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10-Millionen-Schweiz: Welche Zuwanderung braucht es?

Noch in diesem Jahr wird die Schweiz 9 Millionen Einwohner:innen haben. Dieses Bevölkerungswachstum beschäftigt – und das Thema wird bewirtschaftet, gerade im Wahljahr 2023. Wir haben es vertieft. 

Das Schweizer Bevölkerungswachstum ist eine Folge der Zuwanderung. Sie ist nötig für die Wirtschaft unseres Landes – und für die AHV. Denn mit der Generation der Babyboomer gehen viele gleichzeitig in Rente. Darum braucht es auch mehr Menschen, die arbeiten und einzahlen. 

Wieviel Zuwanderung ist richtig?

Aber stimmt das? Und hält unser Land so viel Einwanderung aus? Wir haben darüber in unserem Debattenformat «Let’s Talk» diskutiert. 

Im Studio war Migrationsforscherin Denise Efionayi von der Universität Neuenburg. Sie diskutierte mit Sandro Cattacin, Soziologe der Universität Genf. 

«Wichtig ist, Migration nicht immer als Problem anzuschauen, sondern als Ressource und Potenzial», sagt Denise Efionayi.

«Migration ist im Interesse der Schweiz»

Ein wohlhabendes Land wie die Schweiz stehe einerseits besonders in der Pflicht. «Aber andererseits ist es letztlich auch in unser aller Interesse», sagt sie. Als gutes Beispiel erwähnt sie den Umgang der Schweiz mit Flüchtlingen aus der Ukraine. «Man hat diese Leute pragmatisch aufgenommen, und es hat gut geklappt.»

Integration gelingt laut Efionayi dann, wenn die Leute von Anfang an eingebunden und akzeptiert werden. «Die Schweiz hat viel Erfahrung damit.»

Häufig brauche es aber eine zweite Generation. «Die erste Generation arbeitet manchmal in weniger qualifizierten Jobs, als der Rucksack, den sie mitbringt, erlauben würde.» Bei der zweiten werde dies dann aufgeholt. 

Die Schweizer Bevölkerung wächst im Vergleich zu anderen Ländern sehr schnell, schneller als alle andern Länder Europas und ähnlich stark wie die USA, wie folgende Grafik zeigt:

Zuwanderung Schweiz
swissinfo.ch

Soll die Schweiz ihre Zuwanderung also regulieren? Soziologe Sandro Cattacin sagt: «Es braucht eine Regulierung und auch eine Idee zur Regulierung, die etwas moderner ist, als was wir jetzt haben.» Die jetzige Migrationspolitik berücksichtige die Bedürfnisse der Gesellschaft zu wenig.

«Keine 10-Millionen-Schweiz» diskutiert

Cattacin beschreibt das Problemfeld so: Man suche nach Fachkräften, lasse aber jene nicht rein, die keine hohen Qualifikationen mitbringen. 

Dabei verursache jede gutausgebildete Person Arbeit für eine nicht ausgebildete Person. «Das sind dann die Sans-Papiers, die in den Städten sind und die Probleme der Haushalte lösen», erklärt er.

Die Initiative der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) «Keine 10-Millionen-Schweiz» wurde am 1. Juli lanciert. Nach swissinfo.ch-Informationen hatte sie zuvor partei-intern für Auseinandersetzungen gesorgt. Der konservative, migrationsskeptische Flügel kämpfte dafür. Liberalere Kreise in der Partei hatten aber auch vor den Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft gewarnt.

Der Initiativtext will, dass die Schweiz bis 2050 die Schwelle von zehn Millionen Einwohner:innen nicht überschreitet. Die Schweiz soll zu diesem Zweck eine Zuwanderungsbremse einrichten.

Die Initiative verlangt zudem vom Bundesrat einen Plan zur «eigenständigen Steuerung der Zuwanderung von Ausländerinnen und Ausländern durch Höchstzahlen und Kontingente».

Sandro Cattacin sieht in der Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» eine «sehr gefährliche Kombination» mit einer «Instrumentalisierung der Ausländerfeindlichkeit» auf der einen Seite und einer «konservativen Schweiz, die sich gegen Stadt und gegen Migration inszeniert» auf der anderen Seite. Dabei seien die Städte im Moment auf der Suche nach Menschen. «Die wollen mehr Migration», sagt Cattacin.

Perspektiven aus dem Ausland

In der «Let’s Talk»-Diskussion über die die Migration bringen auch drei Auslandschweizer ihre Perspektiven ein. Hans Broder ist Mitglied der SVP International und lebt in Mexico Stadt. Der Jungunternehmer sagt, dass sich die Einwohner:innen in dieser 25-Millionen-Metropole längst an das enge Zusammenleben gewöhnt haben. «Trotzdem machen die Leute sich Sorgen», berichtet er und ist überzeugt: «Wenn man Migration nicht regelt, entstehen Konflikte.»

Walter Denz lebt in Lettland, er ist Mitglied der FDP International. Der EU traut er nicht zu, dass sie die Herausforderungen an den europäischen Aussengrenzen lösen kann. «Es gibt keinen Verteilungsschlüssel, der funktionieren würde.» Und es gebe Angst bei Politikern, sich für Flüchtlinge einzusetzen. «Diese Reflexe werden wir auch in Zukunft sehen», sagt Denz.

Pascal Cuttat in Nairobi arbeitetete im humanitären Bereich in vielen Krisengebieten, aus
denen Menschen fliehen mussten. Cuttat ist auch Nationalratskandidat der SP. Er sagt: «Es gibt einen Konsens in der Schweiz, dass man Leuten, die Schutz brauchen, diesen Schutz auch gibt.»

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