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Zugang zu WC muss weltweit Priorität bekommen

In Bangladesh hat es, was sanitäre Einrichtungen betrifft, grosse Fortschritte gegeben. deza

Der Mangel an Toiletten verursacht weltweit mehr Tote als Aids. Die UNO hat 2008 zum internationalen Jahr der sanitären Grundversorgung erklärt, um diese stille Tragödie zu bekämpfen. Auch die Musterschülerin Schweiz mobilisiert ihre Kräfte.

Sein Bedürfnis am staubigen Wegrand eines Slums hinter Hecken und neben einer Mülldeponie in eine Plastiktüte erledigen – ein erniedrigender und für Frauen oft auch gefährlicher Akt.

Für 40 Prozent der Menschen gehört er, auch anfangs des 21. Jahrhunderts, immer noch zum Alltag – mit all seinen Konsequenzen: Jedes Gramm Fäkalien kann bis zu 10 Millionen Bakterien und 1000 Parasiten enthalten, eine eigentliche Fauna, die wächst und sich vervielfacht, sobald sie mit Wasser in Kontakt kommt.

Solches Wasser wird zum tödlichen Gift. Jedes Jahr tötet es zwei Millionen Menschen – hauptsächlich Kinder unter fünf Jahren – indem es sie mit Durchfall, Cholera, Typhus oder Hepatitis ansteckt.

Bewusstsein wecken

Zusammen mit der Trinkwasserversorgung gehört der Zugang zum WC zu den Millenniumszielen der Vereinten Nationen. Deshalb wurde 2008 zum internationalen Jahr der sanitären Grundversorgung ernannt, mit dem Slogan «2,6 Milliarden Menschen warten auf eine Toilette».

In der Schweiz beteiligen sich die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), die Bundesämter für Umwelt und Gesundheit an der Kampagne. Unterstützt werden sie von Spezialisten für Trinkwasser- und Abwasserreinigung und sogar von der kantonalen Schule für Kunst in Lausanne (ECAL).

Einige künftige Künstler und Designer haben deshalb ihren ganz persönlichen Blick auf dieses heikle Thema geworfen (Vgl. Fotogalerien). Ihre Arbeiten werden in verschiedenen öffentlichen Gebäuden ausgestellt.

Um den Preis für sauberes Wasser der Öffentlichkeit zu erklären, öffnen am 24. und 25. Mai in der ganzen Schweiz 40 Abwasserreinigungs-Anlagen (ARA) dem Publikum ihre Türen.

Diese Sensibilisierung ist unverzichtbar. Das Thema «Toiletten», oder besser «Toiletten-Mangel», ist oft noch ein Tabu. «Im Unterschied zu anderen grossen Problemen wie Klimaerwärmung oder Aids sind hier nur die Armen davon betroffen», sagt Jürg Benz von der Deza. Das erkläre auch, weshalb es «auf der politischen Agenda ganz unten steht».

Toilette der Armen

Trotzdem ist in den letzten Jahren einiges geschehen: Zwischen 1990 und 2004 hat sich der Alltag von etwas mehr als einer Milliarde Menschen Dank der Installation von Toiletten verbessert. In Entwicklungsländern hat ungefähr die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu einer sanitären Grundversorgung. In einigen Regionen, zum Beispiel in Bangladesh, eines der ärmsten Länder, sind es sogar deutlich mehr. In drei Jahren hat sich der Anteil der Familien, der Zugang zu Toiletten hat, von 33 auf 80 Prozent erhöht.

Eine grossangelegte Sensibilisierungs-Kampagne, mit welcher der Komfort und die Intimität erläutert wurden, hat die Nachfrage nach Toiletten stark ansteigen lassen.

Diese Erfolgsgeschichte wurde dadurch begünstigt, dass die Schweiz in Bangladesh seit rund 10 Jahren eine kleine, lokale Industrie unterstützt, die einfache und günstige sanitäre Anlagen produziert.

