Abstimmung über «Burkaverbot» appelliert an Islamophobie und Feministinnen
Islam erneut im Fokus: Mehr als zehn Jahre nach dem Ja zum Minarettverbot in der Schweiz befinden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 7. März über ein Verbot der Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit, das so genannte Burkaverbot.
Oft als «Burkaverbot» bezeichnet, beinhaltet die Volksinitiative eines Komitees aus dem rechtskonservativen Lager auch ein Verbot des Niqabs sowie anderer, nicht-religiöser Formen der Gesichtsverhüllung. Es geht auch – und das geht fast ein bisschen unter – um die Durchsetzung eines landesweiten Verhüllungsverbots für Teilnehmende an politischen Demonstrationen sowie für Hooligans, die an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligt sind.
Die Kampagne findet mitten in der Corona-Pandemie statt, in der das Tragen von Hygienemasken an belebten öffentlichen Plätzen Pflicht ist. Das verleiht der eigentlichen Debatte, in der es um Religionsfreiheit, die Unterdrückung und Gleichberechtigung der Frau sowie die Angst vor Terrorismus geht, eine ironische Note. Atemschutzmasken würden nicht unter das Verbot fallen.
Um was geht es?
Mit der Initiative soll das Tragen von Gesichtsbedeckungen in der Öffentlichkeit mit einem Verfassungsartikel verboten werden. Das Verbot gälte für öffentliche Strassen und Plätze in der ganzen Schweiz, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Büros, Restaurants, Geschäften und Fussballstadien. Ausnahmen für Touristinnen, etwa aus den Golfstaaten, sind nicht erlaubt.
Dennoch sind Sonderregelungen vorgesehen. Dies für religiöse Stätten, die Verhüllung des Gesichts aus medizinischen Gründen oder bei besonderen Wetterbedingungen.
Das Parlament, welches das Verbot mehrheitlich ablehnt, hat einen Gegenvorschlag ausgearbeitet. Dies in Form eines Gesetzes, das Gesichtsverhüllungen verbietet, falls sie zur Verhinderung der Identifizierung einer Person dienen. Dies gilt namentlich bei Kontakten mit Behörden und in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Der Gesetzesvorschlag des Parlaments sieht auch Massnahmen zur Förderung der Gleichberechtigung und Integration von muslimischen Frauen in der Schweiz vor. Die Gesetzesänderung tritt in Kraft, falls Volk und Stände die Initiative ablehnen.
Was sind die wichtigsten Argumente pro und kontra?
Die Befürworter argumentieren, dass ein Verbot der Gesichtsverhüllung dazu beitrage, im Land Terroranschläge und andere Formen von Gewalt zu verhindern.
Gleichzeitig betonen die Initiantinnen und Initianten, dass ein «Burkaverbot» die Gleichberechtigung zwischen muslimischen Frauen und Männern fördere. Auch würde der Bann muslimische Frauen vor den Zwängen einer diskriminierenden, patriarchalischen Gesellschaft befreien.
Mitglieder des Initiativkomitees haben davor gewarnt, dass sich der Islam in Europa ausbreite und die christliche Kultur bedrohe. Sie weisen aber Vorwürfe zurück, dass sie mit einem Verbot die Religionsfreiheit untergraben würden. Vielmehr ziele dieses darauf ab, grundlegende und freiheitliche Errungenschaften der westlichen Welt zu stärken.
Ausserdem betonen die Befürworter, dass auch andere Länder ein Burkaverbot kennen. Ein weiteres Argument: Regionale Burkaverbote, die vor fünf Jahren eingeführt worden waren, hätten sich als ineffizient erwiesen.
Die Gegenseite sagt, ein schweizweites Verbot der Gesichtsverhüllung sei unnötig, schädlich für den Tourismus und verletze das Prinzip des Föderalismus. Dieser regelt in der Schweiz die Aufteilung von Macht und Kompetenzen zwischen dem nationalen Staat und den kantonalen Behörden.
