Zürich revidiert seine Drogenpolitik
Die Stadtzürcher Drogenpolitik der letzten 10 Jahre trägt Früchte. Sie hat aber der Bekämpfung der offenen Drogenszene zuviel Aufmerksamkeit geschenkt und den Rest ein wenig vernachlässigt.
Die Stadtregierung zog vor der Abstimmung über die Weiterführung des Heroinabgabeprogramms an Schwerstsüchtige Bilanz.
Die Zürcher Stadtregierung strebt eine «stadtverträgliche» Drogenszene an. In ihrem gut 100-seitigen Drogenbericht zieht die Regierung – 10 Jahre nach der Schliessung der offenen Drogenszene am Letten – Bilanz und erläutert ihre Strategie bis 2010.
Zürichs Drogenpolitik habe sich bewährt, lautet eine Schlussfolgerung des Berichts. Dennoch müsse die Politik angepasst werden. So heisst es im Bericht: «Wir haben uns derart stark auf die Überwindung der offenen Szene konzentriert, dass wir andere Entwicklungen fast verschlafen hätten.»
Die Stadt sei zum Beispiel nur zögerlich in die Partydrogen-Prävention eingestiegen. Und die Entwicklung beim Cannabis-Konsum habe man praktisch ausschliesslich der Justiz überlassen.
Keine drogenfreie Gesellschaft
Der Stadtrat, so heisst in Zürich die Exekutive, orientiert sich bei seiner Drogenpolitik nicht nach dem Ideal einer drogenfreien Gesellschaft. Sozialvorsteherin Monika Stocker sagte vor den Medien, die Behörde peile realistischerweise eine «stadtverträgliche Drogenszene» an.
Gesundheitsvorsteher Robert Neukomm fordert eine «Drogen- und Suchtpolitik», die nach der Konzentration auf die illegalen Drogen vermehrt alle Suchtmittel einbeziehe.
Die Polizei werde sich weiterhin auf den Kampf gegen die harten Drogen konzentrieren, sagte Polizeivorsteherin Esther Maurer. Ein Gang durch die Langstrasse zeige, dass Drogenhandel und Konsum teils sehr präsent seien, auch wenn man einiges erreicht habe.
Für Betäubungsmittel-Gesetz
Der Stadtrat unterstützt die im Sommer im Parlament vorerst gescheiterte Revision des Betäubungsmittel-Gesetzes. Er fordert die eidgenössischen Räte auf, wenn immer möglich, die Revision wie ursprünglich geplant auf Ende 2004 abzuschliessen.
Die politische Praxis würde mit der gesetzlichen Verankerung der Vier-Säulen-Politik endlich angepasst. Die vier Säulen zur Drogenbekämpfung bestehen aus Prävention, Überlebenshilfe, Therapie und Repression.
Problem Jugendarbeitslosigkeit
Verlangt werden auch neue Massnahmen zur Früherfassung von jugendlichem Drogenmissbrauch. Dies sei gerade wegen der gewachsenen Jugendarbeitslosigkeit wichtig. Die berufliche Perspektivlosigkeit stelle ein «gravierendes Risiko» dar, heisst es im Bericht.
Im Kampf gegen offene Szenen soll die Polizei als neue Repressions-Massnahme auch die Kompetenz erhalten, Schweizer wegzuweisen. Der Stadtrat legt dem Gemeindeparlament eine entsprechende Revision der Polizeiverordnung vor.
Weiter geht ein Appell an den Bund, die bestehenden Vollzugsprobleme bei der Wegweisung und Ausschaffung straffälliger Ausländer zu lösen.
Heroinabgabe vors Volk
Am 26. September 2004 entscheiden die Stimmberechtigten der Stadt Zürich über die Weiterführung der seit 1998 geltenden ärztlich kontrollierten Heroinabgabe an Schwerstsüchtige. Die Nettokosten für die heroingestützte Behandlung werden sich für Zürich im Jahr 2005 auf rund eine Million Franken belaufen.
Der Stadtrat will die Überlebenshilfe für Drogenabhänge teilweise neu ausrichten, damit Abhänge sozial besser integriert werden können. Monika Stocker räumte ein, dass sich Zürich zu stark auf die Überlebenshilfe konzentriert habe. Integrationsbemühungen stiessen heute jedoch schnell an wirtschaftliche und soziale Grenzen, beklagt Stocker.
Das Hauptaugenmerk der Therapie gilt Kokainsüchtigen. Die Stadtregierung regt ein Programm für schwerstabhängige Kokainkonsumenten an, ähnlich der medizinischen Heroinabgabe. Gesundheitsvorsteher Neukomm sagte, dass hier die Führungsaufgabe beim Bund liege.
Mehr Effizienz
Der Bericht zeigt ferner auf, dass momentan zu viele städtische Stellen für den einzelnen Drogenabhängigen zuständig seien. Durch eine Verbesserung der Kooperation lasse sich die Effizienz bei der Drogenhilfe erhöhen.
Der städtische Drogendelegierte und Co-Autor des Berichts, Michael Herzig, will, dass die Stadt flexibler auf neue Trends reagieren könne. Weiter möchte die Stadt den Erfolg ihrer Drogenpolitik besser messen können. Dazu führt sie 2005 ein sogenanntes Drogen-Monitoring ein.
Ein SVP-Vorstoss verlangte letztes Jahr vom Stadtparlament den nun vorliegenden Bericht. Er dürfte bereits im September vom Gemeinderat diskutiert werden.
swissinfo und Agenturen
In der Schweiz konsumieren ca. 30’000 Menschen harte Drogen.
2500 Schwerstabhängige haben an einem Programm zur medizinischen Heroinabgabe teilgenommen.
1200 Personen nehmen zurzeit in 12 Kantonen daran teil.
18’000 Schwerstabhängige machen eine Methadon-Therapie.
Im Sommer 1994 ereigneten sich in der offenen Drogenszene auf dem Zürcher Letten vier Tötungsdelikte. Dort deckten sich rund 3000 Drogenabhängige mit Stoff ein. Täglich wurden im Rahmen der HIV-Prävention 15’000 Spritzen verteilt. Darauf beschloss der Zürcher Stadtrat die endgültige Auflösung der Szene, welche im Winter 1995 erfolgte.
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