Pionier des Abstrakten: Augusto Giacometti
Das Bündner Kunstmuseum Chur widmet Augusto Giacometti eine Sommer-Ausstellung.
Im Dialog mit weiteren Schweizer Künstlern wie Hodler, Klee oder Taeuber-Arp zeigt sich der Bergeller Künstler im Umfeld der abstrakten Malerei.
Nichts weniger als Gott Konkurrenz machen, wollte Augusto Giacometti (1877 – 1947) als er um die Jahrhundertwende begann, Farbtupfer und Flecken, Mosaiksteinen gleich, in dichten Farben auf Papier und Leinwand zu bannen. Gegenstände waren allenfalls zu erahnen, meist wies nur der Bildtitel auf die Sache hin.
Malerei wie Musik
Ob Gott sich seinerzeit geschmeichelt oder herausgefordert fühlte, ist nicht bekannt. Klar ist aber, dass Augusto Giacometti mit seinen frühen Pastellen und den so genannten «chromatischen Phantasien» die Malerei der Musik annäherte und zum eigentlichen «Erfinder» der abstrakten Malerei wurde.
Als Schlüsselfigur, welche die Malerei aus den Fesseln des Gegenständlichen löste, gilt jedoch Wassily Kandinsky und nicht Augusto Giacometti. Gründe für die Unterschätzung des Bündners gibt es einige. Der Hauptgrund ist jedoch beim Künstler selbst zu finden.
Wichtige Schaffensphase
Die Schweizer Kunstszene war in jenen Tagen alles andere als ein Nährboden für avantgardistische Experimente. Wer schnell Bewunderung und Anerkennung suchte, tat gut daran, nicht allzu mutig aufzutreten.
Augusto Giacometti besass genug Ehrgeiz und Gespür, um die Zeichen der Zeit zu erkennen, und so knüpfte er denn auch bald am erfolgreicheren Jugendstil an. Seine kühnste Phase blieb damit eine Episode, wenn auch eine prägende und wichtige.
Die ganze Welt in Flecken
Die Churer Ausstellung fokussiert auf jene «Zeit der Flecken». Beat Stutzer, Direktor des Bündner Kunstmuseums, stellt Ferdinand Hodler, Giovanni Giacometti, Alice Bailly, Otto Meyer-Amden, Louis Moilliet und Sophie Taeuber-Arp in Dialog mit Augusto Giacometti.
So erfahren Giacomettis Werke eine Einbettung in ihre Zeit und ermöglichen Betrachtern und Betrachterinnen spannende Vergleiche. Giacomettis Bilder hängen an weissen, die Dialog-Bilder an gelben Wänden.
Eindrucksvoll die Anfänge: Schneelandschaften, Schneeschmelze, Bergbach. Fein und zugleich eindrucksvoll verweisen Bleistift-Zeichnungen mit Deckweiss auf die Liebe zur Natur. Alles ist fassbar, gegenständlich.
Bei den ab der Jahrhundertwende in Paris entstandenen Pastellen versucht Giacometti – immer auf der Suche nach farblichen Gesetzmässigkeiten in der Natur – , der Farbe in der Welt auf die Spur zu kommen.
Schmetterlingsflügel inspirieren den Künstler. Er legt Quadrate über das Motiv, fokussiert, experimentiert mit Farbtönen. Das Gegenständliche löst sich langsam auf, die Strukturen beginnen zu leben, die Farbe wird Licht(er).
Die Besteigung des Piz Duan
So erscheint zum Beispiel das Werk «Die Besteigung des Piz Duan» von 1912 als eine Studie gelber, grüner, weisser, ockerfarbener Flecken. Grau setzt Akzente. Alle Mühsal des Aufstiegs scheint aufgelöst.
Der Weg ist das Gipfelerlebnis und könnte auch ein Ausschnitt sein aus einem Stück Wegrand. Vergrössert oder verkleinert schwebt der Betrachter, die Betrachterin über dem Werk und ist doch ganz nah.
Die Ausstellung in Chur zeigt eine Phase aus dem reichen Schaffen Augusto Giacomettis. Es mag nicht die bedeutendste Ausstellung seines Schaffens sein, aber sicher eine der interessantesten.
swissinfo, Brigitta Javurek, Chur
Antonio Augusto Giacometti wird am 16. August 1877 in Stampa im Bergell geboren. Augusto ist ein Vetter zweiten Grades des Malers Giovanni Giacometti (1868-1933), Vater des wohl berühmtesten Giacomettis, des Bildhauers und Malers Alberto (1901-1966).
Von 1894 bis 1897 besucht Augusto die Kunstgewerbeschule in Zürich und schliesst mit dem Zeichenlehrerdiplom ab. Es folgen Reisen und Aufenthalte nach Paris, Florenz.
Ab 1915 nimmt er Wohnsitz in Zürich und reist im Sommer jeweils nach Stampa.
Er erhält zahlreiche Aufträge für Wandmalereien und Glasfenster in öffentlichen Profan- und Sakralbauten in Zürich und Graubünden. So finden sich im Zürcher Stadthaus seine Glasfenster im Trauzimmer und auf der Polizeihauptwache erscheint die Decke im Eingangsbereich als strahlender Himmel.
Augusto Giacometti gilt als herausragender Maler in der Nachfolge des Jugendstils und des Symbolismus, als Erneuerer der Glasmalerei und Exponent der monumentalen Wandmalerei. Unbestritten ist sein Verdienst als Pionier des Abstrakten, als Maler, der als erster den Schritt in die Ungegenständlichkeit wagte.
Die Ausstellung in Chur ist noch bis zum 14. September geöffnet.
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