Vor 75 Jahren bombardierten die Amerikaner eine Schweizer Stadt
Die Amerikaner entschuldigten sich sogleich für die Bomben und zahlten eine Entschädigung. Der Schadenersatz war allerdings im US-Kongress umstritten: Abgeordnete bemängelten, die Schweiz habe nun schon zum zweiten Mal von einem Krieg profitiert, ohne selber bluten zu müssen. (Milou Steiner/RDB)
Rdb/milou Steiner
Am Samstag, 1. April 1944, war der Himmel blau, die Sicht klar und es wehte ein leichter Wind. Viele Menschen rannten auf die Strassen und sahen in den Himmel, um die Flugzeuge zu zählen, statt in die Luftschutzkeller zu gehen. (Milou Steiner/RDB)
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Am 1. April 1944 wurde die Stadt Schaffhausen und Umgebung wegen Fehlnavigationen zum Ziel amerikanischer Luftangriffe. Nachdem Bomberstaffeln bestehend aus Liberator-Bombern mindestens 371 Brand- und Sprengbomben auf die Stadt nahe der deutschen Grenze abwarfen, brachen zahlreiche Grossbrände aus. (Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter / Keystone)
Keystone / Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter
Feuerwehrleute und Luftschutzsoldaten im Einsatz. Für die Verletzten stand nur eine Ambulanz zur Verfügung. Die meisten Opfer wurden von Hand ins Spital getragen. Eine Privatperson transportierte zudem Verletzte in seinem Topolino. (Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter / Keystone)
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Von diesem Gebäude im Schaffhauser Industriequartier blieb nur der Kamin stehen. Die Bombardierung hinterliess eine "schauderhafte Sauerei", wie es ein Luftschutzkommandant ausdrückte. "Da lagen Leute, denen es die Köpfe weggesprengt hatte und denen nur noch die Wirbelsäule aus dem Kragen ragte." Das habe ihn unglaublich wütend gemacht auf die Piloten. (Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter / Keystone)
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Bewohner der Gemeinde Feuerthalen retten ihr Hab und Gut vor dem Feuer ins Freie. Nachdem Bomberstaffeln mindestens 371 Brand- und Sprengbomben auf die Stadt nahe der deutschen Grenze abgeworfen hatten, brachen zahlreiche Grossbrände aus. (Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter / Keystone)
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Zivilschützer mussten mit Schaufeln und Spitzhacken den Schutt wegräumen. Aufnahme vom 4. April 1944. (Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter / Keystone)
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Luftschutzsoldaten räumten im April Trümmer aus dem zerstörten Bahnhofshalle in Schaffhausen. (Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter / Keystone)
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Emil Busenhart im Kantonsspital Schaffhausen, am 4. April 1944. Er wurde bei der Bombardierung Schaffhausens durch Glassplitter schwer verletzt. Viele der fast 400 Verletzten erlitten schwere Verwundungen. Als erster Patient eingeliefert wurde beispielsweise ein Junge, dem eine Sprengbombe das Bein abgerissen hatte. (Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter / Keystone)
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Am 4. April stieg noch immer Rauch aus den Trümmern des ausgebrannten katholischen Vereinshauses in Schaffhausen. (Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter / Keystone)
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Die Todesopfer des Bombenangriffs wurden am 4. April 1944 an einer Massenbeerdigung auf dem Waldfriedhof Schaffhausen bestattet. Skurril: Als Monate später ein Abgesandter des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt an den Gräbern als Entschuldigung einen Kranz niederlegte, wurde er Augenzeuge, wie amerikanische Flugzeuge Bomben auf das schweizerische Stein am Rhein, Neuhausen am Rheinfall und Rafz warfen. (Walter Scheiwiller, Milou Steiner, Eugen Suter / Keystone)
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Während des Zweiten Weltkriegs bombardierten die Alliierten aus Versehen immer wieder Schweizer Ziele. Heute vor 75 Jahren kam es zum folgenschwersten Fehler: Die US-Luftwaffe warf fast 400 Brand- und Sprengbomben über Schaffhausen ab und zerstörte die Schweizer Grenzstadt weitflächig.
Am 1. April 1944 startete eine US-Bomberstaffel von Grossbritannien aus, mit dem Ziel, das deutsche Ludwigshafen anzugreifen. Doch trotz klarer Sicht verirrten sich die PilotenExterner Link, weil die noch neue Radartechnologie ausfiel. Sie feuerten 371 Bomben über Schaffhausen ab, das sie für eine deutsche Stadt hielten.
Kai Reusser / swissinfo.ch
Die Bilanz: 47 bis 60 Todesopfer (je nach Schätzung) und Hunderte Verletzte. Fast 500 Menschen wurden obdachlos und etwa tausend verloren ihre Arbeitsstelle, weil die Fabriken zerstört waren. Die Stadt lag in Schutt und Asche.
Verschwörungstheorie: War es Absicht?
Besonders tragisch: Die Schaffhauser waren es sich gewohnt, dass Flieger der Alliierten über die Schweiz flogen. Statt in die Luftschutzkeller zu fliehen, traten sie vertrauensselig auf die Strasse und blickten in den Himmel.
Die Bevölkerung malte Schweizer Kreuze auf die Hausdächer, in der Hoffnung, das würde sie vor Bombenangriffen schützen.
Photopress-Archiv
Lange wurde in der Schweiz das Gerücht kolportiert, wonach die Alliierten die Schweiz hätten bestrafen wollen, weil eine Schaffhauser Fabrik Nazi-Deutschland mit Industriegütern belieferte. Doch heute ist sich die historische Forschung einig: Es war ein Unfall. Die USA zahlten Schaffhausen noch während des Kriegs eine Wiedergutmachung.
Tödliches Unwissen der Amerikaner
Zum Schutz vor solchen Missverständnissen malte die Bevölkerung in der Folge grosse Schweizer Kreuze auf die Hausdächer.
Doch die Amerikaner verstanden das Zeichen nicht immer, wie das Beispiel der Bombardierung des Schweizer Städtchens Stein am Rhein zeigt: Der Kommandant des Bombers schrieb später in seinem Bericht, er habe bei der Bombardierung der deutschen Stadt Ebingen (in Wahrheit Stein am Rhein) auf den Dächern rote Quadrate mit grossen weissen Kreuzen gesehen. «What are they?», fragte er im Rapport. Wie viele amerikanische Piloten wusste er nicht, wie die Schweizer Flagge aussieht.
So warfen die Alliierten während des Zweiten Weltkriegs rund 70 Mal irrtümlich Bomben auf Schweizer Boden ab. Die Bomben trafen unter anderen Zürich, Basel, Schaffhausen, Stein am Rhein und kleine Ortschaften in diversen Kantonen.
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