Elisa Shua Dusapin – Schweiz und Asien zwischen Buchdeckeln
Mit 26 Jahren schon zwei veröffentlichte Romane. Elisa Shua Dusapin, jurassische Autorin und Tochter einer Koreanerin, beobachtet mit Finesse die verschiedenen Kulturen, die sie prägen.
Sie ist sehr jung, sprudelt vor Lebensfreude und nimmt die Leserschaft mit auf ihre Reisen. Als wir sie Ende Juli zum Interview treffen, hat sie die letzte erst gerade hinter sich. War sie noch von ihrer langen Reiserei ermüdet, oder war es die Hitze, die Elisa Shua Dusapin an diesem Tag etwas lethargisch machte?
Jedenfalls braucht sie einige Zeit, bis sie zugibt: «Ich bin soeben erst zurückgekehrt. Ich habe eine viermonatige Reise gemacht, die mich von der Schweiz nach Japan brachte.»
Startpunkt: Porrentruy (Jura), Ziel: Tokio. Zwischen den beiden Orten liegen Russland und China, die sie mit der Transsibirischen Eisenbahn durchquerte. Von Wladiwostok aus nahm Dusapin ein Schiff nach Südkorea, durchquerte dieses per Bahn von Norden nach Süden, bevor sie in Busan ein weiteres Schiff nach Japan bestieg. Das ist alles!
Die beiden Schweizer Reiseschriftsteller Blaise Cendrars und Nicolas Bouvier lassen grüssen. Ersterer wegen seiner » Prosa von der Transsibirischen Eisenbahn», der zweite wegen seiner Liebe für Irrfahrten und die Gefahr. Doch weder vom einen noch vom anderen möchte sich Elisa Shua Dusapin als Erbin bezeichnen.
«Ich bin keine Reiseschriftstellerin, meine Bücher gleichen in keiner Weise einem Logbuch», präzisiert sie. Wer also ist sie? Sie antwortet mit einer Pirouette: «Ich bin eine Autorin, die der fernöstlichen Kultur gegenüber offen ist.»
Wir haken nicht nach, sie wird sich später noch differenzierter dazu äussern. In der Zwischenzeit aber wollen wir von ihr wissen, wo sie lebt. «Zwischen Genf, dem Jura und Südkorea, wo ich sehr oft hingehe.»
Kulturbotschafterin
Dusapin ist eine junge Frau, die aus mehreren «Schichten» besteht: Frankreich, wo sie geboren wurde, die Schweiz, wo sie aufgewachsen ist, teilen ihr Herz, während ihr Körper und ihr Geist immer auf fernen Ozeanen segeln.
Wie ihre südkoreanische Mutter kommt Elisa als Kind in die Schweiz. «Ich ging in Porrentruy zur Schule, wo ich zuerst Mühe hatte, mich zu integrieren. Der Jura war damals ein ruraler Kanton, seine Bewohner misstrauten Ausländern.»
Einige Jahre später, 2016, ernennt der gleiche Kanton sie zur Kulturbotschafterin, nachdem ihr erster Roman «Hiver à Sokcho» (Editions Zoë) erschienen ist. Sie macht ihren Wahlkanton und besonders Porrentruy stolz, wo Schriftsteller wie Alexandre Voisard und Bernard Comment geboren wurden.
Szenenwechsel: Sokcho. Ein Badeort in Südkoreas Nordosten, der im Winter wie ausgestorben wirkt. Dort vermischen sich das raue Klima und eine sentimentale Zerbrechlichkeit, als zwei Menschen aufeinandertreffen: die junge Tochter einer koreanischen Mutter und ein französischer Comic-Autor, der am Ende der Welt nach Inspiration sucht.
Der Roman wird von Publikum und Kritik gefeiert und erhält zahlreiche Preise. «Dieser Erfolg hat mich, statt zu bestärken, blockiert», sagt Dusapin. «Ich war bereits mitten in meinem zweiten Roman und befürchtete, zu enttäuschen.»
Mieko und Heidi
Die Autorin kann sich allerdings beruhigen, ihr zweiter Roman «Les billes du Pachinko», der diesen August bei Zoé erscheint, ist ebenso gut geschrieben wie der erste: nüchterner Stil, feine Beobachtung menschlicher Beziehungen und der ihnen zugrundeliegenden westlichen und östlichen Kulturen, die manchmal zu Spannungen führen.
Während das erste Buch in Südkorea angelegt war, spielt das zweite in Japan, wo nach dem Koreakrieg in den 1950er-Jahren viele Koreanerinnen und Koreaner Schutz fanden.
«Die Koreaner in Japan sahen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie wegen ihrer Nationalität vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen waren. Sie haben sich ein Spiel ausgedacht. Ein vertikales Tablett. Murmeln. Ein mechanischer Hebel», schreibt Dusapin in «Les billes du Pachinko».
Auch in diesem Roman geht es um ein Zusammentreffen, diesmal zwischen einem kleinen japanischen Mädchen, Mieko, und der Erzählerin Claire, einer Schweizer Studentin, die einen Sommer bei ihren koreanischen Grosseltern in Tokio verbringt.
Dusapin hat viel von sich selber in den beiden Romanen verarbeitet, dabei aber ihren Blickwinkel immer so verändert, dass die fiktive Vorstellungskraft die Realität verwischt. Mieko gleicht Heidi: Sie ist dieses kleine, mutige Mädchen ohne Vater, das von Claire liebevoll beschützt wird. Japan und die Schweiz greifen so via Fiktion ineinander.
«Ich wollte mit einem nationalen Symbol arbeiten, das die Fantasie nährt. Mieko, und indirekt auch Heidi, das ist ein wenig ich als kleines Kind», gibt die Autorin zu, die mit 13 Schweizerin wurde und mehrere Sprachen spricht (Französisch, Deutsch, Koreanisch). Durch ihr Schreiben versucht sie, den verschiedenen Kulturen, die sie prägen, Substanz zu geben.
Mit sich verbinden
«Ich möchte mich gerne mit einem Teil von mir wieder verbinden, den ich kennen muss, wie ich auch über die Schweiz sprechen muss, wo meine koreanischen Grosseltern vor 50 Jahren ankamen, als meine Mutter acht Jahre alt war», erzählt sie.
Ihre Mutter wuchs im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen, Appenzell Ausserrhoden, auf. Deren Eltern führten damals ein koreanisches Waisenhaus. Es war üblich, dass jedes Haus einer Nationalität gewidmet war.
Später wird die Mutter, fasziniert von den grossen Schriftstellern, ihrer Tochter Elisa den Einstieg in die Welt der Literatur erleichtern. Diese besucht darauf das Schweizer Literaturinstitut in Biel.
«Ich habe den Eindruck, dass ich in mir einen Teil der Geschichte meiner eigenen Familie trage, einen Teil, den ich gerne weitergeben möchte», sagt Elisa Shua Dusapin zum Abschied. Sie arbeitet bereits an ihrem dritten Roman. Wo wird dieser spielen? Geheimsache.
(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)
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