Menschenwürde steht über der Forschungsfreiheit
Beim Verfassungsartikel über die Forschung am Menschen scheint sich eine Mehrheit einig zu sein: Es braucht eine gesamtschweizerische Regelung. Der umstrittenste Punkt ist die Forschung an Personen, die ihre Zustimmung dazu nicht geben können. Ein ethischer Konflikt.
Der Verfassungsartikel, über den das Schweizer Stimmvolk am 7. März abstimmt, ist ein erster Schritt zu einer schweizweit einheitlichen Regelung der Forschung am Menschen.
Wird er gutgeheissen, kann das Parlament das im Entwurf vorliegende Humanforschungsgesetz ausarbeiten.
Dabei wird der nationalen Ethik-Kommission (NEK) eine besondere Rolle zukommen: Sie kann die Leitplanken setzen, nach denen sich die im Gesetz vorgesehenen kantonalen Kommissionen zu richten haben, wenn sie Bewilligungen für Versuche am Menschen beurteilen.
Für Otfried Höffe, Präsident der NEK und Professor für Philosophie, ist eines klar: «An erster Stelle steht die Würde des Menschen, die Persönlichkeit und die Gesundheit. Und diese sind auch in der Forschung zu schützen, notfalls auch vor einer Forschung, die hier unzulässig eingreifen will.»
Höffe ist der Meinung, dass sich eine Harmonisierung zwischen den Kantonen empfiehlt, denn «es ist in ethischer Hinsicht wichtig, dass in der gesamten Schweiz ein gleiches Recht gilt», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Seine Kommissionskollegin, die Theologin Ruth Baumann-Hölzle steht dem Verfassungsartikel «zum grössten Teil positiv gegenüber». Sie beschreibt den ethischen Konflikt, der sich bei der Forschung am Menschen stellt: Auf der einen Seite würden «normale Behandlung und Betreuung in Medizin und Pflege in der Schweiz juristisch als Körperverletzungen gewertet».
Gleichzeitig sei aber «die Weiterentwicklung der Forschung im Sinne der Forschungsfreiheit ein Gut insofern, als dies kranken Menschen zu einer besseren Lebens- oder Sterbequalität verhelfen kann». Es gehe daher um eine Güterabwägung.
Urteilsunfähige Versuchspersonen
Wer urteilsfähig ist, kann selber entscheiden, ob er oder sie bei einem Versuch teilnehmen will, der möglicherweise eine Heilung oder Besserung der Krankheit bringen kann. Aber schon hier stellt sich aus ethischer Sicht ein Problem. Kranke Menschen seien verletzlicher als gesunde, gibt Baumann-Hölzle zu bedenken.
Da würde nun die Gefahr bestehen, «dass sie unter Umständen aus Verzweiflung, weil eine bestimmte Therapie ihre letzte Hoffnung wäre, auch Forschungsversuchen zustimmen, die höchst gefährlich sind». Deshalb sei es eine gute Sache, die Untersuchungen «zuerst durch einen Filter wie eine Kommission» zu lassen, um die Menschenwürde zu schützen.
Heikel wird es aber dann, wenn sich die betroffenen Personen nicht selber äussern können, wie es beispielsweise bei Kindern oder Demenzkranken der Fall ist.
«Auch für Kinder braucht es Forschung, die ihr neue medizinische Diagnose und Therapie eröffnet», erklärt Höffe. In solchen Fällen müssten die Kommissionen überlegen, wie etwaige Konflikte zu behandeln seien. «Dass sie ein Höchstmass an Sensibilität und Zurückhaltung verlangen, versteht sich von selber», betont er.
Keine einfache Aufgabe für die Kommissionen, das leuchtet beiden Ethikern ein. «Wir haben uns im Rahmen der nationalen Ethikkommission im Zusammenhang mit der Forschung an Kindern intensivst mit diesen Güterabwägungen beschäftigt», erzählt Baumann-Hölzle. «Nach welchen Kriterien will man das dann wirklich abschliessend beurteilen?», fragt sie. «Das ist fast nicht möglich.»
Streitpunkt «fremdnützige» Forschung
Eine noch schwierigere Aufgabe für die Kommissionen wird die stark umstrittene Frage der «fremdnützigen» Forschung sein, Forschung an urteilsunfähigen Personen wie etwa Demenzkranken, von der diese selber nicht profitieren. Diese soll erlaubt sein, wenn «die Risiken und Belastungen nur minimal» sind, wie es im Verfassungsartikel heisst.
Obwohl sie diesen gutheisst, hat Ruth Baumann-Hölzle beim Gesetzesentwurf gewisse Bedenken. «Forschung ist ohne Einwilligung einer Person immer eine Instrumentalisierung. Und wenn Menschen nun nicht selber einwilligen können darüber, welchen Risiken sie ausgesetzt werden, dann werden sie Mittel zum Zweck. Das widerspricht an und für sich der Menschenwürde.»
Der Konflikt dabei: «Wenn wir fremdnützige Forschung bei nicht einwilligungsfähigen Menschen nicht zulassen würden, würde das auch gleichzeitig bedeuten, dass wir ihnen Forschung und damit unter Umständen Therapien und so weiter vorenthalten würden.»
Als Beispiel nennt sie die lange Zeit fehlenden spezifisch auf die Wirkung im Kindesalter getesteten Medikamente. Trotzdem: «Ich würde diese fremdnützige Forschung zusätzlich einschränken auf die Krankheit respektive den Zustand dieser Person», erklärt sie.
Damit meint sie, «dass man an einer solchen Person nur fremdnützig forschen darf, wenn diese zum Beispiel bereits selber eine Demenzerkrankung hat oder irgend eine andere solche Krankheit, die legitimiert, überhaupt zu forschen».
Auch für Otfried Höffe ist klar, dass sich die Forschung «ein Höchstmass an Zurückhaltung» auferlegen müsse. «Und dass sie ein hohes Mass an Beweislast zu übernehmen hat». Schliesslich gehe es bei der ganzen Gesetzgebung nicht allein um den Schutz der Versuchspersonen, sondern letztlich auch um den Schutz der Forschenden vor ihrem eigenen Ehrgeiz.
Christian Raaflaub, swissinfo.ch
Am 7. März 2010 äussert sich das Schweizer Stimmvolk neben zwei weiteren Vorlagen zum Verfassungs-Artikel über die Forschung am Menschen.
Mit dem Artikel soll der Bund die Kompetenz erhalten, ein entsprechendes Bundesgesetz auszuarbeiten.
Derzeit ist die Forschung am Menschen in verschiedenen Gesetzen geregelt. Deshalb ist die Vereinheitlichung der Gesetzeslage ein Argument der Befürworter.
Die Gegner sind besonders gegen die so genannte «fremdnützige» Forschung an urteilsunfähigen Menschen (z.B. Kleinkinder oder Demenzkranke).
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