Laut dem gegnerischen Lager gibt es keinen Grund, die schweizerische Verfassung wegen einer verschwindend kleinen Gruppe zu ändern. Laut Schätzungen gibt es in der Schweiz nur rund 30 Trägerinnen von Gesichtsverschleierung, es sind dies oft Konvertitinnen.
Die Gegnerinnen und Gegner argumentieren weiter, dass ein Verbot nicht in der Lage wäre, die Gleichberechtigung der muslimischen Frauen zu fördern und ihre Integration in die Schweizer Gesellschaft zu verbessern. Die Gesetzesreform sei dazu der bessere Weg.
Sie warnen ferner, dass ein Verbot Touristinnen aus den reichen arabischen Golfstaaten von einem Besuch in der Schweiz abhalten könnte.
Wieso stimmen die Bürgerinnen und Bürger darüber ab?
Die Volksinitiative kam mit über 105’500 Unterschriften zustande, die zwischen März 2016 und September 2017 gesammelt wurden.
Die Volksinitiative ist das Prunkstück der direkten Demokratie Schweiz, kann doch mit dem Volksrecht die Verfassung geändert werden. Dies, wenn die Forderung von mindestens 100’000 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt wird und das Begehren in der Volksabstimmung eine Mehrheit von Stimmenden und Kantonen erhält.
Wer sind die Unterstützer, wer die Gegner?
Die Hauptbefürworter der Initiative sind die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) sowie andere konservative Gruppen. Im Laufe der Kampagne sind aber auch Politikerinnen und Politiker aus dem Mitte-Rechts-Lager und aus dem Zentrum ins Pro-Lager gestossen.
Was für viele Diskussionen gesorgt hat: Auch Feministinnen und liberale Musliminnen und Muslime haben sich für das Verbot von Burkas und Niqabs in der Öffentlichkeit positioniert. So etwa Elham Manea, eine international bekannte Buchautorin, die für einen modernen Islam eintritt.
Den Befürwortern steht eine breite Allianz von Gegnerinnen und Gegnern aus den anderen grossen politischen Parteien von Mitte bis links gegenüber. Auch die Regierung und eine klare Mehrheit des Schweizer Parlaments lehnen das Begehren ab.
Das Kontra-Lager zählt auch Menschenrechts- und Frauenorganisationen sowie kirchliche Gremien. Auch die Schweizer Tourismusbranche und Gewerkschaften empfehlen die Ablehnung der Initiative.
Wie steht die Schweiz international da?
In den letzten zehn Jahren haben in Europa rund 15 Länder ein generelles Verbot der Gesichtsverhüllung eingeführt.
Frankreich war 2011 das erste Land, aber auch die drei anderen Nachbarländer der Schweiz – Deutschland, Italien und Österreich – haben Einschränkungen eingeführt. Dies in Form von allgemeinen Verboten oder spezifischen und regionalen Massnahmen.
Burka- und Niqab-Verbote in irgendeiner Form gibt es über Europa hinaus in Staaten Asiens, Afrikas und in Nordamerika.
In der Schweiz haben zwei der 26 Kantone seit 2016 ein Burkaverbot erlassen. Weitere 15 Kantone haben die Gesichtsverhüllung bei Demonstrationen und Sportveranstaltungen verboten.
Was haben «Burka-Verbot» und Minarettverbot gemeinsam?
Das Komitee, das hinter dem Burkaverbot steht, ist dasselbe, das einen Vorschlag für ein Verbot des Baus neuer Minarette in der Schweiz lanciert hatte.
Die Abstimmung im Jahr 2009 endete mit einer Überraschung, als über 57% der Wählenden und 22 der 26 Kantone Ja zum Minarettverbot sagten.
Anders als vor 12 Jahren deuten Meinungsumfragen darauf hin, dass die Befürworter des Burkaverbots einen soliden anfänglichen Rückhalt geniessen. Aber die Sache ist noch nicht gegessen, sagen Expertinnen und Analysten. genauere Aufschlüsse sind von der zweiten grossen Trendbefragung der SRG zu erwarten, die wir am 23. Februar publiziert werden.
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