre befristet eingeführt, um der Kostenexplosion im Gesundheitswesen einen Riegel zu schieben.
Es ging vor allem darum, einen Zustrom von Ärzten aus dem EU-Raum zu vermeiden. Befürchtet wurde insbesondere eine Invasion deutscher Ärzte als Folge der Personenfreizügigkeit im Rahmen der bilateralen Verträge mit der EU.
Regierung und Parlament wollten in der Zwischenzeit Alternativen zum so genannten «Vertragszwang» ausarbeiten. Dieser zwingt die Krankenkassen dazu, die Leistungen von allen in der Schweiz niedergelassenen Ärzten zu bezahlen.
Doch bis heute ist keine tragfähige Lösung zur Aufhebung beziehungsweise Lockerung des Vertragszwangs gefunden worden.
Abgestimmt wird über den neuen Verfassungsartikel «Für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung».
Die Folgen dieses Verfassungsartikels auf den Vertragszwang zwischen Krankenkassen und den Leistungserbringern im Gesundheitswesen sind Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.
Nach Ansicht des Dachverbands der Schweizerischen Ärzte FMH wird durch eine Annahme dieses Verfassungsartikels der Vertragszwang aufgehoben. Die Krankenkassen könnten dann entscheiden, mit welchen Ärzten sie im Rahmen der Grundversicherung zusammen arbeiten wollten.
Nach Ansicht des überparteilichen Komitees «Ja zu mehr Qualität in der Gesundheitsversorgung» wird die freie Wahl des Spitals, des Arztes und der Therapie nicht eingeschränkt.
Gemäss einer Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts GfS ist der Ausgang des Urnengangs offen: 39% der Befragten sprachen sich für den Verfassungsartikel aus, 45% dagegen.
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