
Ypsomed-Chef: Produktionsstart in den USA im Jahr 2027

Im Interview mit Swissinfo erklärt Simon Michel, Geschäftsführer des Schweizer Medtech-Unternehmens Ypsomed, warum die US-Zölle für seine Firma nur eine begrenzte Herausforderung darstellen und weshalb er im Erfolg von GLP-1-Medikamenten wie Ozempic Wachstumschancen für sein Unternehmen sieht.
YpsomedExterner Link ist ein weltweit führender Anbieter von Arzneimittelabgabe-Systemen – also von Hilfsmitteln, die es Patientinnen und Patienten ermöglichen, sich Medikamente selbst zu verabreichen, wie beispielsweise Selbstinjektions-Pens für Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit.
Laut der Beratungsfirma «MarketsandMarkets» wird erwartet, dass der Markt für solche Pens zwischen 2024 und 2030 jährlich um 7,9% wächst und ein Volumen von 74,1 Milliarden US-Dollar (64,5 Milliarden Franken) erreicht.
Die Schweizer Grossbank UBS prognostiziert, dass der Umsatz mit GLP-1-Medikamenten bis 2029 auf 126 Milliarden US-Dollar steigen wird – ein Spiegelbild des Anstiegs chronischer Erkrankungen.
Von diesem Umfeld konnte Ypsomed profitieren. Im Mai 2025 gab das Unternehmen für das Geschäftsjahr, das am 31. März 2025 endete, einen konsolidierten Umsatz von 749 Millionen Franken bekannt – ein Anstieg um 38% gegenüber dem Vorjahr.
Seit 2014 führt Simon Michel das Familienunternehmen Ypsomed. Er ist ausserdem Mitglied des NationalratsExterner Link sowie in den Verwaltungsräten von rund zehn weiteren Organisationen vertreten.
Swissinfo traf ihn in den Ypsomed-Büros in Solothurn, um über die Herausforderungen im Zusammenhang mit US-Handelszöllen, den Wettbewerb und die Chancen seines Unternehmens in China zu sprechen.

Swissinfo: Die Vereinigten Staaten haben gegenüber der Schweiz Zölle von 39% verhängt. Wie wirkt sich das auf Ypsomed aus?
Simon Michel: In begrenztem Umfang. Der US-Markt macht weniger als 10% unseres Umsatzes aus. Die Hälfte davon stammt aus Deutschland, die andere Hälfte aus der Schweiz.
Derzeit produzieren wir nicht in den USA, aber wir haben – noch vor Beginn der zweiten Trump-Administration – entschieden, ab der zweiten Hälfte des Jahres 2027 mit einer lokalen Produktion für den US-Markt zu starten. Mittelfristig wird der Anteil des US-Markts auf 20% unseres Umsatzes steigen.
Zudem verkaufen wir auf Basis der «Ex-Works-IncotermsExterner Link», was bedeutet, dass wir die Waren in unserem Werk oder Lager bereitstellen. Unsere amerikanische Kundschaft ist somit selbst dafür verantwortlich, die Waren von unseren Standorten zu transportieren und sämtliche Zollabgaben zu tragen.
Wir stellen klar, dass von den US-Behörden verhängte Zölle keine Preissenkungen unsererseits rechtfertigen. Das bedeutet, dass die Kundschaft die zusätzlichen Importkosten in die USA übernehmen muss.
Darüber hinaus haben wir beschlossen, die Abwicklung unserer US-Aufträge von unserer Schweizer Gesellschaft auf unsere deutsche Tochtergesellschaft zu übertragen, um den Zoll von 39% zu umgehen.

