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Maskenpflicht: Hin und Her des Bundesrats prägt noch heute die Haltung vieler

Used mask on the street
Für viele bloss Müll: In der Schweiz glauben viele Menschen, dass Masken kaum vor einer Ansteckung mit Covid-19 schützen. Diese Haltung hat auch mit den widersprüchlichen Empfehlungen der Behörden zu tun. Keystone / Leandre Duggan

Über Sinn und Unsinn von Gesichtsmasken wird in der Schweiz seit Beginn der Covid-19-Pandemie gestritten. Doch kann man den Behörden die Schuld dafür geben, dass noch immer viele Menschen an der Wirksamkeit der Masken zweifeln?

Damals im März, als die Zahl der Ansteckungen mit Covid-19 sprunghaft anstieg, rieten das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und die Weltgesundheitsorganisation WHO dasselbe: Gesunde Menschen sollten keine Gesichtsmasken tragen. Masken seien nur für Erkrankte, Personen, die sich um Kranke kümmern oder solche in Risikogruppen.  

Es sei eine unnötige «Verschwendung», wie es die WHO in einer Stellungnahme formulierte. Daniel Koch, damaliger Delegierter des BAG für Covid-19 erklärte: «Die Bevölkerung kann sich mit Masken nicht wirksam schützen.»

Doch als das Land auf den Höhepunkt der Pandemie zusteuerte, stellten sowohl Politiker als auch die Öffentlichkeit diese Haltung in Frage. Der Vorwurf von vielen: Der Mangel an Masken diktiere die Gesundheitspolitik des Bundes.

Und als der Bundesrat eine Kehrtwende machte und plötzlich zur Schutzmaske riet, ja diese bald für den ÖV obligatorisch machte, gab es nur noch wenige, welche sie tragen wollten. Experten denken, dass die ursprünglichen Aussagen der Behörden noch immer die Haltung der Schweizerinnen und Schweizer zur Maske beeinflussen.

Nicht genug Masken  

Lange Zeit wurde berichtet, der Vorrat an Masken reiche nur für zweieinhalb Wochen. Es wurde behauptet, die Behörden würden einen Mangel vertuschen und «die Menschen strategisch informieren». So formulierte es der Grünen-Abgeordnete Bastien Girod.  

Die Theorie hielt sich hartnäckig, was Mitte April durch Ergebnisse einer Tamedia-Umfrage bestätigt wurde: 60 Prozent der Befragten sagten damals, dass sie glaubten, der Bundesrat propagiere das Maskentragen nicht, weil der Vorrat an Schutzmasken knapp sei.  

Im Juli berichteten Le Matin Dimanche und die Sonntagszeitung, dass gemäss Sitzungsprotokollen der Direktorenkonferenz des Bundesstabs für Bevölkerungsschutz (BSTB) vom März ein Maskenmangel die Position der Regierung beeinflusst habe.  

Das BAG bestreitet dies jedoch. Sprecher Yann Hulmann sagt gegenüber swissinfo.ch, dass es zwar richtig sei, dass damals nicht genügend Masken für die gesamte Bevölkerung vorrätig gewesen seien, aber «dies habe keinen ursächlichen Zusammenhang mit dem Fehlen einer allgemeinen Empfehlung zum Maskentragen».

Während des Lockdowns, als den Menschen geraten wurde, zu Hause zu bleiben, «bestand keine Notwendigkeit für die weit verbreitete Verwendung von Masken», fügt Hulmann hinzu. «In diesen Wochen waren weniger Menschen unterwegs, und der Abstand zwischen den Menschen konnte im Allgemeinen eingehalten werden.»

Nützen sie oder nicht?

Daniel Koch, der inzwischen pensionierte Leiter des Bereichs übertragbare Krankheiten beim BAG, hat immer behauptet, dass die Maskenpolitik des Bundesrats auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe. Seinen Angaben zufolge haben Studien in den ersten Tagen des Ausbruchs nicht klar gezeigt, dass Masken einen wirksamen Schutz gegen das Virus bieten.

