Keine Abschiebungen, aber strengere Regeln für Eritreer
Die Schweiz, früher "grosszügiger" gegenüber eritreischen Flüchtlingen, hat in den letzten Jahren ihre Politik verschärft – auf Druck der politischen Rechten. Der prozentuale Anteil anerkannter Flüchtlinge pro Jahr ist um rund 30% zurückgegangen. Und auch wenn Rückführungen momentan nicht möglich sind, versucht Bern doch, die Kontakte mit Asmara zu verstärken.
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«Eritrea ist nicht Nordkorea (…). Die Schweiz soll eine unabhängige Untersuchung über die Lage im Land initiieren und die Möglichkeit von Rückführungen evaluieren.»
Dies ist, kurz zusammengefasst, der Bericht einer Gruppe von Schweizer Politikerinnen und Politikern, die sich auf Einladung des Honorarkonsuls in Eritrea, Toni Locher, auf eine «Erkundungsreise» ins afrikanische Land begeben hat. Ein autokratischer Staat, aus dem jeden Monat viertausend Menschen flüchten und der alle wichtigen Schweizer Nichtregierungs-Organisationen (NGO) hinausgeworfen hat, mit Ausnahme des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).
Der «begleitete» Besuch dieser Politiker – Vertreterinnen und Vertreter von rechts und links – führte zu zahlreichen Kritiken durch Menschenrechts-Organisationen und einer gewissen Enttäuschung bei den Behörden. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wies auf die Schwierigkeiten hin, an Informationen betreffend sensibler Fragen wie dem Justizsystem, dem Militärdienst oder der Situation in den Gefängnissen zu kommen.
Es ist nicht das erste Mal, dass die eritreischen Flüchtlinge ins Zentrum der politischen Debatte geraten, nicht zuletzt, weil ihre Zahl ständig zunimmt. Seit Jahren sind sie die grösste Gruppe von Asylsuchenden in der Schweiz. Rechtsbürgerliche prangerten eine «zu grosszügige» Praxis gegenüber eritreischen Flüchtlingen an. Ihr Druck führte bereits zu einer deutlichen Verschärfung der Verfahren.
Weit das Parlament 2012 entschieden hat, dass Militärdienstverweigerung kein Asylgrund mehr sein soll, hat der Prozentsatz der Eritreer, die als Flüchtlinge anerkannt wurden, von 86% (2011) auf 50% (2015) abgenommen.
* Die Anerkennungsrate von Flüchtlingen wurde von swissinfo.ch berechnet, ohne die so genannten Dublin-Fälle, für die ein so genannter «Nichteintretens-Entscheid» gefällt wird. Es handelt sich dabei um Personen, welche die Schweiz in einen anderen europäischen Staat zurückschicken will und deren Asylgründe nicht untersucht werden.
«Die Schweiz versucht, jene Eritreer zu entmutigen, die in unserem Land Asyl suchen», sagt Denise Graf, Juristin bei der Menschenrechts-Organisation Amnesty International. «Sie hat nicht nur die Bedingungen verschärft, die nötig sind, um den Flüchtlingsstatus zu erhalten, sondern wendet das Abkommen von Dublin besonders restriktiv an, indem sie versucht, auch solche Flüchtlinge nach Italien zurückzuschicken, die gar nicht in der Datenbank Eurodac registriert sind.»
Laut der Statistik des SEM waren 2015 ein Viertel der Asylsuchenden aus Eritrea als Dublin-Fälle registriert, während es 2013 nur 8,5% waren. Und dieser Anstieg habe nichts mit grösseren Anstrengungen der italienischen Seite zu tun, die Flüchtlinge zu registrieren, betont Graf.
Schutzaufnahme, wenn auch nur vorübergehend
Auch wenn sie Eritreer zwar nicht als Flüchtlinge anerkennt, garantiert die Eidgenossenschaft praktisch allen aus diesem Land einen Schutzstatus, die so genannte vorläufige Aufnahme. Wie alle EU-Länder ist die Landesregierung (Bundesrat) nämlich der Auffassung, dass eine Rückführung nach Eritrea momentan unmöglich oder unzumutbar ist.
«Bis jetzt gibt es keine Informationen, die erlauben würden, von einer Verbesserung der Menschenrechte zu sprechen», sagt auch das SEM. Die Dienstverweigerer gelten im Regime von Isaias Afewerki als «Landesverräter», und eine Rückführung könnte für sie Gefängnis und Folter bedeuten.
Nach ein paar Tagen in Eritrea war Thomas Aeschi, Nationalrat der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), allerdings anderer Meinung: «Ich habe keinen Überwachungsstaat gesehen (…), wir wurden nur ein einziges Mal kontrolliert», sagte er gegenüber der Presse. Und sein Ratskollege Claude Béglé von der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) ergänzte: «Es gab Übertreibungen von Seiten der NGO (…). Der erste Eindruck ist wirklich nicht jener eines Gefängnisses unter freiem Himmel.»
