Athen will ans Schwarzgeld auf Schweizer Banken
Griechenland wird von den heftigsten Massenprotesten seit Beginn der Schuldenkrise erschüttert. Die Regierung in Athen will möglichst schnell an die Milliarden herankommen, die reiche Griechen am Fiskus vorbei in die Schweiz transferiert haben.
«Die Schweiz soll für Griechenland Steuern eintreiben», titeln die beiden Zeitungen Tages-Anzeiger und Bund. Nach Deutschland und Grossbritannien wird das hoch verschuldete Griechenland das nächste Land sein, das in Verhandlungen für einen Steuerdeal mit der Schweiz tritt.
Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf bestätigte am Mittwochabend am Schweizer Fernsehen, dass entsprechende Kontakte zum griechischen Finanzminister stattgefunden hätten.
«Er signalisierte Interesse für ein Abgeltungssteuer-Abkommen, wie wir es bereits mit Deutschland und Grossbritannien abgeschlossen haben», sagte sie. Ihr Departement habe sich «sehr offen gezeigt» und bereits Unterlagen zur Aufnahme einer technischen Diskussion zusammen gestellt.
Gespräche sind schon für nächste Woche in Bern geplant, sagte ein Sprecher des Schweizer Finanzministeriums (EFD). Zur Aufnahme von Verhandlungen muss die Schweizer Regierung aber erst noch ein Mandat erteilen.
Im Sommer hatte die Schweiz dem Ansinnen Griechenlands noch einen Korb erteilt. Jetzt hat sich die Situation geändert. Die Schweiz könnte sich in Brüssel viel Goodwill verschaffen, wenn es ihr gelänge, mit einem Abkommen einen Beitrag zur Sanierung des griechischen Staatshaushaltes zu leisten.
Keine Begeisterung in Brüssel
Trotz der Aussicht auf einen erklecklichen Geldrückfluss aus der Schweiz stösst das anvisierte Steuerabkommen zwischen den beiden Ländern bei der EU-Kommission auf Ablehnung. Man sei dagegen, dass jeder für sich verhandle und ziehe ein gemeinsames Vorgehen aller Mitgliedstaaten vor, tönte es aus dem Umfeld von EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta.
Brüssel spricht aber nicht mit einer Stimme, hatte doch zuvor der Chef der EU-Taskforce in Athen das Zustandekommen eines solchen bilateralen Abkommens begrüsst.
Bedarf: Dringend
Aus griechischer Sicht hat ein Abkommen über eine Abgeltungssteuer nur einen Haken: Ein solches könnte frühestens auf Anfang 2013 in Kraft treten.
Früher, nämlich schon in wenigen Wochen, wird das neue Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) wirksam, das die Schweiz und Griechenland unterzeichnet haben. Nach der Absegnung im Schweizer Parlament ist die Referendumsfrist unbenutzt verstrichen. Griechenland hat die Ratifikation bereits abgeschlossen.
Gemäss OECD-Richtlinie wird die Schweiz Athen fortan auch in Fällen von Steuerhinterziehung Amtshilfe leisten statt wie bisher nur bei Steuerbetrug.
200 Milliarden?
Wie viel Geld ein bilaterales Abkommen über eine Abgeltungssteuer in Griechenlands Staatskasse spülen würde, ist umstritten. In der deutschen Presse geisterten Schätzungen umher, dass sich griechisches Schwarzgeld in der Höhe von mindestens 200 Mrd. Euro auf Schweizer Konten befände. Laut Martin Schulz, dem Chef der Sozialdemokraten im Europa-Parlament, handelt es sich dabei erst noch um eine «konservative Schätzung» aus griechischen Regierungskreisen.
Ein Sprecher aus dem Schweizer Finanzministerium bezeichnet diese Zahl als «überrissen». Immerhin gibt es Hinweise zur Einschätzung des entgangenen Steuersubstrats. Laut der Europäischen Zentralbank sind seit 2010 mindestens 46 Mrd. Dollar aus Griechenland abgeflossen – ein Teil davon sicher auch in die Schweiz.
Gemäss den Angaben, welche die Schweiz über die Verteilung der Zinsbesteuerung zuhanden der EU-Mitgliedsländer macht, flossen im letzten Jahr 7,8 Mio. Franken ins Finanzministerium nach Athen. Damit lag Griechenland an neunter Stelle der 27 EU-Länder. Sicher ist: Eine Abgeltungssteuer würde einiges mehr in die leere griechische Staatskasse spülen.
Laut Schweizer Finanzministerium ist das Interesse am Abgeltungssteuermodell, wie es mit Deutschland und Grossbritannien vereinbart wurde, im Ausland gross. Ausser Griechenland habe aber kein weiteres Land konkrete Wünsche für Verhandlungen in Bern deponiert. Auch mit Italien gebe es noch keine konkreten Gespräche, verlautete aus dem EFD.
Der Generalstreik und Strassenschlachten im Athener Stadtzentrum haben am Mittwoch das hoch verschuldete Griechenland lahmgelegt. Medien sprachen von der «Mutter aller Streiks».
Es waren die bislang grössten
Protestdemonstrationen gegen die Sparmassnahmen seit Beginn der Finanzkrise.
Nach Angaben der Polizei beteiligten sich am Mittwoch landesweit rund 125’000 Menschen an den Kundgebungen.
In Athen zogen mehr als 70’000 Demonstranten zum Parlament am Syntagma-Platz. Die Gewerkschaften sprachen von 200’000 Teilnehmern.
Mindestens 5000 Polizisten waren mobilisiert. Sie sollten schwere Ausschreitungen wie im Juni verhindern.
Die Probleme Griechenlands entstanden nicht über Nacht: Seit 2000 überschritt das Land wiederholt die im Pakt für Stabilität und Wachstum der EU festgesetzten Grenzen von Staatsdefizit und öffentlicher Verschuldung.
Im Bericht über globale Wettbewerbsfähigkeit 2010-2011 des Weltwirtschaftsforums (WEF) steht Griechenland auf Platz 90 von 142 untersuchten Volkswirtschaften.
Unter Berücksichtigung der makroökonomischen Stabilität rutscht Athen sogar auf Platz 140, vor der Republik Kirgisistan und Jamaica.
Laut dem Bericht des WEF haben die Investoren das Vertrauen verloren. Mangelnde Effizienz und Korruption gingen Hand in Hand mit fehlender Flexibilität und Effizienz des Arbeitsmarkts.
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