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Wirtschaftskriminalität überlastet Justiz

Illegale und gefälschte Software kommt in Zürich unter die Dampfwalze. Keystone

Wirtschaftsdelikte verursachen in der Schweiz einen geschätzten jährlichen Schaden von zwischen 3 bis 5,4 Mrd. Franken.

Diese Art der Kriminalität überlastet die Justiz. Es fehlen die Experten. Die legale Wirtschaft sei jedoch nicht bedroht, sagt ein Bericht des Bundes.

Allein der «klassische» Teil der Wirtschaftsdelikte wie Betrug oder Veruntreuung verursacht jedes Jahr Kosten von mindestens 1,2 Mrd. Franken. Der Bericht «Innere Sicherheit der Schweiz 2002» rechnet mit einer Dunkelziffer von 50%. Damit steigt der Schaden dieser Deliktart auf über 3,5 Mrd. Franken.

Hinzu kommen die Schäden von Delikten in den Bereichen Produktepiraterie, Computerkriminalität, Schwarzarbeit und Industriespionage.

Damit, so wird geschätzt, beläuft sich der Schaden auf weit über 5 Mrd. Franken, was rund 1,5% des Brutto-Inlandproduktes entspricht.

Schweiz weniger betroffen

Das für den Bericht federführende Bundesamt für Polizei geht davon aus, dass Wirtschaftsdelikte zunehmend internationaler werden.

Diesen Befund unterstreicht eine Studie (PwC Crime Survey 2003) von PricewaterhouseCoopers (PwC). Diese fand heraus, dass innerhalb der letzten zwei Jahre weltweit 37% aller Unternehmen Opfer von Betrügern wurden. Dies bei einem durchschnittlichen Schaden von über 3 Mio. Franken.

Im Vergleich zu diesem weltweit geltenden Anteil von 37% an geschädigten Firmen schneidet die Schweiz mit 24% landesweit relativ gut ab. Begründet wird dies mit der Schweizer Unternehmensstruktur, die überproportional viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zählt. Kleine Firmen seien deshalb weniger von Wirtschaftskriminalität bedroht, weil es sich um überschaubare Organisationen handle.

Gesetze zeigen Wirkung im Finanzsektor

Die Wirtschaftskriminalität in der Schweiz umfasst eine Vielzahl von Delikten und Tätergruppen.

So ereigneten sich hierzulande 16% der Delikte im Dienstleistungssektor, 43% in der Industrie und 41% im Finanzsektor. Damit liegt die Schweizer Quote für den oft gescholtenen Finanzsektor deutlich unter dem globalen Wert von 51%. PwC vermutet, dass die verschärften Gesetzte in der Schweiz Wirkung zeigten.

Prominente auf der Anklagebank

Schaut man sich die Deliktkategorien an, dann ist die Veruntreuung in der Schweiz und weltweit das grösste Problem. Oft würden diese Delikte gar nicht als solche wahrgenommen, schreibt die HandelsZeitung in einem Artikel über Wirtschaftskriminalität. Sie verweist auf den kürzlichen Gerichtsfall um den Mediziner Guido Zäch, den Leiter des Nottwiler Paraplegiker Zentrums. Hier, beim beliebten Arzt, weigere sich die Öffentlichkeit sogar von Wirtschaftskriminalität zu sprechen.

Doch auch andere prominente Schweizer Manager befinden sich im Fokus der Wirtschaftsjustiz: Philippe Bruggisser (SAirGroup), Hans-Peter Bachmann (Bank Vontobel), Martin Ebner (BZ-Gruppe) oder der frühere CEO der ABB, Percy Barnevik, um nur einige Beispiele zu nennen.

Alle diese Fälle, ausser jenem von Zäch, sind bei der Wirtschaftskammer III in Zürich hängig. Die Untersuchungen, auch gegen «Top Shots», bedeutet für die Bezirksanwaltschaft eine steigende Arbeitsbelastung.

Allein die Untersuchungen über den Untergang der ehemaligen Schweizer Luftverkehrsgesellschaft Swissair umfasst zur Zeit rund 2500 Bundesordner.

Mehr Experten nötig

Ende Juni waren insgesamt 128 Strafverfahren pendent. Auf jeden der total 14 Bezirksanwälte fallen knapp neun Fälle, die parallel bearbeitet werden müssen.

«Statistisch gesehen bräuchten wir dreimal mehr Leute» erklärt Christian Weber, Staatsanwalt und Geschäftsleiter der Bezirksanwaltschaft III für den Kanton Zürich.

Die Handelszeitung schreibt, dass es in der Schweiz rund 400 Experten brauchen würde, um die Wirtschaftskriminalität im Land erfolgreich zu bekämpfen.

Unter Experten versteht die Zeitung all diejenigen Personen, die in Luzern das eineinhalb Jahre dauernde berufsbegleitende Nachdiplomstudium zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität abschlossen. In der Basler Staatsanwaltschaft beispielsweise hat erst eine Person dieses Studium abgeschlossen.

So verwundert es nicht, dass die Mehrheit der Strafuntersuchungen gar nie zur Anklage kommen. Allein in Zürich wurden 75 Verfahren eingestellt oder sistiert. Anklage wurde in 22 Fällen erhoben. Ausserdem wurden 13 Verfahren per Strafbefehl erledigt.

Das Profil des Wirtschaftskriminellen

Die Wirtschaftskriminalität umfasst eine Vielzahl von Delikten und Tätergruppen. Für die Schweiz lässt sich dennoch ein Profil des Wirtschaftskriminellen erstellen, wie wissenschaftliche Untersuchungen aus jüngerer Zeit zeigen.

Mit Ausnahme von Gewohnheits-Verbrechern sind typische Wirtschaftskriminelle Männer im Alter zwischen 30 und 45 Jahren, die bezüglich Ausbildung, beruf und Sozialprestige relativ gut gestellt sind, über ein überdurchschnittliches Einkommen verfügen, aber finanziell einen zu aufwändigen Lebensstil führen.

Keine Bedrohung

Wirtschaftsdelikte machen in der Schweiz nur einen kleinen Prozentsatz der Gesamtanzahl registrierten Straftaten aus. Der Bericht des Bundesamtes für Polizei kommt zum Schluss: «Wirtschaftskriminalität stellt derzeit keine grundlegende Gefährdung für die innere Sicherheit der Schweiz dar. Ebenso wenig kann sie zum jetzigen Zeitpunkt als Bedrohung für das Funktionieren der legalen Wirtschaft betrachtet werden.»

swissinfo, Urs Maurer

Wirtschaftskriminelle haben in der Schweiz ein klares Profil.
Am häufigsten kommt es zur Veruntreuung.
Durch Wirtschaftskriminalität entstehen Schäden in der Höhe von rund 1.5% des Bruttoinlandprodukts.
In der Schweiz werden weniger Unternehmen wirtschaftskriminell geschädigt als weltweit.
Die Bekämpfung ist wegen des Mangels an Fachleuten schwierig.
Pro Staats- oder Bezirksanwalt ergeben sich bis zu neun Fälle, die alle parallel bearbeitet werden müssen.

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