Keine Uni, aber 360 Gefängnisse
Der Priester Mussie Zerai, so etwas wie eine Anlaufstelle für die eritreische Gemeinschaft in der Schweiz, zeigte sich schockiert angesichts der Aussagen der Politikergruppe und der » Sympathie, die einer Diktatur gegenüber gezeigt wurde».
«Sie sagen, es handle sich um Wirtschaftsflüchtlinge, doch die Realität ist anders. Die Eritreer fliehen aus einer Situation der Unfreiheit, vor der Verpflichtung, lebenslang in der Armee dienen zu müssen. Die Jüngsten – noch Teenager – flüchten vor der Rekrutierung.»
Ein 500-seitiger Bericht der UNO von 2015 spricht von «Verbrechen gegen die Menschlichkeit», begangen durch ein Land, in dem ein Klima des Terrors herrsche, wo die Bevölkerung zu Zwangsarbeiten gezwungen würde und es zu willkürlichen Inhaftierungen komme. Eritrea hat keine Universität mehr, dafür aber 360 Gefängnisse.
Eritreische Soldaten würden auch als Söldner an Saudi-Arabien ausgeliehen, um in Jemen zu kämpfen, erzählt Zerai. «Das Geld landet in den Händen des Regimes, während die jungen Menschen nicht einmal genügend erhalten, um ihre Familie zu ernähren.»
Keine Abschiebungen nach Eritrea
Rückführungen nach Eritrea sind gegenwärtig nicht nur wegen der Gefahr der Missachtung der Menschenrechte unmöglich. Die gleiche Regierung in Asmara hat sich bisher auch geweigert, gegen ihren Willen abgeschobene Staatsangehörige aufzunehmen. Der Schweiz sind somit die Hände gebunden.
Das SEM wollte sich auf Anfrage von swissinfo.ch nicht zum Profil jener Asylsuchenden äussern, die von einem Ausweisungs-Entscheid betroffen sind. Laut Amnesty International handelt es sich in vielen Fällen um Eritreer, die verdächtigt werden, in Äthiopien aufgewachsen oder Regimetreue zu sein, die sich als Fahnenflüchtige ausgeben.
Jedes Jahr erhalten zwischen 2 und 4% der eritreischen Asylbewerber (2015 waren es 309 Personen) von den Schweizer Behörden einen Abschiebungsentscheid. Bis heute wurde aber noch niemand mit einem Sonderflug zurückgeschickt. Wenn sie nicht in anderen Ländern (meist europäischen) untertauchen, leben diese Menschen weiterhin unter extrem prekären Bedingungen in der Schweiz.
Angesichts dieser Pattsituation und der Zunahme eritreischer Flüchtlinge sucht die Schweiz den Kontakt mit Asmara. «Der Bundesrat hat das Aussendepartement im September damit beauftragt, den Dialog mit Eritrea zu intensivieren», sagte Eduard Gnesa, Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit, gegenüber dem Tages-Anzeiger.
Versuche, eine Migrationspartnerschaft mit Asmara zu etablieren, seien jedoch bisher nicht gelungen, sagt Denise Graf. «Die Schweiz hatte schlicht zu wenig zu bieten im Vergleich zu den Einnahmen, welche die eritreische Diaspora dem Regime garantiert, über eine Steuer von 2%, welche die Botschaften erheben, oder über die Gelder, die an die Familien geschickt werden.»
«Operation Verführung»
Die Situation entwickelt sich jedoch weiter. Eritrea, das in einer wirtschaftlichen und sozialen Krise stecke, habe sich von der isolationistischen Politik gegenüber den westlichen Ländern verabschiedet und eine «Operation der Verführung» gestartet, sagt Mussie Zerai.
Und auch wenn die Schweizer Delegation weit von sich weist, vom Regime ausgenutzt worden zu sein, sieht Zerai das anders. «Entweder sind diese Politiker naiv, oder sie verfolgen das versteckte Ziel, die Ankunft neuer Flüchtlinge möglichst zu verhindern», glaubt er.
Die Schweiz ist nicht das einzige europäische Land, das den Dialog mit Afewerki verstärken will. Dieser gilt auf einmal als «anständige» Person. Dies auch, weil die Interessen über die Migrationskrise hinausgehen. Eritrea spielt in dieser destabilisierten Region eine wichtige geopolitische Rolle, und eine Öffnung des Regimes bietet vielleicht auch wirtschaftliche Möglichkeiten in einem Land mit grossen Rohstoff-Ressourcen.
«China und die Europäische Union investieren bereits in dem Land, trotz der Situation mit den Menschenrechten», so Zerai. «Ich hoffe, dass nicht auch die Schweiz ihre fundamentalen Werte missachtet – auf dem Rücken eines unterdrückten Volkes.»
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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