Zur Fasnacht weilte der Kaiser von Japan in Schwyz
Seit 150 Jahren führt in Schwyz eine einzigartige Fasnachts-Gesellschaft ihr Japanesenspiel auf.
Dieses Jahr versuchten die Schwyzer Spielleute, den Kaiser von Japan mit der Stammzellenforschung zu beglücken. Das Heil brachte jedoch die Fasnachtsgöttin.
In der Fasnachtszeit huschen am helllichten Tag hoch dekorierte Figuren des Kabuki-Theaters und Mandarine um die scharfen Hausecken des Flecken Schwyz. Sie sind Teil des Japanesenspiels, das in der Kantonshauptstadt seit 150 Jahren jeweils in den närrischen Tagen des Monats Februar aufgeführt wird.
Das Jubiläumsspiel der grössten Fasnachts-Freilichtbühne der Schweiz trägt den Titel «am naresäil» und wurde vom Viktor Weibel geschrieben. Gleichzeitig zeigt das Forum der Schweizer Geschichte Schwyz eine Ausstellung zu der 150 Jahre alten Theater- und Fasnachtskultur mit dem Titel «Vivelun Taikun – Die Japanesen in Schwyz».
«In der Ausstellung sind alle Manuskripte der mehr als 50 Fasnachtsspiele zu sehen, historische Bilder der Aufführungen, Objekte und Filmsequenzen aus neuester Zeit. Dieses reiche Material hat mir ermöglicht, neben dem Theaterstück auch ein Buch zum Thema zu schreiben», erklärt Viktor Weibel gegenüber swissinfo.
Schwyz – Lost in Translation
Nicht nur die Mitglieder der Theatergesellschaft stehen während der Fasnachtszeit im Bann von Japan. Viele Geschäfte rund um den Theaterplatz, Bijouterien, Bücherläden und Konditoreien werben in ihren dekorierten Schaufenstern mit Nippon.
Dem fasnächtlichen Klamauk mit sozialem und politischem Tiefgang liegt seit den Ursprüngen derselbe Plot zugrunde. Der japanische Kaiser (Taikun) besucht mit einem grossen Hofstaat den Flecken Schwyz, «Yeddo-Schwyz», benannt nach Edo, dem historischen Tokio.
«Die Freunde des tollen Lebens», wie sich die Japanesen aus Schwyz seit 150 Jahren nennen, legen sich immer wieder mächtig ins Zeug, dem Tenno einen würdevollen Empfang zu geben. Dabei dient der japanische Hof als Projektionsfläche, um mit Stil, Sprachwitz und Drama gegen Hochmut, Kurzsichtigkeit und obrigkeitliche Dummheit anzuspielen.
«Der Japanese teilt aus; entweder verbal oder mit Geschenken», sagt der Stückeschreiber Viktor Weibel.
Fasnachts-Musical mit historischem Tiefgang
Im Zentrum des närrischen Jubiläumsspiels steht die monumentale Torte Peng, die beträchtliches Störpotential enthält und den würdevollen Empfang für japanischen Kaiser beinahe platzen lässt.
Würgeli, ein Stammzellenprofessor, soll den Empfang für den Kaiser retten. «Vieles liegt darnieder. Der Schwyzer nicht mehr brav und bieder. In manchem Spittel ist er krank. Da hilft ihm nur Organbank.»
Dieses humor-poetische Gemisch in Schwyz hat seinen Ursprung im Sonderbundskrieg von 1847. Die katholischen Kantone waren damals gescheitert, als sie gewaltsam eine Schutzvereinbarung für Autonomie durchsetzen wollten.
Als Schwyz eine Jahr später auch noch die Schweizerische Bundesverfassung ablehnte, herrschte Katzenjammer im Kanton. Die feine Gesellschaft der Schweiz und von Schwyz sann nach Aufbruch.
Auf der Suche nach neuen Märkten für die Uhren- und Textilindustrie brach 1862 eine helvetische Delegation nach Japan auf. Noch bevor die Schweizer im Frühjahr 1863 in Tokio ankamen, zerzausten die Schwyzer Fasnächtler die Offensive der Delegation im grotesken Stück «Die Schweiz in Japan». Dabei führte die traditionelle Geschenkübergabe zum Eklat.
Die Schwyzer überreichten dem Kaiser fiktiv alten Käse, Hörner, Klauen und Schabziger. Für diese Respektlosigkeit sollten die Schwyzer in Japan bestraft, verurteilt und niedergemetzelt werden. Der Taikun liess sich jedoch durch die helvetische Gegenwehr erweichen: «Erlaubt mir einen Witz, ich werde Bürger von Schwyz.»
Als die Fasnacht bitterernst war
Die Japanesengesellschaft hat die Zeitgeschichte im 150-jährigen Bestehen unterschiedlich in ihre fasnächtliche Dramatik eingewoben. Während dem Zweiten Weltkrieg bekamen Hitler, Stalin und Mussolini ihr Fett ab. «Auch Mahatma Ghandi trat auf, blieb aber als Pazifist stumm», erinnert sich Viktor Weibel.
1952 thematisierte der Autor Meinrad Inglin den Kalten Krieg, das Wettrüsten zwischen dem Warschauer Pakt und der Nato. 1975 skizzierte der Autor Paul Kamer eine düstere Vision einer Schweiz, wo alles zubetoniert und uniform ist, wo auf jeden Berg eine Seilbahn führt und die Bauern nur noch Folklore sind.
2001 tobte in Schwyz ein fasnächtlicher Machtkampf zwischen Geld und Politik, Kirche und Hochstapelei.
In der Jubiläumsaufführung von 2007 thematisiert der Stückeschreiber Viktor Weibel die Stammzellenforschung. Doch die neuen Organe vermögen die Laune des japanischen Kaisers nicht aufzuhellen: «Die Organe müssen passen, bezahlt wird’s von den kranken Kassen.»
Die Rettung kommt von der Fasnachtsgöttin, die in monumentaler Schönheit aus der rosaroten Torte Peng entsteigt. Der Empfang für den japanischen Kaiser ist gerettet. Bald kommt die Fastenzeit.
swissinfo, Erwin Dettling, Schwyz
Die Spiele der Japanesen blicken auf eine 150-jährige Tradition zurück.
In den rund 50 Aufführungen seit 1857 thematisieren die Japanesen im grössten Freiluft-Fasnachtsspiel der Schweiz auf satirische Art und Weise weltpolitische Ereignisse und wie sich diese auf die Schweiz und Schwyz auswirken.
Die Sonderausstellung «Vivelun Taikun – Die Japanesen in Schwyz» im Forum der Schweizer Geschichte dokumentiert das Thema der Japanesen in Schwyz mit Fotografien, Filmsequenzen und zahlreichen Objekten.
Sie dauert noch bis am 28. Februar 2007.
Zum Jubiläum ist im Verlag Triner AG, Schwyz von Viktor Weibel das Buch «Henusode – Theater, Geschichte und Fasnachtskultur» erschienen.
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