Die Toiletten der Armen sind bei weitem nicht so verschwenderisch wie jene der Reichen. Sie verschmutzen nicht jedes Mal 10 bis 15 Liter Trinkwasser, und sie sind auch nicht an einer Abwasser-Reinigungsanlage angeschlossen. In diesen Regionen setzt man eher auf Klärgruben mit Wiederaufbereitungs-Systemen.

«Abwasser-Kanalisationen werden weltweit die Ausnahme bleiben», sagt François Münger von der Deza, «und Reinigungsanlagen noch viel mehr». In Indien zum Beispiel, dem grossen Nachbarn von Bangladesh, haben nur 250 der 5000 grössten Städte solche Abwassersysteme.

Kristallines Wasser hat seinen Preis

Als Weltmeister in der Disziplin «klares Wasser» haben die Schweizer vergessen, dass ihre sanitäre Versorgung vor noch nicht langer Zeit auch gesundheitsschädlich war: Schaumbedeckte Bäche und Badeverbote waren keine Seltenheit. 1963 brach im Ferienort Zermatt sogar eine Typhus-Epidemie aus. Damals flossen 90 Prozent aller Abwasser noch nicht in eine Reinigungsanlage.

Das internationale Jahr zur sanitären Grundversorgung soll deshalb auch in Erinnerung rufen, dass das kristalline Wasser, das in reichen Ländern aus dem Wasserhahn fliesst, seinen Preis hat. In der Schweiz sind die meisten ARA in 30 Jahren sanierungsbedürftig. Auch die Abwasserkanalisation muss regelmässig gewartet werden, mit zunehmendem Alter umso mehr.

Und mit der Verbesserung der Analyse-Methoden kann man heute Substanzen nachweisen, deren Existenz man bis heute nicht im Wasser vermutet hätte. Diese Mikroschadstoffe stammen aus Reinigungsmitteln, Dünger oder Medikamenten und sie gelangen durch Filteranlagen der ARA.

Heute gibt man sich vorerst damit zufrieden, sie zu analysieren. Aber eines Tages wird man sie beseitigen müssen. Und das wird auch seinen Preis haben.

swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

Unter «Grundsanierung» verstehen die Vereinten Nationen die Eliminierung von Fäkalien, Abwasserreinigung (zur Verhinderung der Verschmutzung von Trinkwasser) und die Ermöglichung einer minimalen Körperhygiene durch Zugang zu genügend sauberem Wasser.

40% der Weltbevölkerung haben keinen solchen Zugang. Die Folge: 200 Millionen Tonnen menschliche Fäkalien werden jährlich in der Natur ausgesetzt, und alle 17 Sekunden stirbt ein Kind an einer Durchfallkrankheit infolge dieser Verschmutzung.

Die UNO will im Rahmen ihrer Millenniumsziele bis 2015 die Zahl der Menschen halbieren, die keinen Zugang zu sauberem Wasser hat. Die Kosten dafür belaufen sich jährlich auf 10 Mrd. Dollar – gleich viel, wie in Europa für den Konsum von Glacé ausgegeben wird.

Laut einem UNO-Bericht müssten die derzeitigen Investitionen aber verdoppelt werden, um das Millenniumsziel zu erreichen.

Fügte man sie alle aneinander, würden die Abwasserrohre in der Schweiz mehr als zweimal den Erdumfang ausmachen: 89’000 km Rohre führen die Abwasser aller Privathaushalte und Unternehmen in 759 zentrale und über 3400 kleine Kläranlagen. Diese säubern täglich 675 Liter Wasser pro Landesbewohner.

Die Schweiz verfügt somit über eines der besten Abwasserreinigungs-Systeme der Welt. Kostenpunkt: mehrere 100 Mrd. Franken. Und für Wartung und Unterhalt braucht es jährlich zusätzliche 1,7 Mrd. Franken. In den kommenden Jahren stehen Sanierungen von überalterten Anlagen an, die noch kostenintensiver sein werden.

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