Migros – Oranger Riese mit Denkfabrik
Der Grossverteiler Migros nimmt im Schweizer Detailhandel eine Sonderstellung ein. Er engagiert sich für Kultur und gönnt sich ein Institut zum Nachdenken.
Das Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) gilt als der älteste und unabhängigste Think Tank der Schweiz.
Die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz geben pro Jahr mehr als 40 Milliarden Franken für Lebensmittel aus. Das Geschäft wird von Migros, Coop und Denner dominiert. Die Migros ist mit einem Anteil von rund 25 Prozent Marktführerin.
Neue Anbieter aus dem Ausland wie die deutschen Discounter Aldi und Lidl versuchen, den Schweizer Markt im Lebensmittelgeschäft massiv aufzumischen. Während die meisten Engros-Ketten ihre Verkaufs- und Erfolgs-Strategie ausschliesslich über den Preis definieren, kultiviert die Migros ihren Sonderfall, dem eine eigenwillige Entstehungsgeschichte zugrunde liegt.
Das heutige Prestigeprojekt der Migros heisst «Gottlieb Duttweiler Institut» (GDI), eine Denkfabrik für wirtschaftliche und soziale Studien. swissinfo sprach mit David Bosshart, dem Leiter des GDI.
swissinfo: Welche Beziehung besteht heute zwischen der Migros und dem GDI?
David Bosshart: Das GDI ist der Migros beziehungsweise seinem Gründer Gottlieb Duttweiler verbunden. Wir beobachten in der globalisierten Welt die Veränderungen des menschlichen Verhaltens und leiten daraus Erkenntnisse für den Handel, die Wirtschaft und die Gesellschaft ab.
Dazu machen wir Studien, Publikationen, Veranstaltungen, Vorträge und Expertisen.
swissinfo: Der frühere Chef des GDI, H.A. Pestalozzi, publizierte Bestseller. Was kann das GDI heute an richtungweisenden Publikationen im Bereich der eigenen Kernkompetenz vorweisen?
D.B.: Interessanterweise hat H.A. Pestalozzi seine Bestseller (‹Auf die Bäume ihr Affen›, ‹Nach uns die Zukunft›) nach seiner Zeit beim GDI geschrieben. Der letzte Bestseller des GDI war ‹Billig›, der behandelt, wie sich an diesem Schlagwort Wirtschaft und Gesellschaft reiben und verändern.
Das Thema ‹Billig› hat das GDI vor zwei Jahren lanciert. Heute ist es in aller Munde. Interessierte Kreise, die sich heute mit dem Thema Konsum fundiert auseinandersetzen wollen, können sich auf die Publikationen ‹Billig› und ‹Age of Cheap› beziehen.
Das GDI macht mit den aufgegriffenen Themen immer wieder Agenda-Setting und bringt interessante und richtungweisende Ansätze ins Spiel, über Bücher, Studien aber auch mit unserer Zeitschrift Impuls, die vier Mal pro Jahr erscheint.
swissinfo: Wie unterscheidet sich das GDI heute von anderen Denkfabriken?
D.B.: Wir sind keiner politischen Ideologie – etwa dem Neoliberalismus, dem Konservatismus oder dem Sozialismus – verbunden. Wir wollen aufzeigen, was kommt, und dass es immer Alternativen gibt zu einer einmal eingeschlagenen Entwicklung.
Wir bilden eine kompetente Plattform für neue Sichtweisen, die überraschend, ohne Scheuklappen und authentisch sind.
swissinfo: Warum braucht es Denkfabriken? Warum braucht es das GDI?
D.B.: Der Bedarf nach Übersicht, nach Orientierung und nach Alternativen steigt in einer komplexen und dynamischen Wirtschaft. Die Nachfrage nach Dienstleistungen des GDI ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen.
Das GDI hat den Vorteil, dass es keine Interessen vertreten muss und so glaubwürdig auftreten kann. Das entspringt dem Denken von Gottlieb Duttweiler, dem Gründer der Migros.
swissinfo: Wer sind die Auftraggeber des GDI? Auch die Migros?
D.B.: Die Migros lässt das GDI, ganz im Sinne von Gottlieb Duttweiler, als unabhängiges Institut arbeiten. Deshalb sind heute auch Konkurrenten der Migros Kunden des Instituts. Das Feld der Auftraggeber ist international, vor allem aus den Bereichen Handel, Konsumgüter, Dienstleistungen.
Die Beziehung zur Migros ist ausgezeichnet, freundschaftlich und fair. Die Glaubwürdigkeit und die Unabhängigkeit des GDI sind auch dadurch gewährt, dass wir die Migros kritisieren, was ausdrücklich zum Auftrag des Instituts gehört.
swissinfo: Wie unabhängig ist das GDI?
D.B.: Inhaltlich bestimmt das GDI Themen, Publikationen und Veranstaltungen selbst. Im Rahmen der gesprochenen Budgets geniessen wir Freiheiten, die uns zu grossen Leistungen anspornen.
In der Schweiz dürfte es noch immer kaum Vergleichbares geben in der Beziehung von Unternehmen und Institutionen.
swissinfo: Wer finanziert das GDI?
D.B.: Das GDI ist Teil der Stiftung ‹Im Grünen›, zu der auch die Freizeitanlage in Rüschlikon gehört. Ein grosser Teil des GDI-Budgets wird von der Migros finanziert.
Die Eigenleistung des Instituts ist aber grösser geworden im Laufe der letzten Jahre. Das ist gut so, denn dadurch wird die Unabhängigkeit nochmals unterstrichen.
swissinfo, Erwin Dettling, Zürich
1925 schickte Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler erste Verkaufswagen mit nur sechs Grundnahrungs-mitteln los. Die Chauffeure waren gleichzeitig Verkäufer, Magaziner, Kassier und Buchhalter.
Durch den Ausschluss des Zwischenhandels war das Konzept erfolgreich. 1941 wandelte Duttweiler die regionalen Aktien-Gesellschaften in Genossenschaften um.
Heute gehört der Konzern rund 1,9 Millionen Teilhabern. Zehn regionale Genossenschaften bilden den Migros-Genossenschafts-Bund (MGB). Vereinfacht gilt: Die Migros gehört ihren Kunden.
Zur Migros zählen zahlreiche weitere Unternehmen:
Kreditinstitut Migrosbank
Buch- und Medien-Handelskette Ex Libris
Migrol-Tankstellen
Migros Klubschulen
Reisebüro Hotelplan
Eigene Fitnesscenter und Golfplätze
Zudem unterstützt die Migros aus den Konzerneinahmen mit einem «Kulturprozent» kulturelle Aktivitäten.
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