OECD verteidigt sich gegen Schweizer Vorwürfe
Die für die Publikation der Steueroasen-Listen zuständige Organisation, die OECD, nimmt für ihr Tun Unparteilichkeit in Anspruch. Sanktionen lehnt sie ab. OECD-Chef Angel Gurrìa verteidigt sich gegen die Anschuldigungen "kleiner Länder".
Die «Schwarze Liste» gebe es nicht mehr, erklärte Gurrìa am Dienstag in Paris. Uruguay, Costa Rica, die Philippinen und Malaysia waren beim G-20-Gipfel an den Pranger gestellt worden, die internationalen Standards zur Verhinderung von Steuerbetrug nicht umzusetzen.
Fünf Tage später – Kehrtwende: Die vier Länder haben seither zugesagt, ihre Gesetze binnen des Jahres so zu ändern, «dass künftig Informationen über verdächtige Konten oder Transaktionen ausgetauscht werden können, in Funktion der OECD-Normen», sagte zufrieden der Mexikaner Angel Gurrìa, Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
Von der Schwarz- in die Grauzone
Die vier wechseln nun von der «Schwarzen» in die «Graue Liste». Ein brüsker Sinneswandel, der die Zweifel nährt, ob die OECD wirklich noch unvoreingekommen ist. Genügt ein Telefonat an Herrn Gurrìa, und schon wechselt ein Land von «schwarz» nach «grau»?
Bestand der Fehler der Philippinen oder von Malaysia vor allem darin, am G-20-Gipfel nicht selbst anwesend gewesen zu sein? So wie die Schweiz?
Angel Gurrìa und seine Kollegen versuchten vor den Medien, ihre Entscheide zu erklären: «Die internationalen Normen, fixiert von der OECD, haben sich nicht geändert. Es geht um den Informationsaustausch auf Anfrage eines Drittstaates.»
Frischer Wind
«Doch aufgepasst», so Gurrìa: «Der Wind weht nun aus einer anderen Richtung. Die Epoche des absoluten Bankgeheimnisses hat ausgedient.»
Gurrìa wird in der Schweiz stark kritisiert, weil er die Eidgenossenschaft auf das Niveau der klassischen Fiskalparadiese herunterdrückt. Der OECD-Generalsekretär wehrt sich dagegen: «Einige Länder haben schon vor fünf Jahren Fortschritte angekündigt, und haben seither nichts gemacht. Wir werden sie uns etwas näher ansehen.»
Dabei soll es sich um Panama handeln. Das genau bereitet den Schweizern Kopfschmerzen. Sie selber nehmen ihre veränderten Pflichten rund um das Bankgeheimnis ernst, und wünschen deshalb, dass die OECD gegenüber anderen Ländern, «Konkurrenzländern», dieselben Kriterien anwendet.
Sanktionen?
Für Angel Gurrìa kein Thema: Die OECD sanktioniere nicht, das sei nicht ihre Rolle. «Können Sie sich die 30 Industrieländer, darunter die Schweiz als eines der reichsten Länder der Welt, vorstellen, Sanktionen gegenüber anderen Mitgliedern zu verhängen?», empört sich der Generalsekretär ob der Frage.
Und dennoch: Aufgrund des OECD-Ratings wäre es denkbar, dass gewisse Länder, denen die Steuerzahler davonlaufen, der Versuchung nachgeben, entweder Steuer-Vereinbarungen anzuprangern und ganz einfach selbst Sanktionen anzuwenden.
Demgegenüber unterstreicht die OECD ihre Rolle im Support: Man müsse die Länder unterstützen, ihre Gesetzgebung entsprechend anzupassen.
Der OECD-Steuerverantwortliche, Jeffrey Owens, unterstreicht den Fall der skandinavischen Länder. In Fiskalangelegenheiten würden die nordischen Staaten stark auf multilaterale (Doppel)Besteuerungs-Abkommen setzen, um simultane Doppelbesteuerungs-Abkommen abzuschliessen.