Sarah Tschudin Sutter, leitende Expertin für Infektiologie am Universitätsspital Basel, bestätigte auf Anfrage, dass «die Evidenzbasis für die Verwendung von Masken, insbesondere für die Öffentlichkeit, begrenzt gewesen ist. Im März noch stärker als heute.»

Trotzdem kam Sutter als Leiterin der Swiss National COVID-19 Science Task Force in einem Bericht vom 20. April zum Schluss, dass trotz einiger widersprüchlicher Belege in der Literatur «ein Nutzen-Risiko-Verhältnis zugunsten eines allgemeinen Maskentragens in Verbindung mit der Handhygiene bestehe, wenn soziale Distanzierung nicht eingehalten werden kann». Die Task Force empfahl der Regierung, ihre Politik bezüglich Gesichtsmasken zu ändern.

Im April sollten die ersten Läden wieder öffnen. Die Maskenfrage beschäftigte die Bevölkerung. Gemäss der Mitte April durchgeführten Tamedia-Umfrage befürworteten damals rund 60 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer eine Maskenpflicht für den öffentlichen Raum.

Doch die Behörden gingen nicht auf den Wunsch vieler ein. Ende April gab der Bundesrat bloss eine Empfehlung ab: Masken sollten getragen werden, wenn das «social distancing» nicht eingehalten werden könne.

«Ich bin sicher, dass wachsende wissenschaftliche Evidenz zu dieser Entscheidung beigetragen haben», sagt Tschudin Sutter und fügt hinzu, dass die Aufhebung der Abriegelung bedeutete, dass «neue Ansätze zur Infektionsprävention und -kontrolle notwendig waren». Die WHO gab zur selben Zeit ähnliche Empfehlungen ab.

Jedenfalls waren die Masken zu diesem Zeitpunkt keine Mangelware mehr: In der Zwischenzeit hatten sich die Bemühungen der Armee um den Kauf von Gesichtsmasken ausgezahlt, so dass Ende April rund 35 Millionen Exemplare zur Verfügung standen.

«Anfängliche Haltung blieb hängen»  

Entscheidend für die öffentliche Meinung zur Maskenfrage war der frühzeitige Verweis des Bundesrats auf wissenschaftliche Erkenntnisse, sagt Angela Bearth, Verhaltensforscherin am ETH-Lehrstuhl Consumer Behavior.

«Wir wissen aus anderen Befragungen, dass Forschung bei den Schweizerinnen und Schweizern einen hohen Stellenwert hat», so Bearth. «Wenn man am Anfang der Krise argumentiert, Masken seien aus Sicht der Wissenschaft unwirksam, dann bleibt das hängen.»  

Im Juni, als mehr Menschen ihr Zuhause verliessen, um zurück ins Büro oder in die Schule zu gehen, bedeckten nur wenige ihr Gesicht. Bloss 6 Prozent der Zugreisenden hatten Schutzmasken an den Bahnhöfen auf, trotz der Empfehlung des Bundesrats, sie in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu tragen.  

Bearth und ihre Kollegen befragten die Menschen zu verschiedenen Zeitpunkten während und nach der Abriegelung. In ihrer abschliessenden Umfrage, die kurz nach der Einführung der Maskenpflicht im ÖV durchgeführt wurde, stellten sie fest, dass Nicht-​​Maskenträger viel häufiger als Maskenträger dachten, dass Masken nicht wirksam seien. «Und sie waren auch eher überzeugt, eine Maskenpflicht sei angesichts der tiefen Fallzahlen überflüssig.»  

Suzanne Suggs, Professorin für Soziales Marketing an der Universität Lugano, hat für die Swiss National COVID-19 Science Task Force die Krisenkommunikation untersucht. Sie kommt zu ähnlichen Schlüssen wie Bearth: «Wir sahen, dass die Änderung der Empfehlungen bei vielen Menschen Misstrauen ausgelöst hat.»  

