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Mano Khalil: «Die kurdische Identität war unser Gegengift»

Regisseur Mano Khalil kam einst als syrisch-kurdischer Flüchtling in die Schweiz. Heute startet sein teilweise autobiografischer Film "Nachbarn" in den Deutschschweizer Kinos. Keystone/PETER SCHNEIDER sda-ats

(Keystone-SDA) «Nachbarn», der neue Film des in Bern lebenden Regisseurs Mano Khalil («Unser Garten Eden», «Der Imker») erzählt von einem kleinen Jungen, der im Syrien der 80er-Jahre aufwächst. Ein Gespräch über den teilweise autobiografischen Film.

Keystone-SDA: Wer sind die Nachbarn aus Ihrem Filmtitel?

Mano Khalil: «Die ganze Welt ist eine Nachbarschaft. Vom Haus geht es zum Dorf, zur Stadt, und sie endet auch nicht an den Grenzen. Am Ende sind wir alle Nachbarn. Die Leute im Dorf, von dem ich erzähle, haben sich das Essen geteilt, die Sorgen und Freuden, haben zusammen getanzt, wenn es etwas zu feiern gab und geweint, wenn jemand gestorben ist. Nachbarschaft ist eine Art Liebe.»

Keystone-SDA: Welche Rolle spielen da die Grenzen?

Mano Khalil: «Sie sind ein Symbol der Trennung, niemand baut sie freiwillig. Meine Mutter kommt aus dem türkischen Kurdistan, mein Vater aus dem syrischen Teil. Wir hatten einmal pro Jahr die Gelegenheit, an der Grenze die Verwandtschaft zu treffen. Da war es uns dann aber verboten, Kurdisch zu sprechen – eine unglaubliche Brutalität. Aber ich habe auch gelitten, als ich Syrien verlassen musste und in die Schweiz kam. Da musste ich auch viele innere und äussere Grenzen überwinden.»

Keystone-SDA: Sie haben den Film im kurdischen Teil von Irak gedreht. Nicht gerade der sicherste Ort.

Mano Khalil: «Es war nicht einfach, aber ich würde mich und mein Team nie in Gefahr bringen. Ich bin Regisseur und kein Soldat. Als wir dort waren, begann Trump, seine Truppen aus Syrien zurückzuziehen, worauf die Türken sich vorbereiteten, in Kurdistan einzumarschieren. Wir haben täglich die amerikanischen Kampfjets gehört und mussten wegen dem Lärm oft Aufnahmen unterbrechen. Das hat uns schon nervös gemacht, aber letztlich ist alles gut gegangen.»

Keystone-SDA: Warum haben Sie die Geschichte aus den Augen eines Kindes erzählt. Ein Kinderfilm ist es ja nicht.

Mano Khalil: «Es geht um die Unschuld. Wenn ich sehe, welche Brutalität in Syrien passiert, frage ich mich, woher diese kommt. Es gibt keine Religion, die sagt, man soll Menschen köpfen. Jemand, der dazu fähig ist, muss das in seiner Kindheit gelernt haben. Wir kommen alle zur Welt und schreien nach einem Tropfen Milch. Ich sage immer, dass der zweite Tropfen der Respekt sein sollte. Wenn das Kind diesen nicht bekommt, wird es sich anders entwickeln. Im Film sieht man ein unschuldiges Kind, das durch seine Erziehung terrorisiert wird.»

Keystone-SDA: Trotz alldem ist die Abschiedsszene zwischen Sero und seinem Lehrer versöhnlich.

Mano Khalil: «Dahinter steht der Glaube, dass der Mensch sich ändern kann. Der Lehrer kommt mit einer Ideologie und wird bestraft. Aber auch er ist ein Mensch. Ich wollte kein Richter sein, der sagt, wer Opfer und wer Täter ist. In der Kunst sollte niemand verurteilt werden. Alle sind Opfer, und ohne Versöhnung gibt es keine Zukunft.»

Keystone-SDA: Der Film ist ja zu grossen Teilen autobiografisch. Wie haben Sie es geschafft, sich von dieser Erziehung zu lösen?

Mano Khalil: «Ich hatte Glück mit meinen Eltern. Wir Kinder wussten, dass es zwei Welten gibt: jene der Unterdrückung, also der Schule, der Gefängnisse, des Militärs. Die andere war die der Freiheit – also die der Familie, mit der man lacht und im Radio kurdische Lieder hört. Hätte ich dieses Gegengift nicht bekommen, wäre ich jetzt ein anderer.»

Keystone-SDA: Wie verhält man sich in so einer Situation?

Mano Khalil: «Unser Vater verbot uns, mit Kindern regimetreuer Eltern zu spielen. Er meinte, dass sie unser Leben negativ beeinflussen würden, und er hatte absolut recht. Wir waren unschuldig, und die anderen auch, aber sie bekamen eine bestimmte Erziehung, und unser Vater hatte Angst, dass diese auch auf uns einwirken könnte. Dass das Gegengift zu schwach würde. So hat es bei uns funktioniert. Die kurdische Identität war unser Gegengift.»

Keystone-SDA: In Ihrem Fall hat die Propaganda versagt?

Mano Khalil: «Das Regime hat alles daran gesetzt, die Kurden zu bekehren. Man weiss, dass der Vater vom jetzigen Diktator Assad in Nordkorea war und dort die Idee für jene Pionierorganisation bekam, die er dann in Syrien einführte. Aber auch das funktionierte schliesslich nicht. Sobald der Lehrer unser Dorf verliess, war das Leben wieder kurdisch.»

Keystone-SDA: Wollten Sie mit der Palme, die der Lehrer im Dorf anpflanzt, die aber nicht wächst, das Scheitern der Propaganda symbolisieren?

Mano Khalil: «Ich habe versucht, treffende Symbole zu finden. Der arabische Lehrer kann in dieser Umgebung, die nicht seine ist, keine Wurzeln schlagen. So wie man auch keinen Pinguin in der Wüste aussetzen kann.»

Keystone-SDA: Wie hat der Pinguin Mano Khalil in der Schweiz überlebt?

Mano Khalil: Ich wollte nach meinem Studium in der Tschechoslowakei ins syrische Kurdistan zurückzukehren, um dort Filme zu drehen. Nicht im Traum dachte ich daran, je in der Schweiz zu arbeiten. Da war ich am Anfang eine Nummer, einer unter vielen Flüchtlingen. Als ich im Asylzentrum wohnte, sagte mir ein Schweizer Fernsehredaktor, dass ich hier nie einen Film drehen würde, dass es schon genug Filmemacher gäbe und es mich nicht braucht. Ich habe mir dann trotzdem eine Kamera ausgeliehen und einen Kurzfilm gedreht, der in Solothurn einen Preis gewann und für den Schweizer Filmpreis nominiert wurde.»

Keystone-SDA: Im Film sagt jemand zu Sero: «Du stellst seltsame Fragen». Kann man das auch über Sie sagen?

Mano Khalil: «Ich bin ein Mensch, der ans Gute glaubt, aber manchmal muss man komische Fragen stellen. Auch wenn es viel kostet, wie «Nachbarn», den wir mit grosser Equipe an einem schwierigem Drehort drehten. Der Film läuft auf vielen Festivals, sogar in der arabischen Welt und in Israel. Da interessieren sich Kulturen, die einander als Kinderfresser oder Terroristen beschimpfen, plötzlich für den selben Film. Deshalb glaube ich, dass diese Fragen eine Wirkung haben.»

*Dieser Text von Dominic Schmid, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.

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