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Marietta Kobald-Walli – «Offen für Neues – Vergangenes bewahren»

Marietta Kobald-Walli ist Dialektforscherin und Spezialistin für Walser Mundartliteratur. Sie wohnt in Fideris GR. Keystone/GIAN EHRENZELLER sda-ats

(Keystone-SDA) Marietta Kobald-Walli lebt in Fideris im Bündner Prättigau. Die Spezialistin für Walser Mundartliteratur sammelt und archiviert gedruckte Texte aus der Region Prättigau/Davos, dem grössten walserdeutschen Sprachraum im Kanton Graubünden.

«Fideris-Straalig ischt albig miis Tähei gsi.» Straalig nennen die Einheimischen den Weiler Strahlegg, der etwas ausserhalb von Fideris liegt. Dort ist Marietta Kobald aufgewachsen, dort wohnt sie noch heute. Hinter der grossen Fensterfront spriessen die Wildstrauchhecken, Johannisbeersträucher und Zwetschgenbäume. Auf den nahen Wiesen suchen die Kühe den Schatten, die Hauskatze blinzelt zufrieden und räkelt sich fett und faul auf den warmen Steinplatten.

Marietta Kobald kommt gerade von einem Arbeitstreffen zu ihrer aktuellen Publikation «Waldarbeit im Furner Tobel», die Ende dieses Jahr erscheint. Begeistert breitet sie die historischen Schwarz-Weiss-Fotografien auf dem massiven Holztisch aus. Bilder aus vergangenen Zeiten, als die Waldarbeiter mit ihren Pferden ihr schweres Werk im Schnee verrichteten. «Waldarbeit im Furner Tobel», in Walser Mundart verfasst, schildert das Leben im Tal anfangs des 20. Jahrhunderts. «Auch dieses Projekt ist mir zugefallen, wie so vieles», lächelt sie vielsagend.

Von Baugesetzen zur Walser Mundartliteratur

«Nachdem ich mich als Hochbauzeichnerin – auch beim Architekten Peter Zumthor -, als Baufachchefin und Brandschutzsachverständige vorwiegend mit Gesetzen herumgeschlagen hatte, reichte es mir. Ich fasste den Entschluss Verlegerin zu werden und wollte vergessene Mundartliteratur aufstöbern und herausgeben», erinnert sie sich. «Diesen Traum musste ich jedoch gschwindhaft begraben, denn dazu wäre einiges an Geld nötig gewesen.»

Kobald wurde nicht Verlegerin, sondern Journalistin. Erste Erfahrungen sammelte sie als Redaktorin bei der Regionalzeitung «Prättigauer & Herrschäftler» in Schiers, machte sich bald selbständig und arbeitete auf Mandatsbasis als Kulturbeauftragte der Pro Prättigau. In diese Zeit fiel die Neuauflage des «Prättigauer Wörterbuches». Kobald übernahm die Redaktion des Geschichtenteils.

«Läsiblüescht» – Reise durch Archive

Eine beiläufige Bemerkung eines Redaktors des «Schweizerischen Idiotikons» während der Arbeit für das «Prättigauer Wörterbuch» war ein Schlüsselerlebnis für die Prättigauerin. Während eines Gesprächs meinte er: «Mach doch eine Anthologie über die Walser Mundart.» Sie holt tief Luft und schmunzelt: «Ich bin blauäugig an das Projekt herangegangen und habe in den vermeintlich sauren Apfel gebissen.»

Ihr ehrgeiziges Projekt stiess bei den Verantwortlichen der Walservereinigung Graubünden auf offene Ohren. Der Weg für die abenteuerliche und faszinierende Reise durch die Archive war geebnet. Sie stöberte in den alten Zeitungen der letzten 100 Jahre und forschte nach vergessenen lokalen Publikationen. «Ich suchte mit Aufrufen in Zeitungen und in den sozialen Medien nach den Namen der längst verstorbenen Verfasser. Einige hatten Pseudonyme benutzt, unter denen sie die kleinen Gaunereien und Eseleien im Tal beschrieben. Während der Nachforschungen wuchs mein Archiv der mir schon 70 bekannten Autoren und Autorinnen auf knapp 130 an», sagt sie.

2500 Texte spürte Marietta Kobald so auf, darunter viele Anekdoten, Gedichte und Kurzgeschichten. Sie las fast jeden Text und traf mit Fachleuten und einer gemischten Jury die Auswahl für das Werk. «Es war eine grosse Freude, die schönsten Blüten aus unserem Walserdialekt zu pflücken. Die Anthologie ‹Läsiblüescht› soll die kulturelle Bedeutung der Mundart besonders bei jungen Menschen wecken und lebendig erhalten.»

Stolz streicht sie mit der Hand über den von Andrea Caprez mit feinem Gespür gestalteten Einband. Der Zürcher Künstler, Musiker und Grafiker mit Prättigauer Wurzeln illustrierte die Sammlung der Dialekttexte mit viel Herzblut und einer modernen Bildsprache.

Fotografie – die zweite Leidenschaft

Marietta Kobalds kulturelles Engagement beschränkt sich aber nicht auf den Dialekt allein. Ihre zweite grosse Leidenschaft ist die Fotografie. Das Bündner Kunstmuseum zeigt bis Ende August im Labor die Ausstellung «Museum – Bewegte Kunst» und vermittelt einen Einblick in das Schaffen und Wirken des Künstlers Peter Trachsel.

Der Kurator wählte für das Ausstellungsplakat ein Foto von Kobald aus. Es zeigt den Performance- und Installationskünstler Boris Nieslony, der mit einem auf den Rücken geschnallten Tisch durchs Prättigau wandert.

Peter Trachsel lebte und arbeitete ganz in der Nähe, in Küblis. «Leider ist Peter 2013 gestorben. Ich vermisse im Prättigau seinen Geist, seine Kunst, die sich immer im Spannungsfeld zwischen Fremdem und Vertrautem bewegt. Ich vermisse seine Rolle als Vernetzer. Ihn interessierten Menschen und Künstler, die in ihrem Schaffen den auswärtigen Blick auf die ortsansässige Bevölkerung miteinbrachten», sagt Kobald.

Sie ist Mitglied der Künstlervereinigungen «Kabinett der Visionäre» mit Aktionsschwerpunkt in Chur und der Prättigauer Kunstschaffenden (Präkuscha). Beide Künstlergruppen vereinen unterschiedliche Stilrichtungen und organisieren regelmässig Ausstellungen in der Region und im Raum Chur. Laut ihren eigenen Worten wandelt sie zwischen längst Vergangenem und der Zukunft und verirrt sich hie und da im Gestrüpp.

Manchmal ist ihr selbst ihr Heim in Strahlegg nicht abgelegen genug. Dann zieht es sie in die Höhe in ihre «Barge», ihr Maiensäss in den Fideriser Heubergen. Umgeben von einer kargen Landschaft hat ihr Vater vor fast fünfzig Jahren die früher als Heulager genutzte Holzhütte zu einem einfachen Feriendomizil umgebaut. «Da oben gibt es kein Telefon und kein Internet. Nur meine Kamera. Hier ist mein Refugium, mein Kraftort. Wenn der Himmel in tiefes Dunkel getaucht ist und der Mond leuchtet, warte ich auf dem nahen Hügel auf das perfekte Bild. Oder ich lasse im stillen Kämmerlein meinen Ideen und Gedanken freien Lauf. Dann schreibe ich ein Mundartgedicht.»

Verfasserin: Christa Stalder, sfd

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