Mitfavoritin mit Handicap: Sarah Lein und die diffizile Vakanz an der SNB-Spitze
Seit Ende Juni gibt es im dreiköpfigen Führungsgremium der Schweizerischen Nationalbank (SNB) eine Vakanz. Wieso dauert es so lange, die Nachfolge zu regeln? Die Antwort liegt in der Organisation der SNB, die sich in einem zentralen Punkt von den wichtigsten Zentralbanken im Ausland unterscheidet.
Der Aufsichtsrat der Schweizerischen Nationalbank sucht händeringend nach einem neuen Mitglied für die operative Führung der Nationalbank, die im Moment nur mit Präsident Thomas Jordan und Vizepräsident Martin Schlegel besetzt ist. Schon seit Ende Juni ist der dritte Sitz im SNB-Direktorium vakant.
Eine der Top-Kandidatinnen für den Sitz ist Sarah Lein, Professorin für Makroökonomie und Geldpolitik an der Universität Basel.
Ihre fachliche Eignung ist unbestritten, sie käme von ausserhalb der Nationalbank und könnte die beiden SNB-internen Jordan und Schlegel mit neuen Denkansätzen herausfordern – und sie ist eine Frau. Doch hat sie auch einen Nachteil: Lein stammt nicht aus der lateinischen Schweiz.
Die Grösse ist das Problem
Das Beispiel von Sarah Lein zeigt: Es ist schwierig, eine passende Person fürs SNB-Direktorium zu finden; und das hängt auch mit der Organisation der Schweizerischen Nationalbank zusammen.
Mit nur drei Sitzen ist ihr Führungsgremium im internationalen Vergleich sehr klein. In London bestimmen neun Personen über die Geldpolitik der Bank of England, bei der amerikanischen Fed sind es zwölf und bei der Europäischen Zentralbank 21.
Das erleichtert es, Minderheiten in die Führungsetage einzubinden. Derweil muss in der Schweiz eine Person in der Regel gleich mehrere Gruppen repräsentieren – zumindest in der aktuellen Konstellation.
Und der Anforderungskatalog ist lang: Erstens müsse die neue Person von ausserhalb der Nationalbank kommen, fordert beispielsweise das SNB Observatory um den Basler Makroökonomie-Professor Yvan Lengwiler.
Zweitens soll es lieber kein Mann sein, sonst wären im Top-Management der Nationalbank wieder nur Männer vertreten – wie vom Moment der Gründung im Jahr 1907 bis 2015, als die diesen Sommer jetzt zurückgetretene Andrea M. Maechler als erste Frau ins SNB-Führungsgremium berufen wurde.
Drittens gilt die Einbindung der lateinischen Schweiz in Schlüsselinstitutionen des Landes als politisch zwingend.
Neben den Deutschschweizern Jordan und Schlegel soll neu jemand aus dem Tessin oder der Welschschweiz ins SNB-Direktorium gewählt werden. In diese Richtung äussert sich insbesondere auch der Bundesrat.
Es gibt passende Personen – aber wollen sie den Job?
Kompetent, von ausserhalb der Nationalbank, kein Mann und aus der Westschweiz oder dem Tessin: Kann eine einzige Person diese Kriterien überhaupt alle erfüllen?
Passen würden: Eftychia Fischer, aktuell Verwaltungsratspräsidentin der Waadtländischen Kantonalbank; Luisa Lambertini, zurzeit Rektorin der Università della Svizzera italiana in Lugano; und Sabine D’Amelio-Favez, die Leiterin der Eidgenössischen Finanzverwaltung. Gewählt wurde von diesen drei Personen aber noch keine.
Und auch von den anderen Top-Kandidatinnen – neben Sarah Lein beispielsweise Marlene Amstad, die Präsidentin der Finanzmarktaufsicht, und Beatrice Weder di Mauro, Makroökonomie-Professorin in Genf – hat offenbar noch niemand zugesagt. Doch wie problematisch ist die Vakanz?
In der Schweiz sind Vakanzen bedeutsamer als im Ausland
Im Ausland gibt es immer wieder freie Sitze an der Spitze der Zentralbanken, vor allem in den USA. Im Frühjahr 2022 waren im Fed-Board gleich drei Sitze unbesetzt.
Das waren allerdings nur 25 Prozent aller Stimmen im zinssetzenden Gremium. Derweil fehlen in der Schweiz mit nur einer Vakanz gleich 33 Prozent im Führungsgremium der SNB.
Das macht die Vakanz vergleichsweise schwerwiegend – und erhöht den Druck auf den SNB-Bankrat, bald eine neue Person zu nominieren.
In einem ersten Schritt einigt sich der SNB-Bankrat, das Aufsichtsgremium der Nationalbank, auf einen Wahlvorschlag zuhanden des Bundesrats. Darauf wählt der Bundesrat ein neues Mitglied ins SNB-Direktorium. Der Bundesrat ist dabei frei, er ist also nicht an den Vorschlag des Bankrats gebunden. Ein Abweichen vom Wahlvorschlag müsste der Bundesrat allerdings begründen; politisch wäre es einem Affront gegenüber der Nationalbank. Kein Mitspracherecht hat das Parlament.
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