Was hat Sie dazu veranlasst, in den USA zu produzieren?
Der Entscheid wurde von zwei Faktoren getrieben: der Abfederung geopolitischer Risiken und dem Ziel einer schnelleren Belieferung unserer Kundschaft in Amerika. Die Lieferketten werden tatsächlich immer regionaler.
Zudem wollen wir den CO₂-Fussabdruck deutlich verringern, der durch den Langstreckentransport entsteht. Bis 2028 werden wir etwas mehr als 300 Millionen US-Dollar in unseren US-Standort investieren.
Wie wichtig sind die GLP-1-Medikamente für Ypsomed, die zunehmend zur Behandlung von Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit eingesetzt werden? Die Marktaussichten gelten als äusserst positiv.
GLP-1-Medikamente bieten eine grosse Chance, da sie in flüssiger Form mit unseren Pens selbst injiziert werden können. Für die weltweit eine Milliarde Menschen, die fettleibig sind und einem Risiko von über 200 damit verbundenen Krankheiten ausgesetzt sind, bleiben injizierbare GLP-1-Therapien die wirksamste Option – mit deutlich höherer Effektivität als Tabletten, die nur für eine moderate Gewichtsreduktion geeignet sind.
Wie beurteilen Sie das Schweizer Geschäftsumfeld, besonders für ein Medtech-Unternehmen wie Ypsomed?
Die Schweiz verfügt über ein gut organisiertes Medtech-Ökosystem, was vor allem den Anstrengungen von Swiss MedtechExterner Link zu verdanken ist, dem nationalen Verband der Medizintechnikunternehmen, in dessen Vorstand ich mitwirke.
Die Branche umfasst rund 1400 Unternehmen, wächst doppelt so schnell wie das Schweizer BIP und erzielt einen Handelsbilanzüberschuss von 11%.
Darüber hinaus profitiert die Branche von einem günstigen Umfeld für Forschung und Entwicklung (F&E). Es ist geprägt vom Erbe der Uhrenindustrie, einem starken Bildungssystem und gezielten steuerlichen Anreizen wie der Patentbox und dem zusätzlichen Abzug von F&E-Kosten.
Ypsomed produziert über 50% seiner Selbstinjektions-Pens in der Schweiz. Welche Vorteile hat es, dies hierzulande zu tun, anstatt in Länder mit günstigeren Arbeitskosten auszuweichen?
Da unsere F&E-Teams in der Schweiz angesiedelt sind, ist es wichtig, die lokale Produktion beizubehalten, um eine enge Zusammenarbeit und Lernprozesse bei der Industrialisierung und Skalierung zu ermöglichen.
Zweite, dritte und vierte Produktionslinien können näher bei unserer Kundschaft angesiedelt werden; aus diesem Grund haben wir Standorte in Deutschland und seit kurzem auch in China.
Zum Schutz unseres geistigen Eigentums behalten wir einige kritische Funktionen ausschliesslich in der Schweiz – etwa den Werkzeugbau und die Fertigung für Kunststoffspritzguss. Dieses Knowhow liegt bei einer kleinen Zahl vertrauenswürdiger Mitarbeitender und ist weder in Patenten noch in Betriebsdokumentationen festgehalten.

Planen Sie, die Zahl der Mitarbeitenden ausserhalb der Schweiz zu erhöhen?
Derzeit haben wir rund 2000 Mitarbeitende, die an unseren Selbstinjektions-Pens arbeiten, davon drei Viertel in der Schweiz, die übrigen im Ausland: etwa 400 in Deutschland und 100 in China.
In zehn Jahren rechnen wir mit rund 2000 Mitarbeitenden in der Schweiz, 1000 in Deutschland sowie je 500 in China und an unserem neuen Standort in den Vereinigten Staaten.
Allerdings werden vielleicht nicht alle unsere künftigen Mitarbeitenden in der Schweiz «menschlich» sein – einige Rollen, besonders in den Bereichen F&E, geistiges Eigentum und Beschaffung, könnten von virtuellen Agenten oder künstlicher Intelligenz (KI) übernommen werden. Wir investieren massiv in KI, mit Dutzenden laufenden Initiativen.
Sie haben gerade einen Produktionsstandort in China eröffnet. Wie wichtig ist dieser Markt für Ypsomed?
China ist ein riesiger Markt – sowohl in Bezug auf die Zahl der Patientinnen und Patienten als auch hinsichtlich technologischer Fortschritte. Unsere neue Anlage im Hightech-Industriepark von Changzhou nahe Shanghai entspricht den höchsten technologischen Standards.
Angesichts möglicher geopolitischer Risiken, wie etwa einer Isolation Chinas, haben wir den Standort so konzipiert, dass er völlig autonom betrieben werden kann, ohne auf Drittstaaten angewiesen zu sein, einschliesslich lokaler Managementkapazitäten.
Wer sind die Hauptkonkurrenten von Ypsomed?
Im Bereich der Selbstinjektions-Pens dominieren zwei grosse Akteure: Ypsomed und SHL MedicalExterner Link. SHL Medical ist zwar im Kanton Zug registriert, betreibt jedoch den Grossteil seiner Kernaktivitäten in Taiwan. Es gibt auch kleinere Anbieter, namentlich in China.
Vor zehn Jahren traten noch acht grosse Anbieter in diesem Markt gegeneinander an. Ypsomed und SHL Medical entschieden sich damals, massiv in modulare Plattformtechnologien zu investieren, die eine kosteneffiziente Entwicklung massgeschneiderter Lösungen und kürzere Lieferzeiten ermöglichen.
Das ist mit der Serienfertigung in der Automobilindustrie vergleichbar. Diese Strategie führte zu einer Marktkonsolidierung und stärkte die Position von Ypsomed und SHL Medical als Marktführer.

