Atomwaffenverbot, «eine Frage der Glaubwürdigkeit für die Schweiz»
Wird das Parlament Druck auf die Regierung ausüben, damit sie das Atomwaffenverbot-Abkommen unterzeichnet? Das Parlament stimmt am Donnerstag über eine Motion von Carlo Sommaruga ab, der die Unterzeichnung und Ratifizierung des Abkommens fordert. Es gehe darum, die humanitäre Tradition der Schweiz zu wahren, so der SP-Parlamentarier.
Der Vertrag über das Verbot von Kernwaffen (TPNW)Externer Link, der im Juli 2017 von 122 UNO-Mitgliedstaaten in New York verabschiedet wurde, ist geprägt vom Geist des internationalen Genfs: Er entstand auf Anregung der Friedensnobelpreis-Trägerin ICANExterner Link, einer Koalition von Nichtregierungsorganisationen mit Sitz in Genf. Die Schweizer Regierung kündigte im AugustExterner Link jedoch an, dass sie den Vertrag vorerst nicht unterzeichnen werde, weil «aus heutiger Warte die Gründe gegen einen Beitritt der Schweiz zum Abkommen die potenziellen Chancen eines Beitritts überwiegen».
Die Geschichte erinnert an den UNO-Migrationspakt, der unter der Leitung des Schweizer Botschafters Jürg Lauber und des Mexikaners Juan José Gomez Camacho verhandelt wurde. Trotz dieses schweizerischen Engagements machte die Schweizer Regierung am 21. NovemberExterner Link einen Rückzieher und kündigte an, dass die Schweiz den Pakt vorerst nicht unterzeichnen werde.
Vor diesem Hintergrund berät das Parlament am Donnerstag über den Atomwaffenverbot-Vertrag. Der Ständerat (kleine Parlamentskammer) wird über eine MotionExterner Link des SP-Nationalrats Carlo Sommaruga abstimmen, die der Nationalrat (grosse Kammer) während der Sommersession mit 100 zu 86 Stimmen bereits angenommen hat. Sie erfordert die baldige Unterzeichnung und Ratifizierung des Vertrags. Sommaruga ist der Ansicht, dass die Glaubwürdigkeit der Schweiz auf dem Spiel stehe.
swissinfo.ch: 2018 hat die Schweizer Regierung angekündigt, das Atomwaffenverbot-Abkommen nicht zu unterzeichnen. Sie wollte den Export von Kriegsmaterial in Bürgerkriegsländer genehmigen und sie legte die Unterzeichnung des UNO-Migrationspakts auf Eis. Welche Auswirkungen haben diese Entscheidungen auf das Bild eines Landes mit einer humanitären Tradition?
Carlo Sommaruga: Seit Max Petitpierre, dem FDP-Aussenminister der Nachkriegszeit, wurde geduldig eine weltoffene und dem humanitären Recht verpflichtete Schweiz aufgebaut, eine Schweiz für Abrüstung und Menschenrechte. Heute entsteht der Eindruck, dass sich der Kurs der Schweizer Aussenpolitik in weniger als zwei Jahren völlig geändert hat. Wenn wir in diese Richtung weitermachen, wird es äusserst problematisch: Das Image und die Glaubwürdigkeit der Schweiz werden ebenso leiden wie das internationale Genf.
swissinfo.ch: Kann es sein, dass internationale Organisationen sich für einen Wegzug aus Genf entscheiden werden?
C. S.: Ich denke, wir werden das anders zu spüren bekommen: Es kam bereits zu erstaunten Reaktionen und dieses Erstaunen wird noch deutlicher zum Ausdruck kommen. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Ländern, die bis jetzt unsere Werte geteilt und mit denen wir in diesen Dossiers zusammengearbeitet haben, werden an Intensität verlieren. Wir werden isoliert sein. Wenn strategische Entscheidungen darüber anstehen werden, ob das internationale Genf gefördert werden soll oder nicht, könnten Länder, die sich über die Haltung der Schweiz wundern, Entscheidungen treffen, die nicht mehr in unserem Interesse liegen.
Martin Hinrichs: "In den vergangenen Monaten waren wir so nah an einem #AtomkriegExterner Link wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr." #NordkoreaExterner Link versus #USAExterner Link #AtomwaffenExterner Link https://t.co/IAr2XZrjAkExterner Link via @TOnline_NewsExterner Link pic.twitter.com/kCeSPY1LmfExterner Link
— ICAN Deutschland (@ican_de) 12. März 2018Externer Link
swissinfo.ch: Die Staaten, die Atomwaffen besitzen, werden dem Atomwaffenverbot-Abkommen nicht beitreten. Ist die Bedeutung dieses Vertrags dadurch nicht sowieso gering?
C. S.: Der NichtverbreitungsvertragExterner Link hat gezeigt, dass wir uns in einer Pattsituation befinden. Der Kernwaffenverbots-Vertrag schlägt eine neue Norm vor, ein Verbot, das auf dem gleichen System basiert wie bei AntipersonenminenExterner Link oder Streumunition. Es ist unverständlich, dass die Schweiz nicht hilft, dieses neue Paradigma zu prägen, unabhängig von der Position der Supermächte.
swissinfo.ch: Besteht nicht die Gefahr, wie die Regierung betont, dass dieser neue Vertrag bestehende Instrumente wie den Nichtverbreitungsvertrag schwächt?
C. S.: Nein, das ist unmöglich. Nur der Bundesrat bedient sich dieses Arguments. Als UNO-Generalsekretär António Guterres nach Genf kam, um sein neues Abrüstungsprogramm vorzustellen, betonte er, es gebe keine Inkompatibilität. Der Präsident des IKRK und viele andere haben dasselbe gesagt. Die Regierung braucht dieses Argument als Vorwand, weil sie nicht handeln will. Das Argument, das überhandgenommen hat, ist das des Verteidigungsdepartements, das sicherstellen will, dass die Schweiz vom Nuklearschirm der NATO profitieren kann.
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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