Dies mit dem Ziel, zu vermeiden, was der Schweiz nun bevorsteht: Separate Neuverhandlungen mit jedem einzelnen Partnerland.
Tabuwort automatischer Informations-Austausch
Noch ist in der Schweiz der automatische Informations-Austausch in Steuerangelegenheiten ein Tabuwort. Und was denkt die OECD? «Die OECD legt uns die Information auf Anfrage nahe», sagt der Verantwortliche für die steuerliche Zusammenarbeit, Pascal Saint-Amand.
«Ein Informations-Austausch will nicht heissen, dass die Steuerbehörde, die die Information erhält, diese gleich in den Medien veröffentlicht», präzisiert Gurrìa. Ein Land habe ausserdem das Recht, Informationen zu verweigern, «wenn es den Verdacht hat, dass das andere Land keine Diskretion walten lässt».
Fiskalische Hexenjagd
Und Jeffrey Owens unterscheidet ausserdem zwischen Informations-Austausch und Hexenjagd, auf englisch ‹Fishing Expeditions›: «Wenn zum Beispiel Deutschland Informationen verlangen würde über alle Grossmütter, die ihr Schärflein in Liechtenstein angelegt hätten, wäre das eine fiskalische Hexenjagd. Das ist sicher nicht, was wir uns wünschen.»
swissinfo, Mathieu van Berchem, Paris
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)
Die Schweiz hat ihre Unzufriedenheit mit der OECD durch die Blockierung von Budgetmitteln unterstrichen.
Zusammen mit Belgien, Luxemburg und Österreich sprach sich die Schweiz im OECD-Budgetkomitee gegen den Transfer eines Budgetbetrags aus. Staatssekretär Jean-Daniel Gerber bestätigte damit eine Meldung von cash.
Es sei um einen Restposten von 136’000 Euro gegangen, der für die Zusammenarbeit zwischen der OECD und der G-20 vorgesehen gewesen sei. Gerber sprach von einer symbolischen Aktion.
Wie Wirtschaftsministerin Doris Leuthard störte das Schweizer Parlament das Vorgehen der OECD, eine «Schwarze Liste» von Steueroasen aufzustellen.
Die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrates will Erläuterungen von OECD-Sekretär Angel Gurría.
Der Freiburger christlichdemokratische Nationalrat Dominique de Buman bestätigte eine Meldung von Radio suisse romande, dass Gurría zu einer Anhörung bestellt wurde.
Die WAK werfe der OECD vor, mit dem beitragszahlenden Mitgliedsland Schweiz schlecht umgegangen zu sein.
Gurría habe auf die Anfrage der WAK noch nicht geantwortet, so de Buman. Bundesrätin Leuthard hatte schon vor drei Wochen bei der OECD protestiert.
Auch Aussenministerin Micheline Calmy-Rey kritisiert die OECD-Listen.
«Die Kriterien der OECD sind politisch, man kann das anschauen wie man will. Es gibt keine qualitativen Kriterien», sagte Calmy-Rey.
Für die Schweiz sei es wichtig, dass für alle Länder die gleichen Kriterien gälten, sagte Calmy-Rey in Bern.
Bei anderen Bankenplätzen handle es sich ja auch um Konkurrenten der Schweiz.
Der deutsche Finanzminister und SPD-Politiker Peer Steinbrück will im Gegensatz zur OECD auch Zwangsmassnahmen gegen Staaten auf der «Grauen Liste» ins Auge fassen.
Gegenüber der «taz» sagt er, mit Sanktionen dürfe man jedenfalls nicht fünf Jahre warten, und betonte: «Das muss möglichst schnell gehen.»
Scharfe Kritik übte Steinbrück daran, dass die Union (CDU-CSU) sich in Deutschland weiter gegen ein Gesetz sperrt, mit dem Aktivitäten in Steueroasen sanktioniert werden könnten.
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