28,5% der Ypsomed-Aktien sind an der SIX Swiss Exchange kotiert. Haben Sie jemals über ein (Doppel-)Listing an einer ausländischen Börse wie der Nasdaq nachgedacht?
Ja, das haben wir in Betracht gezogen. Als internationale Gruppe ist ein Listing in den USA eine Option. Derzeit ist es jedoch nicht notwendig, da die Schweizer Börse Medtech- und Pharmaunternehmen eine hohe Sichtbarkeit bietet.
Wir haben über 6000 Aktionärinnen und Aktionäre, werden von zehn Finanzanalysten abgedeckt und verfügen über ein Kurs-Gewinn-VerhältnisExterner Link von 60.
Zudem würde ein US-Listing jährliche Kosten von über fünf Millionen Franken verursachen – aufgrund der Vorgaben der US-Regulierungsbehörde SECExterner Link und der Pflicht zur quartalweisen Berichterstattung. Natürlich passt das nicht zu unserer langfristigen Strategie.
Einige Unternehmen wie Bobst und Hilti – zwei B2B-Hersteller – haben sich von der Börse zurückgezogen, um langfristige Strategien zu verfolgen. Wäre das für Sie denkbar?
Vor zehn Jahren, als Ypsomed eine Marktkapitalisierung von unter einer Milliarde Franken hatte, wäre ein Delisting möglicherweise machbar gewesen. Doch bei einer aktuellen Bewertung von fast sechs Milliarden Franken wäre es für meine Familie nun zu teuer, alle kotierten Aktien zurückzukaufen.
Dass 28,5% unserer Aktien kotiert sind, hindert uns jedoch nicht daran, langfristig in Innovation zu investieren. Zudem bietet die Börsenkotierung Vorteile wie höhere Sichtbarkeit, schnellen Zugang zu Kapital – etwa für Akquisitionen – und grössere Transparenz.
Unsere geprüften, 150 Seiten umfassenden Geschäftsberichte werden sowohl von Investorinnen und Investoren als auch von grossen Pharmakunden sehr geschätzt.
Laut Schweizer RechtExterner Link wird eine Mindestvertretung von 20% Frauen im ausführenden Management und 30% in den Verwaltungsräten kotierter Unternehmen empfohlen. Diese Quoten erfüllen Sie nicht. Was unternehmen Sie, um den Frauenanteil zu erhöhen?
Wir erfüllen diese Zielwerte derzeit nicht. Obwohl ich persönlich gegen Geschlechterquoten bin, beabsichtigen wir, diese einzuhalten, indem wir in vier bis fünf Jahren Frauen an die Stelle männlicher Führungskräfte setzen.
Natürlich plane ich nicht, das bestehende Management-Team umzustrukturieren oder Scheinpositionen zu schaffen, nur um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. Auf Verwaltungsratsebene ziehen wir in Betracht, ein sechstes Mitglied aufzunehmen, um die 30%-Anforderung zu erfüllen.
Dieses Gesetz war als Empfehlung gedacht. Allerdings führt die Nichteinhaltung in der Regel zu Sanktionen durch Stimmrechtsberater und grosse Investoren wie etwa Blackrock. Dies betrifft besonders voll börsenkotierte Unternehmen – weniger jedoch Familienunternehmen wie Ypsomed.

Sie haben viele Rollen – als Geschäftsführer von Ypsomed, Mitglied des Nationalrats und der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) sowie als Verwaltungsratspräsident oder -mitglied von rund zehn Organisationen. Wie schaffen Sie es, all diese Hüte gleichzeitig zu tragen?
Als CEO habe ich ein starkes Führungsteam aufgebaut, das es mir ermöglicht, operative Aufgaben zu delegieren. Das war entscheidend, besonders im vergangenen Jahr, als unser Umsatz um 38% wuchs und wir 800 neue Mitarbeitende eingestellt haben. Ausserdem ist mein Team wahrscheinlich sogar froh, dass ich nicht ständig präsent bin!
Teil der Familie zu sein, der Ypsomed gehört, hat es mir auch erleichtert, eine politische Laufbahn einzuschlagen. Ich halte es für entscheidend, dass Unternehmerinnen und Unternehmer im Bundesparlament vertreten sind.
Ein Nebeneffekt ist zudem, dass meine politische Rolle die mediale Sichtbarkeit von Ypsomed erhöht – was dem Unternehmen hilft, Talente, Investorinnen, Investoren und Kundschaft zu gewinnen.
Editiert von Virginie Mangin/ds, Übertragung aus dem Englischen mithilfe von Deepl: Christian Raaflaub

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