«In Russland wurden hundert neue Gesetze verabschiedet, welche die Pressefreiheit einschränken»

Serie Stimmen der Freiheit aus aller Welt, Folge 6:

Die russisch-ukrainische Journalistin Galina Timchenko lebt und arbeitet seit Jahren in Lettland. Hier gründete sie eine Online-Multimedia-Plattform, auf der weiterhin publiziert wird, was die russischen Medien aufgrund der strengen Zensurvorschriften nicht mehr veröffentlichen dürfen.

«Rede- und Informationsfreiheit sind alles für mich», sagt Timchenko in dieser neuen Ausgabe unserer «Global Voices of Freedom». Die 60-jährige Chefredaktorin von Meduza.io bestätigt, dass die Presse- und Meinungsfreiheit in Russland seit vielen Jahren unter Beschuss ist.

Timtschenko leitete ein Jahrzehnt lang eines der auflagenstärksten russischen Nachrichtenmedien, Lenta.ru, bis 2014, als der russische Präsident Wladimir Putin mit der Annexion der Krim und der Unterstützung separatistischer Kräfte in der Donbass-Region einen Angriff auf die Ukraine befahl.

«Damals wies der Kreml den Besitzer von Lenta direkt an, mich zu feuern», sagt sie gegenüber SWI swissinfo.ch. «So musste ich Russland verlassen und nach Lettland und Riga gehen, wo ich ein neues Medienunternehmen, Meduza, gründete, um die Pressefreiheit zu erhalten, die in Russland nicht mehr möglich war. Für mich und alle meine Kolleg:innen war das eine echte Lebensumstellung.»

Heute ist das neue Medium, das die ukrainisch-russische Journalistin leitet, nicht nur in Russland, sondern auch international sehr beliebt, da es Nachrichten sowohl auf Russisch als auch auf Englisch veröffentlicht.

«Meduza ist eine multimediale Plattform, die sich in allen sozialen Netzwerken, über Messenger und Newsletter Gehör verschafft», fügt Timchenko hinzu. Auf diese Weise ist es gelungen, viele junge Menschen anzuziehen, die heute die Hälfte der Leserschaft ausmachen.

Im März wurde Meduza.io jedoch als direkte Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine von den russischen Behörden blockiert. «Seitdem wurden in Russland etwa hundert neue Gesetze verabschiedet, welche die Pressefreiheit einschränken. Es gibt eine militärische Zensur, und die Opfer sind gerade die Medienorganisationen: 100 Zeitungen wurden zu ausländischen Agenten erklärt und des Verrats und der Spionage beschuldigt.»

«Und Hunderte von Journalist:innen haben das Land verlassen», so Timtschenko weiter. «Solange Putin an der Macht bleibt, wird es in Russland keine Presse- und Meinungsfreiheit und keine Achtung der Menschenrechte geben.»

(Übersetzt aus dem Englischen: Sibilla Bondolfi)

Serie Stimmen der Freiheit aus aller Welt

• Folge 1: 1. Marie Maurisse: Pressefreiheit auch in der Schweiz unter Druck
• Folge 2: 2. Thailändischer Demokratie-Verfechter auf Gratwanderung
• Folge 3: 3. Dieser Journalist will nicht Pressesprecher eines Milliardärs werden
• Folge 4: 4. Das Recht als Stolperstein für die Pressefreiheit
• Folge 5: 5. Der italienische Journalist, der aus politischen Gründen unter Schutz steht
• Folge 6: 6. «In Russland wurden hundert neue Gesetze verabschiedet, welche die Pressefreiheit einschränken»
• Folge 7: 7. «Werden die Medien ‹getötet›, verliert die Gesellschaft»
• Folge 8: 8. Weltforum für Demokratie 2022 – acht Stimmen der Freiheit aus Luzern
• Folge 9: 9. Das grosse Risiko der Mafia-Berichterstattung
• Folge 10: 10. Für die Meinungsfreiheit Venezuela verlassen
• Folge 11: 11. Can Dündar: Aus dem Exil für die Türkei schreiben
• Folge 12: 12. Wer herrscht über die Meinungsfreiheit?
• Folge 13: 13. Cyber-Expertin warnt vor Gefahren durch unregulierte soziale Medien
• Folge 14: 14. Was Meinungsfreiheit bedeutet – und was nicht
• Folge 15: 15. Wirtschaftskriminelle versuchen, die Presse mundtot zu machen
• Folge 16: 16. Freie Meinung: universell, aber nicht absolut
• Folge 17: 17. Audrey Tang, wie werden soziale Medien sozial?
• Folge 18: 18. Gesetze? Die Schweiz tickt anders auf den sozialen Medien
• Folge 19: 19. Eine Internetregierung in Rousseaus Heimatstadt
• Folge 20: 20. Petitionen: scheinbar zahnlos und doch fundamental
• Folge 21: 21. Hitziger Streit um gendergerechte Sprache
• Folge 22: 22. SWI swissinfo.ch – Plattform der Stimmen der Meinungsfreiheit
• Folge 23: 23. Können Sie frei sagen, was Sie meinen?
• Folge 24: 24. Meinungsfreiheit im Ishigaki-Stil
• Folge 25: 25. Wer in der Schweiz das Sagen hat
• Folge 26: 26. Freie Medien in einer unfreien Gesellschaft
• Folge 27: 27. Asylbewerberin: Wir alle brauchen das Recht auf freie Meinungsäusserung
• Folge 28: 28. Brasilianischer Komiker: Meinungsfreiheit «hat einen Preis»
• Folge 29: 29. Nabil al-Asidi: Todesurteil gegen Pressefreiheit
• Folge 30: 30. Fatima Haidari – eine virtuelle Führung durch Afghanistan
• Folge 31: 31. Abraham Jiménez Enoa: «In Kuba trifft man als Journalist auf Beton»