Beide betonen zugleich, dass die Maskenpflicht allgemein die Einhaltung der Vorschriften verbessert habe. Nicht, weil die Schweizer «blind gehorchen», so Suggs, sondern «weil eine Anordnung klar kommuniziert, dass Masken wichtig sind».

In einem Anfang Juli veröffentlichten Bericht der Task Force über Corona-Masken heisst es, dass sich während der vergangenen drei Monate die Hinweise für eine Wirksamkeit des Maskentragens in der Öffentlichkeit gehäuft hätten.  

Zu diesem Zeitpunkt hatten Österreich, Frankreich, Italien und Deutschland bereits die Maskenpflicht an öffentlichen Orten vorgeschrieben, was Gesundheitsminister Alain Berset dazu veranlasste zu sagen, dass die Schweiz mit ihren Nachbarn nicht Schritt halten könne.  

«Für jene Menschen, die dem Tragen von Masken skeptisch gegenüberstehen, gaben solche widersprüchliche Aussagen und Empfehlungen weiteren Anlass zum Zweifel», sagt Suggs.  

Andererseits, da Masken im ÖV nun obligatorisch seien, «verstehen viele Leute, dass Masken dazu beitragen können, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen», fügt sie hinzu.

Eine überbewertete Massnahme?

Dieses Verständnis hat zu einer weiteren Wende in der Debatte geführt: Wenn es Vorteile bringt, eine Maske zu tragen, warum sollte die Maskenpflicht nicht ausgedehnt werden? Inzwischen sind in einer wachsenden Zahl von Kantonen auch in Geschäften Masken Pflicht. 

Daniel Koch, der für sein unerschütterliches Auftreten während der Krise bekannt ist, gab im Juli in einem Interview mit dem «Blick» eine unverblümte Einschätzung ab: «Die Maskenfrage wurde von Anfang an überbewertet. Es gilt heute noch dasselbe wie vor drei Monaten: Distanz halten ist wichtiger als eine Maske zu tragen. Und Maskentragen führt eher dazu, dass man nicht mehr Abstand hält.»

Dennoch haben sich viele Ärzte dafür ausgesprochen, die Maskenpflicht auf alle Orte auszudehnen, an denen sich Menschengruppen versammeln. Dies sei aus epidemiologischer Sicht sinnvoll, sagte der Zuger Rudolf Hauri, der Präsident der Vereinigung der Schweizer Kantonsärztinnen und -ärzte, Anfang Juli gegenüber SRF. 

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Nach Ansicht der Verhaltensforscherin Angela Bearth könne das Tragen von Masken jedoch zu einem falschen Sicherheitsgefühl führen, wodurch das «social distancing» vernachlässigt werde.

«Es könnte hilfreich sein, auch die anderen Massnahmen bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit zu fördern, anstatt ständig die Wirksamkeit von Masken zu betonen», ergänzt sie.

Der Bundesrat überlässt es den Kantonen, wie weit diese in Sachen Maskenpflicht gehen wollen. Er hat sie aber dazu ermutigt, diese an geschlossenen öffentlichen Orten durchzusetzen.

Kommunikationsforscherin Suggs findet, dass Anordnungen nötig sein können, wenn die Menschen «nicht glauben, dass sie eine Verantwortung haben, eine Maske zu tragen, wenn die physische Distanzierung nicht respektiert werden kann, und wenn sie keinen sozialen Druck verspüren, dies zu tun.»

Ideal wäre natürlich, wenn es keine Maskenpflicht von oben braucht. Doch so weit sei die Schweiz noch nicht. «Momentan sind wir noch nicht an einem Punkt angelangt, an dem es gesellschaftlich erwartet wird, eine Maske zu tragen», so Suggs.

Christoph Kummer

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