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Pariser Notre-Dame: Die Wiederauferstehung

Keystone-SDA

Als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2019, nach dem verheerenden Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame, versprach, die weltberühmte Kirche werde in nur fünf Jahren wieder aufgebaut, hielten ihn viele für verrückt oder meinten, er behaupte das völlig willkürlich. Doch es gelang. Wenn am 7. Dezember das über 850 Jahre alte Meisterwerk der Gotik im Herzen von Paris wieder öffnet, endet ein Kapitel voller Herausforderungen, Risiken und Kontroversen. Das Unglück und die Rekonstruktion in einem Überblick:

(Keystone-SDA) Feueralarm nach Gottesdienstbeginn

Am 15. April 2019 ertönte um 18.20 Uhr, nach dem Beginn eines Gottesdiensts, der erste Feueralarm. Die Gläubigen mussten aus dem Gebäude, durften aber wieder zurück, denn es war nichts von einem Feuer zu sehen. Wenige Minuten später, um 18.43 Uhr, ging der Alarm erneut los. Die Kirche wurde geräumt. Gegen 19.50 Uhr stürzte der Spitzturm in sich zusammen. Ein dramatischer Moment, der weltweit auf Bildschirme übertragen wurde. Zum Glück wurde bei dem Unglück niemand ernsthaft verletzt.

Vieles konnte gerettet werden

Bei dem Grossbrand wurde der gesamte Dachstuhl, der Spitzturm und ein Teil des oberen Gewölbes zerstört. Gerettet werden konnten die Hauptstruktur und die beiden Glockentürme. Viele Kunstwerke sowie die berühmten Rosettenfenster und die grosse Orgel mit 8.000 Pfeifen blieben weitgehend unversehrt und erlitten eher Rauch- als Brandschaden. Auch die Dornenkrone, die bedeutendste Reliquie der Kathedrale, wurde von den Flammen verschont. Jesus Christus soll sie bei seiner Kreuzigung getragen haben.

Betroffenheit weltweit

Der Brand löste weltweit Bestürzung aus. Papst Franziskus, der frühere US-Präsident Barack Obama, die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel – viele äusserten sich. US-Präsident Donald Trump schlug damals den Einsatz fliegender Wassertanks vor, um das Feuer zu löschen. Russlands Präsident Wladimir Putin bot an, Restaurierungsexperten zu schicken.

Spenden auch aus Deutschland

Zur Rettung des symbolträchtigen Denkmals wurden über 840 Millionen Euro gesammelt. Die 350.000 Spender stammen aus 150 Ländern. Zu den Grossmäzenen gehörte der französische Milliardär und Chef des Luxuskonzerns LVMH, Bernard Arnault, der 200 Millionen Euro spendete. Auch aus Deutschland kamen Gelder. In Form von Know-how steuerte auch die Dombauhütte in Köln ihren Beitrag bei: Vier Glasfenster wurden zu neuem Glanz gebracht.

Bedrohung durch verformtes Gerüst

Vor dem verheerenden Brand war die Turmspitze restauriert worden. Das dafür auf dem Dach installierte Gerüst hielt dem Einsturz der Turmspitze zwar stand, wurde jedoch durch die Hitze des Feuers verformt und ein Sicherheitsrisiko für die schwerbeschädigte Kathedrale. Das Gerüst bestand aus rund 40.000 Teilen, wog 200 Tonnen und befand sich teils in 40 Meter Höhe. Der Abbau war ein schwieriges Unterfangen.

Rekonstruktion: modern oder originalgetreu?

Nach mehr als zweijährigen Sicherungs- und Reinigungsarbeiten begann 2021 die Rekonstruktion. Doch zuvor war die Frage nach dem künftigen Antlitz des Wahrzeichens von Paris zum Zankapfel der Nation geworden: modern oder originalgetreu? In den hitzigen Streit unter Politikern und Architekten schaltete sich die Unesco ein, die daran erinnerte, dass die Kathedrale auf der Liste des Weltkulturerbes steht. Die Ideen der Modernisten reichten von einem begrünten und begehbaren Dach bis zu einem hochmodernen Spitzturm.

Mehr als 2.000 Eichen

Die Stämme von über 2.000 Eichenbäumen im Alter zwischen 100 und 200 Jahren waren für den Wiederaufbau des gesamten Dachstuhls über Kirchenschiff und Chorraum und des Spitzturms notwendig. Restauriert wurde nach mittelalterlichem Vorbild. Die neuen Balken wurden mit der Axt bearbeitet, genau wie zur Zeit der ersten Baumeister. Die Eichen wurden aus rund 200 französischen Wäldern ausgewählt. Ein einzigartiges Nebelsystem wurde installiert, das bei Brandgefahr Millionen Mikrotröpfchen Wasser freisetzen soll.

Gefährliche Bleiwerte

Als das Gotteshaus in Flammen stand, gingen über 400 Tonnen Blei in Rauch auf, die im Dach und in der Turmspitze enthalten waren. Der Bleistaub setzte sich in grossen Mengen rund um die Kathedrale ab, weswegen auch der Vorplatz zeitweise gesperrt wurde. Es dauerte rund vier Monate, bis die Umgebung von dem Schwermetall gründlich gereinigt war. Forderungen, die Bauarbeiten zu unterbrechen, wurden laut, als 2023 der fertiggestellte Dachstuhl wieder mit giftigem Blei bedeckt wurde.

Olympia-Glocke

Bei der Wiedereröffnung hat die Kathedrale drei neue Glocken, darunter die, die während der Olympischen Spiele in Paris im Sommer im Stade de France von jedem Leichtathletiksieger geläutet wurde. Sie trägt die Aufschrift «Paris 2024». Die drei neuen Glocken ersetzen drei, die zuvor in der Nähe des Spitzturms hingen, der bei dem Brand in sich zusammenstürzte.

Brandursache bis heute ungeklärt

Erste Vermutungen zur Brandursache gingen von einem missachteten Rauchverbot auf der Baustelle aus. Auch ein Kurzschluss wurde in Erwägung gezogen, der im Zusammenhang mit damaligen Renovierungsarbeiten gestanden haben könnte. Doch richtig geklärt wurde die Ursache des Feuers bis heute nicht.

Restaurierung geht nach Wiedereröffnung weiter

Die bisherigen Rekonstruktionskosten belaufen sich auf etwa 700 Millionen Euro. Mit den restlichen Spendengeldern – über 140 Millionen Euro – sollen die Schäden behoben werden, die es schon vor dem Brand gab. Die ab 2025 geplanten Arbeiten zur Neugestaltung des Umfelds (etwa die Plätze vor und hinter der Kirche) werden auf etwa 50 Millionen Euro beziffert. 160 Bäume sollen zusätzlich gepflanzt und Rasenflächen geschaffen werden.

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