Wird «letzte Hexe Europas» doch noch rehabilitiert?
Am 13. Juni 1782 wurde Anna Göldi nach erzwungenen "Geständnissen" in Glarus hingerichtet. Auch heute, 225 Jahre später, bewegt das Schicksal der "letzten Hexe Europas".
Die von der Glarner Regierung kürzlich abgelehnte offizielle Rehabilitation Göldis stösst auf Widerstand. Jetzt bemühen sich auch Parlamentarier um die Wiederherstellung ihres Rufes.
Das schon 1782 umstrittene Urteil der Glarner Justiz gegen Anna Göldi ist auch heute noch rechtskräftig. Dies empfinden viele als skandalös. So setzt sich nun auch eine Parlamentariergruppe um den freisinnigen Ständerat Fritz Schiesser für ihre Rehabilitation ein, obwohl die weltliche wie die kirchliche Obrigkeit des Kantons sich dagegen ausgesprochen haben.
Im Bewusstsein der Glarnerinnen und Glarner sei Göldi längst rehabilitiert, argumentierten die beiden Gremien. Die historische und literarische Aufarbeitung sei erfolgt.
Literarische Aufarbeitung
Auch Walter Hauser, Glarner Journalist und Buchautor setzt sich persönlich für die Rehabilitierung Anna Göldis ein. Zudem veröffentlicht er an Göldis 225. Todestag sein Buch «Der Justizmord an Anna Göldi», für das er jahrlang recherchiert hate.
Sollten die parlamentarischen Vorstösse keine Wirkung zeigen, will er, Hauser, in dieser Sache persönlich an die Landsgemeinde gelangen.
Anna Göldis Schicksal wurde schon früher künstlerisch verarbeitet, unter anderem in Büchern der Glarner Autoren Konrad Freuler (1953) und Eveline Hasler (1982) sowie in einem Film von Gertrud Pinkus (1994).
Zum 225. Jahrestag der Hinrichtung der «letzten Hexe» die Anna-Göldi-Stiftung gegründet. Gemäss den Statuten will diese nicht nur das Andenken an Anna Göldi bewahren, sondern sich auch heute für Randständige, Minderheiten und Opfer von Willkür einsetzen.
Schweres Los
Anna Göldi wurde 1734 in armen Verhältnissen geboren. Sie arbeitete schon früh als Dienstmagd. Angestellt im Pfarrhaus von Sennwald, wurde sie von einem jungen Burschen geschwängert, der sie aber verliess. Sie verbarg ihre Schwangerschaft und brachte das Kind ohne Beistand auf die Welt. Nach der Entdeckung der Kinderleiche stellte man sie öffentlich an die Schandsäule.
Später trat sie in den Dienst von Dr. Zwicky in Mollis, wurde wieder schwanger, diesmal vom Dienstherrn. Auch diese Geburt wurde verheimlicht, über das Schicksal dieses Kindes ist nichts bekannt.
Schwierigkeiten über Schwierigkeiten
Nach mehrfachen Stellenwechseln wurde sie 1780 vom Arzt und Richter Johann Jakob Tschudi angestellt. Das zweitälteste der fünf Kinder, Annemaria, genannt Annemigli, verstand sich nicht gut mit der Magd Anna.
Nachdem Annemigli einen Klaps bekommen hatte, fand das Kind einige Tage später eine «Gufe» (Stecknadel) in seiner Milch. Dies wiederholte sich immer öfter. Verdächtigt wurde Anna Göldi, die darauf aus dem Haus gejagt wurde.
Nach der Entlassung der Magd stellten sich beim Annemigli krankhafte Anzeichen, wie Zittern, Fieberschauer, Phantasien, Hustenanfälle. Eines Tages spie es mit blutigem Schleim einige Gufen aus.
Schnell war man sich einig, dass dafür Anna Göldin verantwortlich sei, obwohl deren Entlassung schon bald drei Wochen zurück lag. Man kam allgemein zur Überzeugung, dass Anna das Kind «verderbt», also verzaubert habe.
Dr. Tschudi drängte die Glarner Ratsherren, die Göldi zu verfolgen. Schliesslich wurde ein Steckbrief an alle eidgenössischen Regierungen geschickt. Anna Göldi wurde darauf verhaftet und am 21. Februar 1782 nach Glarus überführt.
Verhöre und Folter
Die Verhöre konnten aber erst beginnen, nach der Klärung der Zuständigkeit der drei glarnerischen Gerichtshöfe, des evangelischen, des katholischen oder des «gemeinen» Rates. Tschudi setzte durch, dass sich statt des gemeinen Rats der evangelische Rat mit der Sache befasste.
Nach langen Verhören und brutaler Folter gestand Anna Göldi alle «Verbrechen» ein, sogar jenes, «die Kräfte des Teufels» zu nutzen.
Exponiertes Glarus
In der Urteilssprechung wurde jedoch der Vorwurf der Hexerei vermieden, und weil man wohl wusste, dass nicht alles mit rechten Dingen zugegangen war, wurden die Gerichtsakten vernichtet.
Da Glarus kein Zuchthaus besass, hätte Anna Göldi eine lebenslange Strafe in Zürich absitzen müssen. Das wollten die Glarner nicht, hätte sie doch in Zürich ihr Geständnis widerrufen können. So wurde sie als Vergifterin zum Tod durch das Schwert verurteilt und am 18. Juni 1782 enthauptet.
Anna Göldis Leichnam wurde unter dem Galgen verscharrt. Im schweizerischen Umland und vor allem in Deutschland wurde bald von einem Justizverbrechen gesprochen und von Justizmord.
swissinfo , Etienne Strebel
Anna hiess im Roman der Schweizer Autorin Eveline Hasler «Anna Göldin». Ein Blick in die Archive zeigt jedoch klar, dass «Göldi» richtig ist.
Die Anna Göldi-Stiftung zum Gedenken an die «letzte Hexe Europas» will gemäss ihren Statuten nicht nur das Andenken an Anna Göldi am Leben erhalten. Sie setzt sich auch aktuell für Randständige, Minderheiten und Opfer von Willkür ein.
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